Samstag, 30. März 2013

Das große Fressen [Take 17653790].

Essen.
Scheiß-verficktes-Hass-Kack-Huren-Essen.
Vorgestern ging es los mit einem Nachmittagssnack auf der Tanke in der Nähe von Stuttgart. Cornetto-Arschlecken mit Schokolade. Hätte ich besser mal bleiben lassen.
Nachdem ich tatsächlich fast eine Woche ohne Essanfälle und Abführmittel und Entwässerungstabletten durchgestanden habe, ist die Versuchung nun groß, einen Cocktail einzuwerfen.
  Situation vorher: Essen und trinken, wenn ich Hunger bzw Durst habe, sorgfältig gekocht, relativ low carb und high protein. Viel vegan. Viel gesund. Viel Ballaststoffe. Ausreichend (?). 5x Fitness.
  Situation seit der Fahrt zu meiner Cousine: Essen und trinken, wenn ich nervös oder gelangweilt bin. Viel Kohlenhydrate, viel Zucker, viel Fett. Sehr viel Schokolade und Nutella. Viel Weißbrot. Viel sinnlos rumgehangen, kaum bewegt.
Adieu, Hüftknochen, High-Gefühl und Askese! Willkommen, Pseudo-Schwangerschafts-Bauch, fette Schenkel, Übelkeit, Ekel!
Es kotz mich an, über diesen Scheißmist lamentieren zu müssen, aber es muss irgendwie raus.

Der "Auslöser" für das große Fressen (im übrigen ein großartiger Film mit Michel Piccoli) war, denke ich, die Anspannung im Auto. Wir waren viel zu spät losgekommen und im Berufsverkehr gestrandet. Eine Stunde Stau, dann die falsche Ausfahrt genommen, nochmals eine Stunde Stau. Meine Mutter, die am Steuer saß, war den Träünen nahe und grausam schlecht gelaunt, mein Stiefvater mit der Google-Maps-Wegbeschreibung überfordert und dezent gereizt. Lulu und ich, vorsichtig Zweckoptimismus verbreitend, hatten keine Chance. Ich finde es schrecklich, wenn meine Mutter so verzweifelt, so hilflos, so ausgeliefert ist. Jammert, sich bemitleidet, flucht. Wenn meinem Stiefvater wütende Rauchwolken aus den Ohren steben, er einsilbig und vorwurfsvoll vor sich hin murmelt.
Es stresst mich, verdammt.
Als ich endlich, nach fast vier Stunden, eine Zigarette rauchen und ein wenig Sauerstoff an mein Gehirn lassen konnte, war der Fressanfall im Kopf schon bewilligt worden. Einfach nur Fressen. Kotzt mich nicht an.

Ich weiß, dass das kein guter Mechanismus ist, mit schlechter Stimmung und Stress umzugehen.
Ich will es auch weiß Gott nicht mehr.
Wie kann Essen einmal so leicht und alltäglich und dann wieder so kompliziert, symbolbeladen und pathologisch sein?



Heute "live" gesehen:



Otto Dix: Drei Weiber


Freitag, 29. März 2013

Schicksalsbegegnung mit Sylvia.

Was springt mir zuerst ins Auge, als ich das Zimmer meiner Cousine betrete?
Die Ausgabe der "Fräulein" mit Charlotte Gainsbourg (!) auf dem Titel. Ich schlage sie auf und - ein Leitartikel über Sylvia Plath. Meine Göttin in Spitze! In schwarzblau und lyrischer Ekstase!
Ich möchte die letzten Absätze gerne mit euch teilen:

"Die Glasglocke" endet mit diesem schönen Satz: "Alle diese Augen und Gesichter wenden sich mir zu, und indem ich mich von ihnen wie von einem Zauberfaden lenken ließ, betrat ich den Raum".
So versöhnlich sie in diesen Momenten klingt, kann Plath im Endeffekt doch nicht akzeptieren, in ein Netz aus Beziehungen und Abhängigkeiten verwoben zu sein. Nicht akzeptieren, dass sie auf andere angewiesen ist, dass das Leben Kompromisse erfordert. Doch das Ich gibt es nicht ohne das Du.
In "Die Glasglocke" sieht es für einen Moment so aus, als würde Plath Zauberfäden wie glitzernde Kraftstrahlen empfange, wie ein Netz, das einen auffängt, wenn man fällt. Doch für Plath wurden diese Fäden zu Fesseln.
In ihren Tagebüchern schreibt sie: "I am myself, that's not enough". Sylvia Plath wollte alles oder nichts. Sie entschied sich für Alles, zerbrach daran und durchtrennte die Zauberfäden, die sie am Leben hielten.

Donnerstag, 28. März 2013

Näher jetzt als gestern.

Nach einer traumlosen Nacht der Tiefenentspannung, (Einschlafgedanken an Derek Parfit und Nase in ein navygrünes T-Shirt von Lennard vergraben) sitze ich nun hier im Schneidersitz auf meinem flauschigen Bett.
Kaffee ans Knie gelehnt, XL-Zigarillo von meinem Stiefvater im Mundwinkel und bin einigermaßen zufrieden mit meinem Leben.
Dieser Satz aus meinem Mund, wer hätte das gedacht?
Ich liebe den erdigen Geschmack des Rauches. Die Kühle meines Zimmers im fahlen Winterlicht. Thom Yorkes Stimme, die meine Bauchdecke erbeben lässt. Ich liebe meine Mutter, beim Kaffeekochen in der Küche getroffen, zwei Tiere in Bademänteln. Ich liebe es, zu frühstücken (Naturjoghurt mit Sojaflocken, Müsli, Leinsamen und Alpro light) und dabei nur das Essen zu schmecken - keine Glotze, kein Lesen, keine Ablenkung.
Ich liebe es, um sieben Uhr das Laptop hochzufahren und meine erste Kippe mit einer Partie Spider Solitär zu genießen. Das kreative Chaos meines Zimmers - Sportsachen, die mir zublinzeln, ein paar Zeitschriften, Kabelsalat, Gedichtbände, Schulsachen. Ich freue mich wahnsinnig, meine Lulu wiederzusehen und meine Cousine. Auf die zwei Stunden im Auto mit meiner Mutter und meinem Stiefvater und lautem Jazz und
Freiheit. Auf das Haus am See.
Ich freue mich darauf, wieder mit dem Lernen zu beginnen. Stundenlang über Büchern zu brüten, krakelige Aufsätze zu verfassen, meinen Geist zu nähren.
Auf Zyklopenmomente und Küsse im Auto.
Auf Telefonate mit meiner Besten, die meine Erwartungen immer wieder übertrifft.
Ich will arbeiten gehen.
Struktur und Organisation gegen die Ängste.
Ich will Joy Division und The Smashing Pumpkins und Genesis hören und ewig vergessene, selbstvergessene Ballettschritte auf meinem fleckigen Teppich tanzen.
Ich will Zeit.
Ich liebe Zeit.
Ich freue mich auf die Zeit.
Parfit sagt, Zeit ist ein Raum, und das Verstreichen der Zeit eine Illusion. Das ist tröstlich und russisches Roulette zugleich. Mein Buddha auf dem roten Metallschränkchen nickt langsam.






Dienstag, 26. März 2013

Die ganze Bandbreite
Himmelhoch berstend in Glück rotzverzweifelt in Angst
Verrückt 
Verschlungen
Verdrängt
Kopflos schamlos schutz-
los
Über-Triebe
Hysterische Hände ausgestreckt geflochten
Haben wir doch das ganze Leben Zeit


"Vertrauliche Arztsache".

