Freitag, 28. Dezember 2012

Wirres Gelaber.

Heute Nachmittag kommt er also wieder. Bin ich bereit?
Abführmittel - check. (Bauch ist trotzdem noch fett)
Haare mit Nagelschere geschnitten - check. (Gestern Abend im Wahn, ich trage jetzt wieder einen Bob à la Alexa Chung)
Geschirr gespült und Badezimmer geputzt - check.
Bereit bin ich trotzdem nicht. Nicht dafür, dass er heute Abend wieder trinken will. Ich hasse es so sehr...

Ich schwebe in einer merkwürdigen Zwischensphäre, einem Windkanal aus Depression, Körperbesessenheit, dem Gefühl das mir "1913" vermittelt (ich wiederhole: unbedingt lesen! Link!), Desinteresse an allem, was mir bevorsteht in den nächsten Monaten und der allseits beliebten Frage "Was soll ich essen".
Ich fühle mich nicht lebendig und nicht tot, nicht Fisch nicht Fleisch, nicht farbig und nicht schwarz-weiß. Schwer zu beschreiben. Es ist eine Verweigerung der Achtsamkeit und des "im Moment lebens". Ich hänge kopfmäßig in diesem und dem letzten Jahr fest weil so wahnsinnig viel passiert ist und ich es schlichtweg nicht auf die Reihe bekomme, zu akzeptieren oder anzuerkennen dass ICH es war, die diese Dinge gesehen, getan, gespürt, geschmeckt habe.
Warum musste ich mein Leben so gründlich gegen die Wand fahren?
Warum gibt es diese innere Abneigung gegen alles, was von außen kommt?
Warum habe ich die Schule aufgegeben?
Warum habe ich zugenommen?
Warum die letzte Klinik?
Warum die Affäre?
Warum ich?
Kann ich einfach tot sein?
Ich will ja gar nicht sterben, nur den Schalter umlegen bei diesem im Koma liegenden Siechtum namens Körper. Das hätte schon vor einer gefühlten Ewigkeit geschehen müssen.
Meine Vorsätze für das neue Jahr sind die selben wie letztes Mal: Abnehmen, ein besserer Mensch werden, irgendetwas gebacken bekommen. Die Chance, dass es diesmal gelingt, sind erfahrungsgemäß sehr gering...

Donnerstag, 27. Dezember 2012

Boys Don't Cry (modisches Statement des Tages).


I would break down at your feet
And beg forgiveness
Plead with you
But I know that it's too late
And now there's nothing I can do

I try to laugh about it
Cover it all up with lies
I try and laugh about it
Hiding the tears in my eyes
Because boys don't cry
Boys don't cry...


(Sale bei ZARA, nur 59€ ausgegeben!)

Dazu: Waschbär-Make-up (viel schwarzer Kajal, trage ich sonst nie), kurzer schwarzer Rock, Trenchcoat (offen), elfenbeinfarbener Loop-Schal, wilde Locken, graues XL-Shirt mit dunklen Punkten. Yeah, ich bin eine Biker-Hipster-Lady! Wollt ich schon immer mal sein. Und immer schön maskuline Details (Tasche! Uhr!).

Mittwoch, 26. Dezember 2012

Geheimwaffe Nagellack.

Ihr allerwunderbarsten Anteil-Nehmenden,
Zeit, um etwas richtig zu stellen und von einetr wundersamen Kur zu berichten, die mir heute Nachmittag aus dem tiefsten aller Löcher geholfen hat.

Erstens: T. ist natürlich nicht mein Mann im Sinne von Trauschein! Ganz großes Missverständnis. Und er ist natürlich der liebenswerteste, klügste, abgründigste und intelligenteste Mensch auf Erden; auch wenn er meiner Darstellung hier zufolge ein schäbiger, betrunkener alter Lustmolch sein müsste. Nein! Ich schreibe, wenn ich an seelischen Tiefs entlangtauche. Ich sollte mal schreiben wenn es (zwischen uns) wunderschön ist. Sollte ich, ja.
In der letzten Woche vor Heiligabend war unser Zimmer eine kleine gemeine Vorhölle, er hat durchgesoffen, vulkanartige Wutausbrüche gegen mich (Ich bin übrigens die ekelhafte, fette Schlampe, die ihn zwei mal betrogen hat, somit hat er jedes Recht mich schlecht zu behandeln!), Todessehnsucht auf beiden Seiten, von ihm jedoch veräußert ("Bleib bitte bei mir, ich sterbe heute Nacht").
Heiligabend war der Wendepunkt: ausnüchtern, kotzen, schlafen bei uhm, nach Hause zu meiner Family fahren bei mir.
Und jetzt besucht er seine uralten Eltern zusammen mit Klein-Sohnemann, die mich hassen und schon von dem Gedanken an eine ZWANZIGjährige Partnerin ihres Sohnes Herzrhytmusstörungen bekommen.
Das ist okay, wirklich. Wir sind bald zwei Jahre zusammen und ich akzeptiere das.

