Mittwoch, 14. November 2012

Hunger.

Kennt ihr das?
Diese Tage, an denen man schon von an Übelkeit grenzendem Magenknurren geweckt wird?
Und nein, nicht etwa weil man unterernährt ist. Auch nicht, weil man am Tag zuvor nach 17 Uhr nichts mehr gegessen hat.
Sondern, und das ist das ungerechte, weil man gegessen hat. Welch abartige Ironie. Ich esse, und bekomme Hunger. Ich esse nicht, und bekomme nach einer angemessenen Anzahl von Tagen, die ich mich von Minimalportionen eiweißhaltiger und nicht sättigender pseudo-Lebensmittel ernährt habe, Hunger.
Hunger fühlt sich für mich an wie ein riesiges Loch, ein unendlich tiefes Loch in der Magengegend.
Ich liebe ihn, weil er so fordernd ist. Es ist schier unmöglich, ihn auszublenden, weil er meine Gedanken dazu bringt, um Essen zu kreisen. Aus demselben Grund hasse ich ihn auch.
Er ist der Liebhaber, neben dem man aufwacht und schlaftrunken nicht realisiert, wie er schon wieder in mein Bett gekommen ist. Weil man ihn doch eigentlich zu kennen glaubt: Er tut mir nicht gut, er nimmt zu viel Raum ein, er schafft es immer wieder, egal ob ich mich gegen ihn wappne oder ihn herbeisehne, er nimmt keine Rücksicht.
Was macht man mit so einem Kerl? Man streichelt ihn sacht, um ihn nicht zu wecken, und schält sich geräuschlos aus dem Bett. Im Türrahmen blickt man sich noch einmal um und registriert, dass er wach ist. Er hat nie geschlafen. Man geht duschen und hofft, dass er verschwindet, aber der Körper schreit geradezu nach Nahrung - man muss sich wohl oder übel mit ihm auseinander setzen.
Genau genommen gibt es jetzt zwei Möglichkeiten:
Entweder man vertreibt ihn unsanft, indem man Essen in sich reinstopt, bevor man zur Therapie fährt, um ihn dann in der Straßenbahn - unter den gemeinen Blicken der Fremden ("Alle starren auf meinen fetten Bauch, ich bin so voll und gefräßig, ich bin ein Schwein!")  - heimlich wieder herbeizusehen, weil man sich in seiner Anwesenheit weniger schutz- und wertlos fühlt.
Oder man kapituliert vor seiner Anziehungskraft und bittet ihn, zu bleiben, man trinkt Kaffee und Wasser und Tee und plant, wann man heute noch etwas klitzekleines essen wird. Aber nur so viel, dass man ihn spätestens beim einschlafen wieder hinter sich spürt, wie er seine schwere Hand in meinen Bauch drückt. Man steht in der Bahn und ist froh, dass es so laut rumpelt dass niemand das Magenknurren vernimmt, man ist erfüllt von schwereloser, verliebter Leichtigkeit und fühlt sich sicher ("Da glotzen sie alle, diese faulen, fetten Schweine, ich bin viel stärker als ihr, ich habe Hunger und das bedeutet, ich bin nicht so vollgefressen wie ihr!").

Der Hunger macht mich melancholisch und euphorisch zugleich, ich kämpfe permanent dagegen an, dass er mich vereinnahnmt (trinke warme Getränke, presse Wärmflaschen gegen das Loch im Bauch) und will doch nicht, dass er geht.
Heute morgen bin ich neben ihm aufgewacht, obwohl ich ihn gar nicht eingeladen hatte. Er flüstert mir zu, er habe mich vermisst, und zwingt mich, auf die Waage zu steigen.
62,5 kg. Ich freue mich diebisch, dass es weniger ist als vor einer Woche, viel weniger, er umfasst meine Taille und raunt: "Ich war die ganze Zeit bei dir, du hast mich nur nicht bemerkt".

Okay, du darfst bleiben, Geliebter. Dir kann ich wenigstens vertrauen.

9 Kommentare:

  1. Ich habe deinen Blog gestern gefunden & ich liebe ihn jetzt schon so sehr. Du hast ein wahnsinniges Talent Dinge in Worte zu fassen :)

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  2. Du sprichst das aus, was wir alle fühlen.
    Ich kann gar nichts mehr dazu sagen, du hast alles was ich fühle schon selbst aufgeschrieben :D

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    1. Zu deinem Kommentar bei mir: Sie hat gemeint, dass mein Umriss so stimmt bzw noch etwas dünner sein sollte, aber ihrer ist dünner als sie in der Realität und sie würde ihn am liebsten noch dünner machen.
      Genau das selbe was ich auch gesagt habe :D

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  3. GENAUSO ist es bei mir auch. Ich habe dir zwar schon so oft gesagt, wie groß dein schriftstellerisches Talent ist, aber ich kann es nur noch einmal wiederholen. Dein Blog gehört seit ich ihn entdeckt habe zu meinen Favoriten :)

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  4. Sehr schön geschrieben :) Schon eigenartig, dass man manchmal vom Essen Hunger bekommt, geht mir nicht anders.

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  5. Wow, wahnsinnig gut und treffend geschrieben!

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  6. kompliment für diesen text! keiner kann sowas besser in worte fassen als du! :)

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  7. wow. was für ein text, genau SO ist das ganze. genau SO! schauerlich wie du das umschreibst,..aber leider alles wahr.
    man weiß, er tut einem nicht gut, er bringt leid und kummer und probleme, aber dennoch vertraut und warm ist die umarmung und man gestattet ihm zu bleiben...

    ich hab dich übrigens getagged ;)

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  8. Irgendwann ist das dann schon in Besorgnis umgeschlagen, als ich nicht mehr aufgehört habe.Wie hat deine Familie reagiert?

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