Taumelig fahre ich zu meinem Kinderarzt, um die Klinikberichte abzuholen. Die Sonne ist genauso verschlafen und selig wie ich.
Im Bus drehe ich eine Zigarette und beginne, zu lesen:

"Die Patientin war wach, bewußtseinsklar und zu allen Modalitäten orientiert. Im Kontakt wechselnd zwischen Nähe und Distanz [...], psychomotorisch angespannt und unruhig. Im Affekt niedergschlagen, erschöpft, kraftlos. Wechsel zwischen Selbstüberhöhung und -Entwertung, ängstlichem Erleben. [...]
Eine Gewichtsabnahme auf einen BMI von 12,3 durch Nahrungsrestriktion sowie emotionale Instabilität mit wechselhaften Stimmungen, Ängsten, Selbstidealisierung und -Entwertungen, autodestruktivem Verhalten, suizidalen Tendenzen und eine insgesamt zunehmende psychophysische Erschöpfung stellten den Anlass für die stationäre Aufnahme dar. [...] Frau R. fühle sich abwechselnd riesenhaft und erbärmlich klein, genieße exzessive Grenzüberschreitungen, fühle sich hilf- und haltlos in partnerschaftlichen Beziehungen und empfinde heftige Schuldgefühle.
[...] 

Die konflikthafte Konstellation mit der Lehrerin (die Patientin hatte zu diesem Zeitpunkt bereits eklatant an Gewicht verloren) führte zu einer Reaktualisierung kindlichen Erlebens [...], eine Kompensation über ihre schulische Leistungsfähigkeit und inneren Omnipotenzphantasien zeigten sich im Zuge der Krise nicht mehr ausreichend. Die Aufforderung der Lehrerin, der Schwester und Mitschülern schulisch zur Hilfe zu kommen, erlebte Frau R. als illegitime Delegation der Aufgaben der Lehrerin an sie. Die Wut darüber brachte die Patientin durch eine Umkehr der Rollen zum Ausdruck, indem sie der Lehrerin gegenüber die Rolle der Lehrerin einnahm.
Damit wiederholte sich das Dilemma der Patientin in der Ursprungsfamilie. Die Übernahme erwachsener Rollenanteile sowohl dem Vater als auch der Mutter gegenüber erschwerten die Erfüllung des Bedürfnisses, sich in einer kindlich-verantwortungslosen Rolle umsorgen lassen zu können [...].
Vor dem Hintergrund der Überhöhung durch die Eltern und einer zugrundeliegenden labilen Bindungserfahrung zu Vater und Mutter war die Patientin zudem unklaren (Generationen-)Grenzen in der Familie und wechselnden Bindungen ausgesetzt, sodass Frau R. sich früh durch enorme Schwierigkeiten hinsichtlich der emotionalen Nähe-Distanz-Regulation in Beziehungen überfordert erlebte.
[...] Gefühle der kindlichen Bedürftigkeit, besonders nach Schutz und Nähe, stark ausgeprägt.
[...] Frau R. lernte in ihrer Kindheit nicht ausreichend, ihre Emotionen und Bedürfnisse adäquat auszudrücken und Konfliktsituationen zu bewältigen. Dies führte zu einer großen Unsicherheit im Umgang mit anderen und der Sorge, zu viel "Platz" für sich selbst einzufordern und dadurch auf andere abstoßend zu wirken. Ihre nach außen gezeigte Fassade stimmt nicht mit ihrer Selbstrepräsentation überein, was zu Schwierigkeiten in der Beziehungsgestaltung führt. Angst macht der Patientin vor allem die Reaktion auf ihre Wut von seitens ihrer Mitmenschen. [...] Die Esstörung erlaubt es Frau R. ihre Aggressionen indirekt auszuleben und nach außen zu zeigen, dass "etwas nicht stimmt".
[...] Die Regulation einer angemessenen Abgrenzung fiel ihr innerhalb der Gruppe schwer. In der Einzeltherapie schwankte Frau R. zwischen bedürftig-hilfesuchenden Anteilen und autodestruktiven, zu denen jeweils im Nachhinein ein Zugang und gemeinsames Betrachten möglich wurde."


Anstrengender, bemitleidenswerter Mensch, diese Frau R. Soll ich das sein?

Montag, 25. März 2013

Wirres Gelaber Teil 2.

Das Surren wird nicht weniger, aber ich bin jeden Tag eine Andere.
Gestern mit blauem Hut und Trenchcoat auf dem Feld (immerhin ein Sonntagsspatziergang), heute durchgeschwitzt auf dem Laufband und mit rasendem Puls und ausgeschaltetem Handy auf innerer Reise:

I'm shying from the light
I always loved the night
and now you offer me
eternal darkness

Martin Gore hat vielleicht etwas ausgesprochen, das mich an T. gebunden hat. Etwas sehr intimes berührt... Mir fehlen die Worte.
Ich bin immer noch high. Ich wiege 57,5 kg nur durch dieses permantente Aufgewühlt-Sein, welches mich vergessen lässt, zu essen.
Ich würde mich so gerne fallen lassen in das, was sich mir offenbart, wenn ich in braune Mandelaugen sehe, obwohl es mir Angst macht. Wann ist man je so weit ?
Bereit?
Bereit.
Was auch immer.







Sonntag, 24. März 2013

Ihr, werte Leser...

...seid einfach fantastisch.

Einfach so - DANKE für alle Kommentare zu den letzten Posts, diese wunderbar wärmenden Worte gehen direkt ins Herz, ohrfeigen die destruktive Stimme in mir und sind so KRAFTVOLL.
In den tiefsten Momenten hat es mich getröstet und aufgebaut, Euer Feedback und Eure Bestärkung zu erfahren - gerade auf die Geschichten mit T. bezogen. Zu wissen: Irgendwo da draußen gibt es mitfühlende, wohlwollende Seelen, die dich nicht verurteilen. Die sich wünschen, dass du kämpfst.
Dass du gehst.
Insofern danke ich Euch auch für die Lebenskraft, die mir dieser Schritt beschert hat. Ihr alle hattet Anteil daran.

Küsschen,
Eure Phoebe.

PS: Florence And The Machine: Cosmic Love
      Andrew Bird: A nervous Tic Motion of the Head to the Left
      Frank Sinatra: That's Life
      Sting: An Englishman in New York
      Editors: The Boxer

      Radiohead: Reckoner
     
(Soundtrack zum Wochenende)


Samstag, 23. März 2013

Leichte Schwere.

Sonic Youth - Schizophrenia

Es ist unverständlich, widersprüchlich und tendenziell bekloppt. Ich fließe durch die Straßen, high und hungrig und voller Schmerzen und Glück.
Mir tut alles weh, ich habe exakt zwei Stunden Schlaf bekommen letze Nacht. Im Austausch dafür einen Menschen erfahren.
T.s Stimme klingelt in meinen Ohren, ich laufe, laufe, der Wind pfeift. Sleep Twitch, das Gefühl, eine Treppenstufe verpasst zu haben - schwerelos.
Zwei Tassen Milchkaffee mit Mo, einem früheren Schulfreund, den ich seit Jahren nicht gesehen hatte.
Eine riesig schwere Netto-Tüte, randvoll mit Lebensmitteln und Tabak für T., der Panikattacken hat und seine Wohnung nicht verlassen kann.
Davor: Achzehn Stunden mit Lennard, Edith Piaf und klugem Schlagabtausch, mit veganen Spaghettie Carbonara und Immanuel Kant. Und ja, wir hatten Sex. Er küsste meine Narben am Handgelenk, dort, wo die Fäden saßen und eine blaßlila Linie im Dunkeln leuchtet. Hielt meinen Kopf fest, damit ich nicht entschwand. Ich dachte an T. Ich dachte an Zigaretten. Ich dachte, ich sollte hier und jetzt sein, was mir teilweise gelang. Es war schön.
Ich dachte an meine beste Freundin und fragte mich, was ich tat. Aber ich tat es.
Je ne regrette rien.
Ich laufe weiter durch die Stadt, Moloch, Winter, Koffeinrausch und Angst. Und das kleine Glück.