Ich bin immer entspannt, wenn ich weiß, dass er nüchtern ist.

Außer, und hier kommen wir zu "Zweitens": Wenn ich mein Antidepressivum vergessen habe, einzunehmen. Außer wenn ich schon kurz nachdem die Herren weg waren angefangen habe, die Süßigkeiten seines Sohnes zu verputzen.
Außer wenn ich seit drei Tagen den Fressanfall des Jahres (ernsthaft!) zelebriere und bei jedem Blick in den Spiegel, bei jeder 1000-Kalorien-Ration die ich hineinschlinge registriere, wie meine Konturen breiiger werden. Außer wenn ich nur an Weihnachten drei Kilo zugenommen habe.
Außer wenn mich die Traurigkeit verschlingt wie ich Erdnusse und Butter.
Außer wenn ich Freud'schen Tiefenekel empfinde wenn ich meine Familie im Schlafzimmer nebenann betrachte, wie sie fressen und knuddeln und faulenzen.
Unter diesen Umständen, also heute, kann ich nicht entspannen. Da liege ich im Bett und höre Schreie (meine eigenen) im Kopf, sehe wirre Bilderschleifen, Sexszenen und von Schnittwunden zerfurchte Unterarme blutend über unserem ach so schönen Waschbecken (meine) und das alles bei ohrenbetäubender Stille, Zigarrettenblasen am Handgelenk und Ich-glaube-ich-verliere-den-Verstand.
Was tut man dann?
Ich hatte nichts zu verlieren und rief meine Schwester auf dem Handy an (sie war in ihrem Zimmer, also etwa fünf Meter von mir entfernt, aber ich konnte mich nicht bewegen.
Ich sagte "Hallo, ist da Nagelstudio Blödibär? Ich hätte gerne chanelrote Nägel, machen Sie Hausbesuche?" und sie kam rüber, um mir die Nägel chanelrot zu lackieren und eine Zigarette mit mir zu rauchen (meine Schwester ist 16, müsst ihr wissen, und Gelegenheitsraucherin). Sie ertrug meine aufgepeitscht-aufgedrehten Tiraden (wie ein Teufelchen, dass dem Tod von der Schippe in den Sandkasten gesprungen ist) über Filme, die ich in den letzten Tagen gesehen hatte (Transformers, Der Goldene Kompass, Ghost - Nachrichten von Sam) und ließ sich aus meinem neuen Buch "1913" (unbedingt lesen!) vorlesen.
Adorno-hat-gesagt-weißt-du-dann-kommt-also-Patrick-Swayze-und-Stalin-im-Park-da-war-ich!-Schönbrunn-und-Schiele-und-Klimt-und-Lyra-und-die-Panzerbjörns-alle-total-krank-dieser-Würfel-weißt-du-mit-Schimpansen-und-Freund-und-C.G.-das-heißt-Carl-Gustav-Vatermord-blablabla.
Sie erträgt mich, das ist das großartige.
Sie lackiert meine kurzen, hässlichen Nägel und ist einfach nur da.
Ob sie zuhört, ist nicht so wichtig.

Habt ihr so jemanden? Einen Notnagel-Menschen, der euch aus Krisen hilft ohne auf die Krise selbst eingehen zu müssen. Kein Therapeut, kein oberschlauer Hobby-Psychologen-Freund sondern nur eine kleine Maus, die sich die Ohren abkauen lässt wenn zu viel raus muss, was nicht gesagt werden darf.
Stattdessen kommt allerlei anderer Gehirnmüll raus. Alles. Leeren. Aus.

101.

Nur Traurigkeit, Fülle, Fett und ein neues Medikament.
Mein Weihnachtsgeschenk ist, dass mein Mann aufgestanden ist, die Flasche weggestellt hat und in diesem Moment mit seinem Sohn in der Bahn sitzt, auf dem Weg zu seinen Eltern.
Habe ich Anteil daran? Unwesentlich. Es ist seine eigene Stärke, aus der Suizid-Rausch-Zwischenwelt heraustreten zu können. Ich war nur da.