Donnerstag, 21. März 2013

Das Leben der Anderen?

Es kann auch so kommen:

Phoebe (welche den ganzen Tag bei psychedelischer Musik und mit ihrem Laptop - Spider Solitär - im Bett verbracht hat, frustriert weil ihre Therapeutin krank ist) fährt abends, nach einem seltsamen Besuch bei T., bei dem die vorgestrigen Entwicklungen diskutiert wurden (ergebnislos), zu ihrer Freundin Penny (die zwar nicht Penny heißt, aber der Name passt wunderbar) und deren Freund.
Ewig keinen Kontakt mehr gehabt, sich wieder angenähert, wahnsinnig gut verstanden.
Und sie erlebt, wie so ein Abend laufen kann. Unter Lebenden.

Penny wohnt in "The Big Bang Theory"-Manier (sie ist blond und schlagfertig und groß) in direkter Nachbarschaft zweier einigermaßen nerdiger Kumpels (die rein optisch Lennard und ein hünenhafter Howard sein könnten) in einer ziemlich coolen Dachwohnung in meiner Nähe.
Als ich von T. komme, fängt es an zu regnen. Ich habe mich seit Wochen zum ersten Mal geschminkt, meine Haare geföhnt und mich ein bisschen netter angezogen, was sich ganz gut anfühlt. Ungewohnt, maskiert, aber auch erstmals wieder ansehlich.
Ich klettere die Treppen hoch, begrüße erst Pennys Hund, dann sie, Händeschütteln mit ihrem Freund. Er ist mir auf den ersten Blick sympathisch - groß, etwas kräftig, schiefes Lächeln mit schiefen Zähnen und freundlicher Stimme. Nachdem ich so viele Geschichten aus ihrer beider Leben kenne, ist es komisch, tatsächlich mit diesen Menschen in einem Raum zu sein. Ich fühle mich vertraut und fremd zugleich. Meine Stimme klingt etwas rau und heiser.
Es gibt kein Eis zu brechen - das Reden kommt ganz natürlich und selbstverständlich. Über mich, über gemeinsame Kindheitserinnerungen mit Penny, über den Job ihres Freundes.
Wir sitzen mit Kaffeetassen und Guiness (natürlich nicht für mich) an einem riesigen Holztisch und rauchen was das Zeug hält. Ich berichte von meinem Besuch bei T.
Rücksichtsvoll und nachdrücklich wirken beide auf mich ein. Pennys Freund hatte jahrelang einen besten Freund, der drogenabhängig war. Ihre Mutter trinkt selbst. Wir reden über Sucht-Persönlichkeiten, über Co-Abhängigkeit, über Lügen und Macht.
Es tut wahnsinnig gut, das spüre ich. Ich fühle mich vertsanden und gehalten, die letzten Zweifel verfliegen.
Wir springen über zu gemeinsamen Bekannten, ich höre mir lustige Anekdoten an (Pennys Leben ist wirklich wie eine Sitcom) von Reisen und Unfällen und Partys, Festivals, Abstürzen, Theaterleuten und den Jungs aus der Wohnung unter uns.
Es ist schön, dass ich bei weitem die Jüngste bin und trotzdem "dabei". Ich war noch nie "dabei".
Das Stichwort Politik fällt, Pennys Freund und ich stürzen uns gierig darauf. Wie sehr ich diese Diskussionen vermisst habe! Keine Kontroversen, viel mehr ein sich gegenseitig entsprechen. Wir kommen auf Lobbyismus, Versicherungen, Religion, Freud, Southpark. Kennt ihr das? Man könnte allein über Southpark tagelang reden, indem man sich an die genialsten Folgen und Szenen erinnert.
Wir kochen Tee. Penny holt Kekse raus. Sie und ihr Freund leeren Gauloises rouges, ich meine L&Ms.
Je mehr ich dort sitze und eins mit dem Raum und meinen Gegenübern werde, je mehr Geschichten ich höre, umso dringlicher beschleicht mich der Gedanke, extrem viel verpasst zu haben.
Es geht nicht darum, dass ich noch nie richtig betrunken war und die ganzen lustigen Betrunkenen-Geschichten ohne mich stattgefunden haben, das will ich gar nicht erleben.
Es geht darum, dass es da offenbar eine Szene gibt, ein paar hundert Meter von meinem Haus entfernt, die LEBT. Es gibt Affären und Intrigen (Sitcom...), man fährt mit dem VW-Bus nach Irland oder Kroatien. Man zeltet in Amsterdam. Man geht in Irish Pubs in Frankfurt und in Clubs mit Indie-Musik. Man trifft sich am ersten Mai zum Kiffen und hört dabei die Platten unserer Eltern. Man schaut sich jeden Sonntag Abend in der Wohnung der Jungs gemeinsam Günther Jauch an und zerreisst die politische Elite. Man arbeitet, studiert. Spart auf Konzerte und das Southside oder Hurricane. Man kommt nachts spontan vorbei. Man hat einander, unverbindlich-verbindlich.
Das. Das habe ich verpasst. Und Penny gibt mir das Gefühl, ich könnte und sollte dringend ein Teil davon werden.
Ich bin glücklich, Leipzig-glücklich. Schneeballschlacht mit Lulu-glücklich.
Aufgedreht. Meine Nase glänzt, meine Haare sind lockig und wild, ich kann gar nicht so viel Tee und Saft trinken wie mich die Zigaretten und die Unterhaltung durstig machen.
Um halb zwölf hören wir Schritte im Treppenhaus, kurz darauf betritt Lennard das Zimmer. Ich war - das gebe ich ehrlich zu - extrem neugierig auf diesen Mann (ich habe die beiden Mitbewohner oben immer "die Jungs" genannt, dabei sind sie Ende zwanzig, eher Anfang dreißig). Er war früher mit meiner besten Freundin zusammen, sie hat mir in Leipzig sehr viel von ihm erzählt. Dass er wegen Depressionen in einer Klinik war, Workaholic ist, seit ein paar Monaten vegan lebt und dadurch radikal 15 Kilo abgenommen hat. Dass er verbissen und ehrgeizig und ein Charmeur sei. Sie und Penny meinten im Vorfeld scherzhaft, ich würde angeblich in sein Beuteschema (dünn, rötliche Haare - weder noch?!) passen und solle mich in acht nehmen.
Wir geben uns die Hand. Ich wusste, dass er klein war, bestimmt zehn Zentimeter kleiner als ich, aber er wirkt so... schmächtig und zart. Seine Stimme ist viel zu tief, sein Gesicht zu markant als dass es zu seinem Körper passen könnte. Er hat ein Glas Weißwein dabei, vielleicht ist es auch Saft mit viel Wasser. Penny wirft ihm die eine Kippe über den Tisch. Unser Gespräch erstarrt kurz, kommt rumpelnd wieder in Gang.
Ich fühle mich beobachtet, gemustert. Zu dick und zu schwer, verunsichert.
Pennys Freund grinst und beginnt einen Monolog über den Running Gag des Abends, Manipulation durch positive Suggestion, zu halten.
Ich falle ihm ins Wort, heiser, bin sarkastisch und politisch unkorrekt und schlagfertig. Wir albern herum, ärgern Penny ("Phoebe, warum fällst du mir so in den Rücken?", sie lacht und ihre Haare schimmern silbrig, "du kannst doch unmöglich eine Allianz mit diesen Schwachköpfen gegen mich eingehen?"), ärgern ihren Freund, ärgern Lennard. Auch ich bekomme ein paar Spitzen ab, aber sie sind stumpfer als jene, die ich gewohnt bin, und sie sind nett gemeint.
Howard streckt kurz seinen Lockenkopf in die Wohnung, um Hallo und gute Nacht zu sagen.
Wir sitzen noch eine Stunde zusammen, es ist nicht mehr so unverkrampft wie vorher, aber dennoch schön.
Im Badezimmerspiegel sehe ich leicht beschwipst aus.
Fremd. Ich berühre meine Wange. Sie glüht.
Ich knete meine Haare zurecht und wische die verschmierte Wimperntusche (habe ich vor Lachen geweint?) mit zitternden Fingern aus dem Gesicht. 
Leben.
Reisen, Sprechen, Spüren, Feiern, Lachen, Kind sein. Erwachsen sein. Sich verlieben. Frei sein.
Ich beschließe, bei Penny zu schlafen. Sie sit sehr süß und macht mir eine Wärmflasche, weil sie um meine fressbedingten Bauchkrämpfe weiß. Ich darf ihr Killers-Shirt zum Schlafen anziehen (das ist eine Ehre!).

Später in der Nacht liege ich auf der roten Schlafcouch im Wohnzimmer, esse Schokolade und lese "Das Schicksal ist ein mieser Verräter" von John Green, das auf dem Fensterbrett lag. Es ist sehr hell und ich bin aufgewühlter als müde. Aus dem Schlafzimmer vernehme ich das Knarren von Lattenrosten unter Matratzen unter sich liebenden Körpern. Das Geräusch macht mich traurig, oder eher sehnsüchtig?
Mein Kopf ist voll von Worten und Eindrücken und unendlich schwer. Ich muss lächeln.







Mittwoch, 20. März 2013

Words (between the lines of age).

Gestern war ich bei T.

Bitte. Komm her, ich möchte dich sehen.
Ich will dich nur warnen - ich sehe extrem scheiße aus im Moment. Aufgeschwemmt und unförmig und ungeduscht und...
Das ist mir sowas von egal. Ich werde dich nicht bedrängen oder irgendetwas. Nur reden.

Wir redeten ein wenig. Ich - verkrampft und fett und schrill. Er - zerzaust und humorvoll und blau.
Er nahm mein Gesicht in seine großen Hände und zog meinen Kopf zu seinem, berührte meine Haut, meine Lippen ganz kurz mit den seinen. Du hast keine Ahnung, nicht die geringste, was du mit mir machst. Was es für mich bedeutet, wenn du mich küsst. Du weißt es wirklich nicht?
Ich roch an seiner Wange, seinem Hals.
- Es ist nicht so einfach, T. Ich habe Angst. Es kann sein dass etwas passiert, was ich nicht will; das heißt, theoretisch will ich es schon, aber ich fürchte mich vor der Erwartungshaltung, die bei dir entstehen könnte. Eigentlich sollten wir... Ich weiß nicht, ehrlich, nicht was ich will und nicht was gut für mich ist.
- Würdest du mir die Haare schneiden?
Er stand auf und begann, sich auszuziehen. Ich starrte ihn an, halb verwirrt, halb erregt, und folgte ihm ins Badezimmer. Wir kicherten wie Kinder, als ich begann, an seinem Haar herumzuschneiden. Hauptsache gleichmäßig kurz, ja, ich weiß, so wie beim letzten Mal.

Neil Young und seine dreckige Gitarre im Hintergrund, T. und ich auf dem Bett, ein paar Herzschläge Vorspiel.
Wir küssten uns lange. Immer dringlicher, fordernder. Mein Zopf löste sich, sein graues Baumwollshirt verlor sich in den Laken und Körpern. Lautes Atmen, tiefes Atmen, Hände und Münder und Haut und Fleisch und Lust und Fett und Scham und Liebe und Ekel und Schweiß und Gewalt und ein Rennen und Keuchen, ziellos verzweifelt, zum Ziel.

Gentleman, der er ist, zündete er mir eine Zigarette an und schob sie zwischen meine Lippen.  
Ich bedeckte meinen Bauch mit einem Zipfel der Bettdecke und schloss bei jedem Zug die Augen. Er ging ins Bad, kam wieder. Legte sich hinter mich, einen Arm um meine Mitte, ein Klacken des Feuerzeuges, Stille.
Wir malten mit den Augen verlorene Kreise auf die Decke und mit den Fingerspitzen auf den Unterarm des anderen. Als wir zu sprechen begannen ahnte ich, dass es nicht gut werden konnte. Nie mehr.

Es ist unerhört, dass wir es nicht lassen können, dem anderen unsere Wahrnehmung, unsere "Version" der Trennung und der Monate davor aufzudrängen. Es tut nur weh. Wir tun es trotzdem.
Vorwürfe beiderseitig gejagt von Entschuldigungen. Der Kreislauf, in dem wir uns um uns selbst drehen, ist folgendermaßen strukturiert: Er sagt etwas kritisches über mein Verhalten, ich fühle mich angegriffen und verletzt. Ich versuche, ihm auf einer sachlichen, pseudo-psychoanalytischen Ebene Erklärungen oder Rechtfertigungen für mein Verhalten in der Vergangenheit zu liefern. Er reagiert wütend, wirft mir Arroganz und Rechthaberei vor. Ich sage, dass ich nur so rede, weil ich mich vor Angriffen seinerseits schützen will. Er toppt das Ganze mit Aussagen von wegen - weißt du eigentlich wie sehr du mir wehgetan hast? Ich fühle mich ekelhaft, mache mich klein, entschuldige mich. Er kritisiert mich dafür. Ich fühle mich angegriffen...
Wir stritten etwa eine Stunde lang.
Wie es weitergehen soll mit uns? Ich will kein "uns" mehr. Können wir uns darauf einigen, dass du mich rausgeschmissen hast und ich mit dir Schluss gemacht habe?, frage ich ihn. Ich überlege fieberhaft, was er überhaupt an mir findet. Ich ekele mich so sehr vor mir. Er schweigt, drückt eine Kippe aus und faltet die Arme hinter dem Kopf.
Unsere Worte, zaghaft und dann wieder mit Gewalt aufgeladen, offenbarten nur Gräben.
Unsere Gesten wären die von Liebenden.
Nach drei Stunden verließ ich seine Wohnung. Am Freitag wollen wir Essen gehen.

Kacke, Biberkacke. Was mache ich nur?!

Sonntag, 17. März 2013

Nachtrag.