Weiß nicht, was kommt und was wird, weiß nur, dass ich meinen Körperumfang verringern muss, um weitergehen zu können. Ich bin so grässlich hässlich, dass ich weinen muss, wenn ich mich ansehe.

Steh auf und folge -

Ich bin doch ganz anders, Hase, ich träume nur zu wild und mein Leben wiegt so schwer.

Ugly Kid Joe: The Cats In The Cradle
Frankie Goes To Hollywood: The Power Of Love
Kate Bush: Wuthering Heights

Freitag, 21. Dezember 2012

Alk.

Es tut mir wahnsinnig leid, dass ich gerade nicht kann.
Aber ich stehe jeden Tag um halb elf an der Kasse und die ewig gleiche Netto-Frau zieht eine oder zwei Flaschen Vodka Bojakoff und eine Flasche Cola Zero (zum Abschießen) und eine Packung O-Saft (falls er doch ausnüchtern möchte) über den Scanner.
Und dann sieht sie mich an. Sie ist alt (Asbach-Uralt, haha) und hat eklige, schwielige Hände. Jeden Tag schleppe ich diese verfickte Tüte zu ihm nach Hause und verwandele mich für den Rest des Tages in ein Sexobjekt bzw einen Box-Dummy (verbal natürlich).
Unschön.
Habe mich ziemlich tief geschnitten und weine viel.
Ich bin vollzeit Co-Abhängig und ich hasse Alkohol und das, was er aus dem Menschen macht, den ich liebe.

Samstag, 15. Dezember 2012

Haselmaus.

Ich weiß gar nicht wie ich anfangen soll.
Was ich erzählen soll.
Die Psychiatrie ist noch genauso wie vor fast zwei Jahren, nur dass ich dieses Mal das Glück hatte, direkt in die „Offene“ zu kommen und nicht ein paar triste Tage in der „Geschlossenen“ zu fristen.
Man lebt halt vor sich hin.
Man lebt nicht, man existiert, vegetiert, man steht auf, schluckt Medikamente, frühstückt, raucht auf dem Balkon, auf dem man sich damals in T. verliebt hat. Dann legt man sich in sein hässliches Zimmer und schläft oder, wenn man besser drauf ist, liest ein paar alte SPIEGEL-Ausgaben von vorne bis hinten durch. Man isst zu Mittag, macht ein bisschen Smalltalk, raucht auf dem gottverdammten Balkon, auf dem man das erste Mal ein Ziehen verspürt hat beim Blick in weise grüne Augen. Dann hängt man rum. Isst zu Abend. Holt sich Drogen und versucht, so früh wie möglich einzuschlafen. Fertig.
Es ist grottenlangweilig und trostlos.
Gut dass ich wieder draußen bin.
Es ist zehn Mal zuträglicher für meine Depression, wenn ich mich ablenken kann indem ich den Tag verpenne, Patiencen lege, meine Lieblingssendung „Tracks“ auf arte gucke, ein bisschen Sex mit meinem Freund mache.
Oder mit meiner Schwester fernsehe und mit ihrem Freund über South Park diskutiere.
Oder zur Therapie fahre und mir vorstelle, wie es wäre Geld zu haben und mir die geilen Cowboystiefel aus dem Second-Hand-Laden kaufen könnte.
Oder mit T. und seinem Sohn „Risiko“ spiele.
Oder einfach nur mit ihm zusammen bin. Er berührt mich mit seinem Zeigefinger am Arm, ganz zart, und ich weiß, was das bedeutet: Es bedeutet „Ich liebe uns“.
Es lenkt von dem großen dunklem Vulkankrater im Inneren ab, kühlt und wärmt zugleich, lässt Schnitte und Narben blasser und glatter werden, und das ist wohltuend.
Ich futtere, worauf ich Lust habe, und das ist dann eben meistens Schokolade. Who cares?
Ich habe überlebt, ich habe abgenommen, ich habe gelernt.
Die Lektion heißt: ----
Wie war das?
Ich weiß es wirklich nicht. Ich würde wahnsinnig gerne eine Geschichte vom Davonkommen, vom Lebendiger werden, vom Frieden finden erzählen, aber das kann ich nicht.
Mein Kopf ist groß und schwer und ich möchte nur noch schlafen, mich wie eine Haselmaus in T.s Armbeuge kuscheln und vergessen.