Ich sitze auf meinem schmutzigen Teppich im blauen Licht meines Laptop, rauche Kette und schaue "Die kommenden Tage" in der ARD-Mediathek. Das Dachfenster ist offen, aber ich friere nicht. Nicht mehr.
Der Film ist vorbei, ich stehe auf, nehme meine Teetasse und gehe hinunter in die Küche.
Ich bin alleine. Morgen geht das Fasten los, eigentlich egal, was ich jetzt mache.
Ich denke: Eigentlich bist du schon voll. Geh wieder nach oben und lege dich schlafen. Mach den Fernseher an, zappe ein bisschen rum und schlafe einfach.
Ich mache: den Rest Nudeln mit Pesto, viel Butter und Parmesan warm. Dann esse ich eine Packung Schokoladeneis (1 Liter). Währenddessen blättere ich durch die Frankfurter Rundschau.
Es reicht nicht. Also Sahne, Schokolade aus Mamas Schlafzimmer klauen (leider hat sie immer nur Bitterschokolade), klein hacken, mit einer Banane und der Sahne und einem Löffel Zucker in eine Schüssel füllen, loslöffeln.
Ich lese auch die Artikel, die mich nicht interessieren, hauptsache ich lenke mich ab von dem, was ich tue.
Es schmeckt göttlich, aber ich bin voll. Ich esse alles auf, spüle das benutze Geschirr, ein lautes Summen im Kopf.
Ich denke: Versuch doch noch mal, zu Kotzen.
Ich mache: Nichts. Außer noch mehr Abführmittel nehmen.
Was für ein Scheißleben.

Samstag, 16. März 2013

Plan A.

Mein Plan für die nächsten Tage steht fest:
Fasten.
Gemäßigtes Fasten, demnach werde ich mich von Shakes und Smoothies ernähren, damit der Stoffwechsel nicht so krass runterfährt. Ich werde wie gehabt jeden zweiten Tag zum Fitness gehen.
Ich ertrage es einfach nicht einen Tag länger, zu Fressen und so auszusehen, wie ich aussehe... Und erfahrungsgemäß hilft es mir, vom Fressen wegzukommen, wenn ich einfach konsequent feste Nahrung meide.
Und heute noch mal eine charmante Abführmittel-Party.

Vorgesehen sind folgende Lebensmittel (mengenmäßig der Reihenfolge der Auflistung entsprechend):

- Kaffee (mit Milch oder Sojamilch)
- Tee
- Eiweiß Pulver
- Buttermilch
- gefrorene Beeren
- Leinsamen
- Sojaflakes
- Bananen (püriert)

Here we go!

Freitag, 15. März 2013

Zunehmen als Leistungssport inklusive Preisgeld? - Leipzig

Ich habe es halt einfach geschafft, in 8 Tagen 8 kg zuzuznehmen! 
Applaus bitte!
Ich hätte einen Binge-Orden verdient.
Ja, kann sein, dass es etwas weniger ist, immerhin habe ich schon zwei Milchkaffee intus und so weiter, aber die Zahl ist dennoch erschreckend. Wenigstens keine 6 vorne, sonst hätte ich wahrscheinlich direkt zur Klinge gegriffen. Halt - Stop - das mache ich ja nicht mehr.
Meine Therapeutin ist offenkundig ratlos. "Ist es der Wunsch, voll zu sein; im Gegensatz zu dem permanenten unterschwelligen Hungergefühl der Phase zuvor, der Sie antreibt?"
"Ich weiß nicht, kann sein. Ich höre einfach nicht auf. In den vier Tagen in Leipzig habe ich mir mehrmals täglich regelrecht Rationen gekauft, die dann doch nie gereicht haben. Ich habe durchgängig Sodbrennen und das Gefühl, mein Magen platzt. Schön ist das nicht. Und ich sehe die Zunahme!"
Es sieht merkwürdig aus, im Übrigen: Mein Oberkörper ist relativ knochig, Brüste klein (was mir besser gefällt als wenn sie so groß und offensichtlich da rumhängen), man sieht die Rippen im Dekollete. Dann ein schwangerer Bauch, der sich auch zum schauspielern an diversen Ostdeutschen Raststätten eigenet (ich trage Leggings und ein weites Shirt, die Hände über dem rausgestreckten "Babybauch" gefaltet, und watschele selbstvergessen umher). Es folgen die Beine: Superattraktiv! Fette Oberschenkel, die sich fast wieder berühren, und kurz über'm Knie wieder dünne Stelzen. Toller Look, Honey.
Der Knüller ist aber mein Gesicht. Ich sehe es einfach zuerst an meinem Gesicht. Was ich vor einer guten Woche noch zart und beinahe hübsch fand (an der Stelle danke, liebe Butterfly, für das Kompliment!), ist jetzt wieder undefiniert breit, pausbäckig, Doppelkinn-Ansatz. Und ein paar stylische Fress-Pickel.
Kurz gesagt - ruiniert.
Interessant ist, dass mir das in Leipzig (wo ich meine beste Freundin in ihrer ersten eigenen Studentenwohnung besucht habe) völlig schnurz war. Ich hatte vier Tage lang eine hässliche schwarze H&M-Leggings in M an, dazu wahlweise ein langes, weites Wollkleid oder einen blauen Riesen-Kapuzenpulli. Gammelige Schneeschuhe und gammelige Steppjacke von meiner Schwester (aus Kindertagen). Mütze druff, fertig. Normalerweise halte ich mich für durchaus modebewusst und ziemlich eitel und penibel, was mein Erscheinungsbild angeht, also auch Haare ect. Aber an diesen vier Tagen war es irgendwie so unwichtig.
Und es ging mir gut damit! Ich fühlte mich um meiner selbst willen gemocht und gefordert. Ganz seltsam.
Ich futterte mich durch den Tag wie eine große Raupe Nimmersatt (durchschnittlich 6000 kcal) und es war okay. Ich hatte nicht mal ein schlechtes Gewissen.
Es war wunderschön.
Wir frühstückten Müsli und Schokobrötchen mit Pflaumenmus (und einer heimlich verdrückten Tafel Schokolade, wenn J. duschen war), hörten The XX oder Florence and the Machine, hatten Kerzen an und planten den Tag. Stalkten ein bisschen auf Facebook, machten uns fertig. Also ich mich nicht richtig. Meine Freundin, müsst ihr wissen, hat einen wunderschönen Stil. Sie ist klein und sehr hübsch, trägt Pixie und große, rostfarbene Cardigans, einen coolen Mantel von ihrer Mitbewohnerin und ein wenig Wimperntusche. Das coolste an mir war tatsächlich mein alter, karierter Zara-Schal.
Wir fuhren also mit der Straßenbahn in die wunderschöne Innenstadt, zur Uni, gingen spazieren, kauften ein und kochten in der gemütlichen Altbau-Wohnung superleckeren Schweinkram mit Olivenöl und Gemüse.
Wir guckten Filme auf ihrem Laptop, im riesigen weißen Bett leigend, mit Wärmflaschen und Tee und fetten Wollsocken an den Füßen. Wir schlenderten durch eine Wohnwagensiedlung, klapperten Second-Hand-Läden ab und führten ehrliche und tiefe Gespräche über Identität, Körperbild und Philosophie.
Wenn es etwas gibt, was mich in den letzten Jahren wirklich motiviert hat, Abi zu machen, dann die Aussicht, zu ihr nach Leip'sch zu ziehen und dort zu studieren. Vergleichende Kulturwissenschaften,  Journalistik, Sozialökonomie. Sowas halt. Es wäre wirklich schön, einen Alltag zu haben. Es wäre schön, in einer Stadt zu leben, in der mich nichts an meine ekelhafte Schulzeit, nichts an T. erinnert.
In der man einfach so eine vierspurige Straße überqueren kann, ohne überfahren zu werden (versucht das mal in Frankfurt an der Konstablerwache!).
In der es zig tolle, kleine Läden gibt, alles viel billiger ist als hier. Die Häuser alt und zum Teil elegant restauriert sind. Wohnungen günstig sind (ich meine, okay, man verdient eben auch echt viel weniger als im Westen, aber damit muss man eben haushalten).
Man kann für 15€ von Frankfurt nach Leipzig fahren.
Das wär's.
Tja, und irgendwie drängt sich mir der Eindruck auf, dass ich, wenn es mir gut geht (und mir ging bzw geht es wirklich gut, zum ersten Mal seit Monaten), zum Überfressen neige.
Meine Therapeutin hat ja Recht, wenn sie mich daran erinnert, dass ich ziemlich scheiße drauf war vor 'ner Woche mit 'nem BMI von 16,7.
"Aber ich war selbstbewusster!" Stimmt das wirklich? Ich fand mich attraktiver, ja. Ich war disziplinierter. Ja doch. Aber ich war traurig.
Das bin ich auch immer noch, ganz tief drin. Ich träume viel von T. und von grässlichen Schul-Geschichten.
Ich fühle mich zwanghaft gedrängt, mich vollzustopfen, wann immer es möglich ist, obwohl ich im Spiegel eine Entwicklung sehe, die mir nicht gefällt.
Was denke ich, wenn ich Fresse? Ich denke: Hey, was solls, ich kann doch immer wieder abnehmen. Ich denke: Morgen hungerst du wieder, nur noch schnell diese Packung Vanille-Eis leermachen. Und ein Nutellaglas! Ich denke: Scheiß was drauf.
Was denkt ihr, wenn ihr fresst?
Was denkt ihr, wenn ihr im Bett liegt und das Essen in euch so intensiv spürt wie einen zudringlichen Liebhaber? Wenn ihr euch verführen lasst?
Gibt es Ausflüchte, wie bei mir?
Ich weiß nicht, was ich will. Oder vielleicht schon. Ich will dünn sein. Ich will aber auch essen können, mit J. kochen können. Rumlaufen können ohne umzukippen wegen Unterzucker. Ich will dünn sein und ich will studieren. Ich will nicht den ganzen Tag über Kalorien nachdenken müssen. Aber ich will eine 4 vorne auf der Waage sehen! Es ist so komplex und undurchsichtig.
Ich fahre jetzt ins Fitti.
Und Tabak kaufen.

Trés chic in L.

Donnerstag, 14. März 2013

Bilder.


Vor zwei Wochen: 53 kg

ebenfalls 53


Dienstag vor einer Woche: 51 kg

Gestern auf dem Weg zur Therapie...

Warum ich Frankfurt liebe. Bzw Bornheim

Mittwoch, 13. März 2013

I become US. WE become YOU.

Es fing schon vor Monaten an. Oder sollte ich besser sagen: Vor einem Jahr? Vor anderthalb?
Vielleicht waren wir schon unter dem Stern einer bevorstehenden, blut- und tränenreichen Trennung ein Paar geworden.
Vielleicht war es voraussehbar, dass zwei derart extreme und kranke Individuen eine durchweg ambivalente Beziehung führen würden, geprägt von tiefen, schier unlösbaren Konflikten.
Liebe und Hass scheinen ein und das selbe Gefühl zu sein, Abgrenzung und Sehnsucht, Geborgenheit und Angst sind nur ineinander gemischte Farben auf einem unscheinbaren Gemälde. Nur wer näher herantritt, vermag die brutalen Risse und Einkerbungen zu erkennen. Und die Aufrichtigkeit der Gefühle, das Verbotene, das Wilde, das Zerfleischende.
Es war meine erste Beziehung. Ich war 18 und hatte mein erstes Mal. Es war seine vierte „ernsthafte“ Beziehung, die erste Frau nach seiner Exfrau. Er war 46, als wir uns kennenlernten.
Wir näherten uns einander wie Katzen, umstreiften den anderen, suchten Körperkontakt und stoben beschämt auseinander. Suizidale Katzen, kettenrauchend auf dem Balkon der Psychiatrie.
Traurige Katzen, bedürftige Katzen.
Ich verliebte mich sofort in ihn. Er war unfassbar attraktiv mit seinen grünen Augen und dem markanten Profil, seiner sanften Stimme und den warmen, starken Händen, die wild gestikulierten und Haferflocken von meiner Strumpfhose pflückten. Er war durchweg faszinierend. Nahbar, aber nicht greifbar. Tiefgründig und aufmerksam, verletzlich und voller Geschichten.
Ich war, als wir uns kennenlernten, einfach nur die schrullige Anorexiekranke, die Joy Division hörte und die Pfleger anschrie. Ich war knochig und asexuell, manisch und zwanghaft. Ich brach stündlich in Tränen aus, tigerte durch die Station und fragte mich, was werden würde. Ich würde wohl die Schule abbrechen, sagte ich ihm. Er runzelte die Stirn und stippte Asche in den Hof. Natürlich nicht, sagte er, so kurz vor dem Abitur. Du bist sehr klug. Wirf nicht alles hin.
Ich registrierte, dass ich mit meiner Anti-Haltung wie ein trotziges kleines Mädchen aussah: Schule ist Scheiße. Meine Eltern sind Scheiße. Meine Zukunft ist im Arsch. Aber hey, ich war erst vor ein paar Monaten aus der ersten Klinik entlassen worden und hatte mein Leben (Selbstmordversuch) allzu gründlich gegen die Wand gefahren. Ich war wütend auf alles und jeden. Ich aß meine Mahlzeiten wie in der Klinik und nahm trotzdem immer weiter ab. 43 kg. Die hatten alle keine Ahnung. Ich kam mir wahnsinnig heroisch und überlegen vor mit meiner Intelligenz und meinen zählbaren Knochen – bis ich T. traf. Er erschütterte mein Welt- und Selbstbild. Riss es von der Wand und zerlegte es in Fragmente, ein riesiges Puzzle. Er bot sich an, mir beim Zusammensetzen der Einzelteile zu helfen, zaghaft, vorsichtig, und ich klammerte meine kalten Finger an seine Cordjacke, als wäre er der Messias höchstpersönlich.
Ich begriff schnell, dass er hochkompliziert war. Widersprüchlich und launisch. Aber großartig.
Depression, Burn Out, Alkohol – einmal die Karriereleiter vom Geschäftsführer der größten deutschen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (Mandate: Daimler Chrysler, Aventis, RWE, Telekom ect) heruntergerasselt, Existenz weg, Frau und Sohn weg, Wohnung weg.
Ich habe den Sog der Sucht und der Dunkelheit unterschätzt.
Er den Sog der Esstörung.
Auch als er entlassen war, kam er mich täglich besuchen. Er brachte Kippen mit oder eine Tafel Schokolade, von der ich manchmal eine winzige Ecke knabberte. Er verunsicherte mich, ich hatte das Gefühl, mir seiner Zuneigung nie sicher sein zu können.
Ich besuchte ihn ein paar Mal in seiner Wohnung. Es war wunderschön und kribbelig.
Nach ein paar Wochen, ich stand vor dem Übergang in die Tagesklinik, gestand ich ihm meine Angst. Und, ich versuchte es zumindest, meine Gefühle.
Wir saßen auf einer Bank vor dem Krankenhaus und flochten unsere Finger ineinander.
Das geht nicht, flüsterte er. Du bist viel zu jung und ich viel zu fertig.
Ich weinte leise.
An einer Bushaltestelle trennten wir uns, kamen einander näher. Dieser Moment, wenn beide zögern: Umarmung? Kuss? Was passiert hier, ein Tornado von Emotionen und Gedanken.
Er war sehr nachdenklich. Ich liebe dich als Mensch, ich möchte dich nicht in meinem Leben missen. Wir sind uns so nah gekommen...
Einen Tag später küsste er mich. Er schmeckte nach Gin und Rauch. Ich fiel ins Bodenlose.