Dienstag, 4. Dezember 2012

Rückblende.


Toulouse, Mai 2009

Wir tanzen schon seit ein paar Songs, der Club ist voll und die Luft subtropisch. Mein Gesicht ähnelt von Nahem betrachtet dem von Kate Winslet und zwischen meinem Jeansrock reiben meine Oberschenkel aneinander, schwitzend und unangenehm. Alles ist unangenehm, der Rotwein, der mich bis zur Schädeldecke ausfüllt, die Lichter und die Bässe. Ich weiß nicht mehr, wie er heißt, er ist so groß wie ich und 36 Jahre alt. Seine Arme sind kräftig und glänzen vor Schweiß, er riecht nach Aschenbecher und Eau de Cologne. Sein Drei-Tage-Bart krazt meine Wange, dann stößt er unvermittelt seine kleine, raue Zunge in meinen Mund. Bier, Rauch, Wildheit. Ich will ihn nicht zurückküssen, ich habe noch nie jemanden geküsst. Er ist ekelig.
Die Geräuschkulisse und die tanzenden Körper verschmelzen zu einer unheimlichen Bedrohung, fremde Hände tasten nach meinem Rücken, meiner nackten Haut, eine Hand fährt zwischen meine Beine. Ich will nicht. Ich sterbe.
Ich verschwinde.
Da ist noch ein Mann, ein Junge, vielleicht 18 Jahre alt. Er lässt mich an seiner Zigarette ziehen. Ich huste und er lacht glockenhell. Er ist ein homosexueller Engel. Groß, überirdisch schön, blond, große grüne Augen und dichte dunkle Wimpern. Mein Französisch reicht nicht aus, um ihm zu erklären, was ich fühle, wie tragisch diese Nacht für mich ist, aber er ist ohnehin zu betrunken um mich zu verstehen. Er küsst mich auf die Stirn, sieht aus wie August Diehl in „Was nützt die Liebe in Gedanken“, nur tröstlicher und weniger wahnsinnig, lässt mich auf seinem Schoß sitzen. Sein Sexfreund kommt ihn abholen und ich schwirre allein weiter durch die Nacht.
Um sieben Uhr morgens sitze ich mit meinem Gastgeber / Austauschpartner und seiner magersüchtigen, bildhübschen besten Freundin Manon auf einem Kirchenvorplatz und und recke meinen schwülen Kopf ins fahle Licht. Ich spüre noch jede einzelne, eklige Berührung meiner Haut, fühle ein Ziehen und Pochen hinter der Stirn. Bin ich jetzt eine Frau? Habe ich diesen Mann verführt? War das meine Schuld? Bin ich eklig?
Mein Gastgeber fragt mich, mal ganz im Vertrauen, ob ich denn essgestört sei? Naja, es sei allen aufgefallen, dass ich so viel esse und dann häufig auf die Toilette gehe. Tu fais vomir?
Ich blicke an ihm vorbei ins Leere und schäme mich in Grund und Boden dafür, dass ich sechzehn bin und kurvig und unreine Haut habe. Dafür, dass ich in jeder 5-min-Pause in der Schule schnell etwas esse und dann aufs Klo renne, um mein Gesicht nachzupudern. Ich bin Make-up-süchtig und paranoid. Ich will nicht, dass jemand meinen Magen knurren hört, meine Pickel oder meine gelben Zähne sieht. Ich schäme mich, dass man von mir denkt, ich würde kotzen gehen. Ich habe noch nie gekotzt. Ich schäme mich, dass ich einen Fremden an meine Wäsche gelassen habe. Ich bin eklig.
Ich sage, ich wäre nur eitel und müsste deshalb ständig in den Spiegel gucken.
Er ist erleichtert. Manon blinzelt zu uns rüber und reckt ihre Ärmchen, fährt sich mit einer stilvoll beringten Hand durch die dicken blonden Haare. Mein Herz stolpert, als die morgendliche Brise ihren Duft, One by D&G, zu mir weht.
Ich weiß nicht, was hier passiert. Ich bin bodenlos und wund und verliebt und verkatert.

Sonntag, 2. Dezember 2012

Take a look at -

http://www.lillylindner.de/
Ich liebe diese Frau und ihre Bücher. Wärmste Empfehlung.

Zirpen und ziehen.

Angst. Nackte Angst in allen Zellen.
Es ist nicht so, dass sie in irgendeiner Weise zielgerichtet wäre oder einen genauer zu ortenden Ursprung in mir hätte, nein, sie ist einfach nur da.
Ich habe Angst, in meinem Zimmer zu sein mit nichts als Tabakkrümeln, zu wenig beachteten Kuscheltieren und Büchern, die ich nicht lesen will. (ich könnte weinen, wenn ich das schreibe, so weh tut es diese Dinge in meinem Zimmer zu haben)
Habe Angst, im Wohnzimmer zu sein mit meiner rosigen, lebendigen Schwester, die Biathlon sieht und Tee mit Milch trinkt. Habe Angst, mich hier im Arbeitszimmer zu befinden und sinnlose Texte zu tippen. Angst, zu versagen. Angst vor meinem Steifvater im Schlafzimmer, Angst, dass er es mir übel nimmt dass ich ihm dieses Jahr nichts zum Geburtstag geschenkt habe (kein Geld) und nicht einmal persönlich gratuliert habe (Scheiß-Tag).
Mein Bauch ist rot gesprenkelt von Wärmflaschen-Verbrühungen und fett und voll vom vielen Essen die letzten Tage, ich habe Angst, dass T. ihn heute Abend sehen und eklig finden wird. Dass er wieder sagt, ich solle endlich wieder Sport machen. Mich nicht so gehen lassen. Angst, dass er heute trinkt.
Ich habe panische Angst vor Sex. Vor Begeheren und Begehrt-Werden, vor Kontrollverlust. Davor, dass noch einmal jemand über mich sagen wird: Die alte Fotze, die ist doch nymphoman und den ganzen Tag feucht, die macht immer die Beine breit. (Das hat S. der Typ mit dem ich im Sommer eine Verzweiflungs-Klinik-Affäre hatte, neuerdings verlautbaren lassen)

Hatte ich schon erwähnt, dass ich Angst habe, raus zu gehen, weil es kalt ist und ich nicht wüsste, wohin mich meine wackelnden Füße tragen würden? Vielleicht in den Wald. Vielleicht würde ich irgendwo auf den gefrorenen Boden sinken und könnte nicht mehr aufstehen. Und dann?
Es ist ein widerliches Gefühl, sehr körperlich, Rastlosigkeit und Scheu, einen Gedanken zu Ende zu denken.
Was könnte passieren?
Alles würde zusammenbrechen, meine Schwester und meine Mutter und mein Zimmer und der Wald da draußen, sie könnten mich wegsperren oder vergessen. Ich bekomme schon Panik, dass man mich vergessen hat, wenn man mich ein paar Minuten warten lässt. Ich will dann am liebsten Sturm klingeln bei meiner Therapeutin, aber ich traue mich nicht.
Will tot sein endlich.

Samstag, 1. Dezember 2012

Alltag.