Mittwoch, 6. März 2013

Letzter Versuch? (Triggernd!)

...weitere 2000 kcal später stehe ich vor dem Badezimmerspiegel und binde mir die Haare aus dem Gesicht.
Ich streife mein weißes Wollkleid ab und betrachte das Elend: dünne Arme, knochiger Oberkörper, schwangerer Bauch in einem schwarzen Spaghettiträgertop. Fette Oberschenkel, darunter schlanke Beine in dunkelbraunen Strumphosen. Ich starre mich an. Wasserhahn aufdrehen!
Nehme das Glas mit Wasser und Salz, setze es an die Lippen und schlucke.
Ich beuge mich eine geschlagene Viertelstunde wieder und wieder über die Kloschüssel, die rechte Hand in der Mundhöhle, die linke drückt gegen den platzenden Bauch.
Ich huste, ich trinke noch etwas, weine, versuche vergebens, den Übelkeit erregenden Speisebrei hochzuwürgen. Meine Beine zittern, mein Kopf schwirrt. Zu viel Salz? Ich lege mich kurz auf die Kacheln.
Noch ein Versuch.
Und wieder.
Nichts. Ich kann nicht kotzen.
Ich nehme meinen Bademantel vom Haken, friemele ein Päckchen Luckies aus einer Jackentasche und hocke mich mit angezogenen Knien auf den Balkon. Los werden, du musst es los werden, denke ich.
Ich inhaliere den Teer und spüre, wie mein Magen schlingert. Meine Kehle tut weh.
Genau ein Mal in meinem Leben habe ich gekotzt. Da war ich sieben und hatte ein Magen-Darm-Virus. Ich lag fiebrig mit meiner Mutter auf dem Sofa und schaute einen Hugh Grant-Film, als es plötzlich in mir aufstieg. Ich erbrach mich in die Spüle in der Küche, und Mama stand hinter mir und streichelte meinen Rücken.
Ich weinte ein bisschen, weil es so eklig war. Sie gab mir Cola zu trinken und Salzstangen.
Heute sehe ich aus wie eine Kugel auf Beinen. Wie eine, die versucht hat, zu kotzen.
Ziemlich scheiße und ziemlich mitleidheischend.
Ich gehe gleich rüber und versuche es weiter. Mein Kopf denkt schon drei Ecken weiter: Nimm eine Überdosis Antidepressiva und lass' dir den Magen auspumpen! Sehr lustig. Wobei ich selbst das im Zweifel tun würde.
Nichts ist mehr heilig, das Leben schon gar nicht, wenn man beschlossen hat, den Körper zu töten.

Ich begreife, langsam. Ich denke an ihn:

"Hyper Ballad" - Björk

we live on a mountain
right at the top
there's a beautiful view
from the top of the mountain
every morning I walk towards the edge
and throw little things off, like:
car-parts, bottles and cutlery
or whatever I find lying around

it's become a habit
a way
to start the day

 I go through this
before you wake up
so I can feel happier
to be safe up here with you

it's real early morning
no-one is awake
I'm back at my cliff
still throwing things off
I listen to the sounds they make
on their way down
I follow with my eyes 'til they crash
imagine what my body would sound like
slamming against those rocks

and when it lands
will my eyes
be closed or open?

I'll go through all this
before you wake up
so I can feel happier
to be safe up here with you.


Partytime!

51 kg, BMI 16,x  ------  und der Gedanke: Friss.
Und der Körper frisst. Nutella, Joghurts, Baguette mit Butter und Salami, Schokolade, Cookies, Käse, Waffeln.
Roundabout 2500 kcal zum Frühstück. Ich bin fett, yeah yeah!
T. schreibt mir 'ne SMS mit dem Inhalt "Du fettes Schwein", yeah yeah!
Ich bin so widerlich, yeah yeah!


Dienstag, 5. März 2013

Dienstag Vormittag.

Ich klemme hinter dem PC mit einer Tasse Kakao (3g stark entöltes Kakaopulver, Süßstoff, heißes Wasser, 10ml Milch - 16 kcal) und sinniere.
Gestern habe ich eine Bewerbungsmappe in meinem favorisierten Tabak- und Zeitschriftenladen abgegeben, hoffe, dass ich die Stelle bekomme. 60 Stunden im Monat, das dürfte selbst ich hinkriegen. Und, wie mir die Verkäuferin sagte: "Das kriegt wahrscheinlich selbst ein Toastbrot besser hin als mein Kollege." Ich bin netter als ein Toastbrot, so viel steht fest.
Nett, aber ein körperliches und geistiges Wrack. Ich fühle mich ausgehöhlt und bin schrecklich unkonzentriert, mein Kreislauf und mein Stoffwechsel sind - auf gut Deutsch - im Arsch. Mein ganzer Körper schmerzt vor Muskelkater, Wassereinlagerungen und Kälte.
Versuche die SMS von T. zu ignorieren, in denen er mich bekniet, beschimpft, seine Liebe zum Ausdruck bringt. Droht.
Meine Schulunterlagen nehme ich regelmäßig zur Hand, blättere ein bisschen, unterstreiche hier und da etwas. Dann schweifen die Gedanken ab. Zu ihm, zu Kalorien, zu irgendetwas. Ich ziehe meinen flauschigen lila Bademantel an und stelle mich auf den Balkon, Kippe an, Sonnenstrahlen, die mich zum Niesen bringen. Und muss mich setzen. Autsch, scheiß Gesäßknochen. Kissen nehmen. Besser.
Dann schleppe ich mich ins Badezimmer, nehme eine Nagelschere zur Hand und malträtiere meine Nägel beziehungsweise das, was von ihnen übrig ist.
Als ich in der ersten Klinik war fand ich es erstaunlich, dass die meisten Magersüchtigen extrem kurze und kaputte Fingernägel mit blutiger Nagelhaut hatten.
Mein Kopf schwirrt vor weißem Nebel und kranken Vögeln, die ekstatisch flattern.
Leben ist das nicht. Aber es gefällt mir besser als die Wochen zuvor.

Samstag, 2. März 2013

Besuch von der roten Tante.

Ich werde jetzt nichts zu T. sagen, zum Wiedersehen, den Gefühlen, dem Schmerz, dem Streit. Der erneuten, entgültigen (?) Trennung.
Ein andermal.