Ich bin so unfassbar dick und ich komme nicht mit.
Sie hat mich fest im Griff, diese unnachgiebige chronische Depression, sie hat eine kalte Hand auf meine Schulter gelegt und dirigiert mich zum Kühlschrank. Ich öffne ihn und verschlinge sehr schnell zwei sündhaft teure Tiramisu-Desserts, kurz ist es hell, dann schließe ich die Tür.
Meine Mutter ruft mich, sie liegt im Bademantel meiner toten Oma im Bett. „Magst du mir so ein superleckeres Dessert aus dem Kühlschrank bringen?“ Tut mir leid, ich habe beide schon gegessen. Aber ich wollte eh noch einkaufen gehen, die gibt es auch beim tegut, ich bringe sie mit. „Das glaube ich nicht, dass es die da gibt. Das ist eine ganz exklusive Marke und überhaupt, warum fragst du nicht vorher? Was soll das? Warum isst du zwei Stück?“
Ich sage nichts. Draußen verschlingt mich das schimmelige Nachmittagslicht. Ich wühle meine Hände in den Männerparka meiner Schwester und gehe um des Gehens willen, ein Schritt, noch einer, noch einer, Tapp Tapp. Ich spüre es entgleiten. Die Leere pumpt mich voll, nur die Vergänglichkeit, eine Schrittlänge vor mir, leistet mir Gesellschaft.
Ich fummele mein Handy aus der Rocktasche und wähle T.s Nummer. Er geht erst beim fünften Klingeln ran, sein Sohn ist bei ihm. Wir reden genau eine Minute vierzehn Sekunden, er klingt aufgeräumt und warm.
Alles ist so tot und weit, dass ich schreien möchte. Ich kaufe ein, futtere ein Duplo und einen Kinderriegel ohne etwas zu schmecken, gehen gehen Treppe rauf Tür auf Tasche abstellen.
„Na, warst du erfolgreich?“ Wieso sollte man beim Einkaufen erfolgreich sein? „Hast du das Dessert bekommen?“ Nein, aber eine andere Sorte von der gleichen Marke und das ist mir ehrlich gesagt auch ziemlich egal. Ihr nicht. Na schön.
Fühle mich klippenhaft und kotzübel und so schrecklich fremd. Sie klopft an meine Kinderzimmertür. Ich sitze mit dem Rücken zur Heizung und qualme eine, beobachte die Nebelschlieren, die in der Mitte des Raumes hängen, genau zwischen meinen ganzen fremden dunklen mit Bullshit bedeckten IKEA-Möbeln.
Was das eben sollte? Glaubst du mir macht das Spaß? Diese ganze Scheiße? Glaubst du ich esse so etwas teures, weil ich Hunger oder Appetit habe?
Sie dreht sich eine Zigarette und nimmt auf meinem winzigen Bett Platz. Als ich aus der Psychiatrie kam, wünschte ich mir nichts mehr als ein kleines Bett, maximal 100cm breit, nur für mich und ein paar Kissen. Ein Nest, ein Kinderbett für eine erwachsene Kindfrau.
Meine Mutter schweigt, ich schweige. Ich bin kalt und verwaist, und ich spüre dass ihr das weh tut.
Sie lächelt zaghaft. „Hast du dich über den Besuch von J. gefreut?“ J. lebt in Leipzig seit Beginn des Semesters. Ich will etwas sagen, denke nach, versuche in mich hinein zu spüren, aber da ist nur Not.
„Nein. Nicht richtig.“ - „Warum das?“ - „Weil ich mich gerade über gar nichts freuen kann.“
Meine Mutter seufzt ganz komisch und stippt Asche in mein Windlicht. „Es ist schweinekalt hier. Ist die Heizung richtig an?“ Ich verneine. Meine Heizung ist kaputt, muss permanent entlüftet werden, deswegen ist es immer kalt (kalt und stinkt nach Räucherstäbchen und Zigarettenrauch), aber das stört mich gerade wirklich nicht.
Sie offensichtlich schon. Sie entlüftet meine Heizung und guckt mich traurig an. Gut, dass ich so vollgefressen bin, dass ich kaum Schuldgefühle und Ängste empfinden kann.
Die Rasierklingen sind in meinem Kosmetiktäschchen. Ein Meter von hier. Ich muss sie nur nehmen.
Ich tue es nicht, weil ich keine Lust habe, die nächsten Tage wieder frische Schnitte vor allen verbergen zu müssen.
Ich komme nicht mit. Das Leben verläuft in Zeitlupen-Endlosschleifen und verwaschenen Farben, die Dialoge sind schlecht synchronisiert. Und doch ist es mir zu anstrengend, mich darauf einzulassen. Ich sitze also im Vorführsaal und registriere, dass der vorgeführte Streifen mich nicht berührt, geschweige denn mitreißt, und statt rauszugehen starre ich weiter auf die Leinwand in der Hoffnung, dass noch etwas kommen mag. Etwas noch groteskeres als das, was ich jetzt sehe. Etwas, das mich veranlassen wird zu sagen, „Hat sich doch gelohnt den Film zu Ende zu gucken“, wenn ich die letzten Popcorn von meiner Jacke schnippe und mich zum Gehen wende. Wenigstens will ich sagen können, okay, das war eben sehr „arthouse“, sehr verwoben, sehr hintergründig. Eben das, was man über Filme sagen kann, die man nicht versteht, deren Erzählsträngen man nicht folgen kann, die aber dennoch im Kopf kleben bleiben wie Honigfinger.
Aber was sollte das sein?
Weitere Episoden über sinnloses Essen, sinnloses Geld-Ausgeben, sinnlose Bemühungen, Normalität und Freude zu simulieren?
Am 5.12. gibt es neue Medis für Phoebe, darauf setze ich meine letzten Coins.


Auf dem Konzert war ich Donnerstag mit meiner Schwester...