Ich möchte über ein ach so banales und dennoch elementares Thema in meinem Leben schreiben: die Periode.
Ich habe sie mit zwölf bekommen, ganz normal eigentlich. Eine Freundin war da und wir haben mit meiner kleinen Schwester im Garten des benachbarten Wohnblocks Reitschule gespielt. Plötzlich spürte ich ein Ziehen und... Es war ekelhaft. Ich erzählte niemandem davon. Ich stopfte mir Watte und Taschentücher in eine frische Unterhose und legte mich schlafen, am nächsten Tag kaufte ich eine Packung Riesenbinden, die mir wie Windeln vorkamen.
Es war nicht unbedingt ein "Wendepunkt", ein wichtiges, einschneidendes Ereignis. Ich litt nur sehr unter meinen "Tagen". Sie kamen extrem unregelmäßig und extrem stark. Ich erinnere mich an das Sylvesterfest mit dreizehn, welches ich komplett auf dem Klo verbrachte, blutend wie ein frisch geschlachtetes Rindvieh. Ich heulte. Meine Gastgeberin, eine etwas ältere Freundin, klopfte und rief mir zu, ich sollte doch ihre Tampons benutzen. Geht es noch peinlicher? Nicht nur, dass ich für Stunden das Bad bei Fremden blockierte. Ich schaffte es auch nicht, dieses kleine, fiese, viel zu dicke (Super Plus) Watteding in mich hineinzustecken. Ich ekelte mich vor mir selbst, hatte keine Binden mehr, Blutflecken auf denm Schreibtischstuhl meiner Freundin...
Kurz gesagt: Ich hasste es, dass mein Körper blutete.
Mich überkam Panik, als meine Brüste größer wurden. Stundenlang probierte ich T-Shirts und Pullis vor dem Spiegel an, darauf bedacht, dass sie möglichst viel von meiner frisch erblühten Weiblichkeit kaschieren mochten. Ihr müsst wissen, ich war zu dieser Zeit mit ein paar Nerd-Jungs befreundet, wir redeten über den Herrn der Ringe und die frühreifen Tussis aus der Parallelklasse, und das letzte, was ich haben wollte waren Brüste.
Ich bekam sie natürlich trotzdem. Meine Mutter kaufte mir ungefragt BHs und Binden. Ich begann, mich ein wenig zu arrangieren damit, dass ich breiter und rosiger wurden. Es blieb mir ja nichts anderes übrig. Bis dato war ich immer groß (1,70) und schlaksig (47kg) gewesen, das änderte sich nun. Ich wuchs noch ein wenig, meine Hüften wurden fetter ect. Wir kennen das alle.
Hinzu kam eine unschöne, hartnäckige Form von Akne; gefolgt von einer Zahnspange, was mich in meinen Augen vollends entstellte. Es gibt Bilder aus meiner frühen Pubertät, bei deren Anblick ich mich heute noch schäme. Gelbe Zähne hinter einem "Gartenzaun", beides Dinge auf die mein Vater mich regelmäßig hinwieß. Pickel auf der Nase, dem Kinn. Ein Körper, der sich nicht entscheiden kann ob er nun "Vollweib" oder androgyn sein soll.
Ich wurde Vollweib. Meine Brüste wuchsen und wuchsen.
Meine innere Veränderung, meine Identitätssuche war aber sehr viel bemerkenswerter: Ich beschloss irgendwann mit fünfzehn (als ich ohnehin als Streber, Hässliche und Lehrerschlampe galt), eine Maske zu tragen.
Ich schminkte mich sorgfältig, aber zurückhaltend (Make-up, Wimperntusche, Puder), schnitt meine langen Haare auf Kinnlänge ab, trug H&M-Blazer zu Röcken und schlichten Jeans, Stiefeletten mit kleinem Absatz. Ich wirkte wie fünfundzwanzig, kurvig, selbstbewusst, hochintelligent.
Ich flirtete heftig mit einem Lehrer an meiner Schule. Schrieb Bestnoten. Wurde überheblich und arrogant. Nach außen hin.
Innen drin hasste ich mich mit einer unvorstellbaren Intensität. Ich rannte jede Pause auf das Mädchenklo, um mein Make-Up zu kontrollieren - projezierte meine Unsicherheit komplett auf meine Optik. Ich fand meinen Körper unförmig und scheußlich. Klar, wenn man bei jedem Stress zum Automaten rennt und sich eine Tafel Ritter-Sport reinzieht. Ich futterte wahnsinnig viel, auch wenn ich es in Relastion stelle zu meinen Fressanfällen letztes und vorletztes Jahr: Es war VIEL.
Ich nahm zu. Mondgesicht, Fettarsch, Du-Siehst-Aus-Wie-Scheiße. Alles cool. Ich war klüger als diese Typen, auch wenn es mir offenkundig nichts brachte. Was ist Intelligenz und Eloquenz unter Pubertierenden wert? Bei uns galt: Je schlauer, desto Mobbing. Umgekehrt galt das Naturgesetz: Je Mädchenhafter (Kichern, Naivität, dünner Körper, keine großen, beängstigenden Rundungen, kleine, saubere Tampons statt riesiger Binden-Windeln), desto beliebter bei beiden Geschlechtern. Meine Mutter sagt heute - die anderen waren eingeschüchtert. T. hat immer gesagt - die Jungs haben sich nicht getraut, dich anzusprechen.
Pustekuchen Leute, ich war dabei. Sie haben mich gehasst.
Was mich nicht groß störte, ich schwärmte für Männer jenseits der 40.
Der Punkt, auf den ich hinauswollte, ist jener: Ich bin wahrscheinlich auch deswegen so verkorkst, weil ich die Pubertät nie als das gesehen habe, was sie ist - ein notwendiges Übel, eine amüsante Findungsphase - sondern sie abgelehnt habe.
Ich wollte, wenn schon, dann erwachsen sein. Ich verachtete mein gleichaltriges Umfeld für ihre ersten Parties, auf denen Mixbier floss und peinliche Chart-Musik gedudelt wurde. Ich verachtete "Girls" und "Boys", die einander "süße" SMS schrieben und "flirty" und "cool" waren. Ich wollte nicht zu ihnen gehören. Nicht, dass ich eine Chance gehabt hätte, zu ihnen zu gehören, wenn ich das gewollt hätte. Niemals. Ich war zu... was auch immer für die.
Lustigerweise wurde ich, als ich mit siebzehn richtig schön dünn war, plötzlich zum "angesagten Hingucker" in der Stufe, zumindest bis ich die Schule für meinen Klinikmarathon verließ.
Heute bin ich sehr traurig darüber, diese unbeschwerten Jahre so verstreichen haben zu lassen. Die ganzen Dinge, die meine Schwester erlebt und durchgemacht hat - ich werde es nicht mehr nachholen können. Der Zug ist abgefahren. Ich bin jetzt zwanzig und sollte verdammt noch mal erwachsen und reif sein.
Ich trage Narben aus dieser Zeit, keine sichtbaren. Klar wurde ich geschlagen. Klar beschimpft, geschubst, gehasst. Was mir heute noch bleibt, ist aber das verzerrte Selbstbild, die nicht vorhandene Identität - weder Erwachsen, noch Kind, schon gar nicht Pubertär. Ich bin irgendwo zwischen den Sphären gelandet. Und wie trage ich diesen inneren Konflikt aus? Richtig, über meinen Körper.
Und hier schließt sich der Kreis. Meine Periode. Ich habe fast geweint, als ich sie vor drei Tagen bekommen habe. Bei diesem BMI hatte ich noch nie meine Tage! Ich bin wahnsinnig fett! Ect. Ich habe eine BIA-Messung gemacht und siehe da: Mein Körperfettanteil liegt trotz Untergewichts (52kg) im Normbereich. Ich habe erschreckend wenig Muskulatur. Ja, ich weiß, kein Wunder, wir kennen das alle, der Körper baut in Hungerphasen zuerst Muskelmasse ab und so weiter.
Das Blut, das aus meinem Unterleib kommt, spricht seine eigene Sprache. Es schreit mich förmlich an: Du bist eine Frau. Du bist da, um Männer zu befriedigen. Du bist eine geile alte Schlampe. Du brauchst Sex, du brauchst Fett. Du bist fett. Du bist bedürftig und schwach, du bist deinem Körper ausgeliefert.
Und ich schreie zurück: Das werden wir doch mal sehen, du Scheiß-Blut! Ich brauche dich nicht, um mich daran zu erinnern, dass ich eine Frau bin - ich will es nämlich gar nicht sein. Und jetzt verpiss dich und lass mich wieder Kind werden.

Kind sein. Keine Tage. Keine Erwartung. Kein ekelhafter Sex. Wie sehr ich es liebe.