Sonntag, 28. April 2013

Memo an mich selbst:

"Mir geht es auch ganz gut, ich ärgere mich nur wegen der Wimperntusche.
Habe ein paar schöne Ballett-Filme gesehen und ordentlich Kaffee gesoffen, morgen geht's zum Sport und... ich bin denke ich dabei, mit meinem "Leben" besser klar zu kommen. Allein der Gedanke, ihn umstimmen zu wollen bzgl Treffen heute, weil meine Eltern um halb fünf angefangen haben Wein zu trinken (und mir das exrtrem auf die Nüsse geht), ist idiotisch. Ich will doch nur flüchten. Weg von hier, in einen Menschen hinein, was auch immer. Spreche mir gut zu: Du hälst das / dich jetzt mal aus und machst das beste daraus. Konfrontation und so. Wird schon wieder. Wird gut!"


Nick Cave and The Bad Seeds - Push The Sky Away

Daughter - Get Lucky
The xx - Stars
Interpol - Pioneer To The Falls

Manchmal...

Manchmal wird Ausharren belohnt, manchmal harrt die Lösung drei Straßenecken weiter, manchmal lohnt der Sprung in den Tag ohne Licht.
Manchmal sieht man einen Film und erkennt sein ganzes verrücktes Leben, Identität und Sehnsucht und Vergangenheit, in einer einzigen, blau ausgeleuchteten Bettszene.
Manchmal weint man und lacht und produziert Schlieren mausgrauen Rauches und starrt auf den Bildschirm, erkennt, begreift, verknüpft, erleichtert.
Manchmal ist es leicht, sich nicht zu überessen.
Manchmal reicht die liebevolle Stimme der besten Freundin am Telefon, um Ängsten die Luft zu nehmen, um Zweifel versiegen zu lassen und Vertrauen zu finden in sich selbst.
Manchmal tut es gut, eine Nacht in der Schwebe zu schlafen - Hängematte ohne Hängematte - und dann wieder bedacht zu werden, Tiraden der existenziellen Unlust herunterzuschlucken und sich stattdessen hinzugeben. Manchmal wird es gut. Manchmal braucht man keine Worte, keine Pläne, manchmal ist der Körper ein Sprachrohr und das Herz ein Pfadfinder im Dickicht der unerbetenen Wünsche.
Manchmal genügt man selbst, auch wenn es wacklig und rührend und sumpfig und stürmisch ist.
Manchmal, ich sein.



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Filmtipp:

Musiktipp: Fyfe Dangerfield - Faster than the setting sun
Kalenderspruch des Tages: Loslassen! Alles wird gut.

Freitag, 26. April 2013

Über Hände.

Mein Unterbewusstsein zaubert hin und wieder groteske Kaninchen aus dem Hut.
Ich habe von R. geträumt, dem Politiker. Den letzten Briefwechsel gab es vor einem guten Jahr.
In meinem Traum stand er am Sparkassenautomaten, drehte sich plötzlich um und starrte mich an. Sein Haar war glatter als in meiner Erinnerung, schulterlang und von grauen Fäden durchzogen. Die Augenbrauen dicht und dunkel, eine randlose Brille auf der preußischen Nase, der Wohlstandsbauch von einem karierten Flanellhemd bedeckt, welches ich auf seinem Balkon getragen hatte vor hunderten Nächten.
Wir stolperten aufeinander zu wie im Nebel, er roch wie das Meer und nach Gauloises.
"Seit wann rauchst du wieder?", fragte ich ihn atemlos.
"Ich habe nie aufgehört, dich zu lieben."
"Wieso? Wieso jetzt? Ich dachte wirklich, du wärst durch damit."
Er fuhr sich mit beringter Hand durchs Haar und streifte mit seinem Ellenbogen meine Schulter.
"Das sind nunmal stoffgebundene Süchte, Phoebe. Ich will dich zurück, diesmal für immer. Komm mit mir nach (Kleinstadt an der Nordseeküste)."
Sekundenbruchteile verstrichen bis ich registrierte dass ich seine Hand hielt. R. hat die schönsten Hände, die ich je bei einem Mann gesehen habe. Sie sind feingliedrig und groß und elegant. In meiner Erinnerung wird er immer in der Manteltasche Zigaretten drehen und Krabben pulen, einen schlichten silbernen Ring tragen und mir eine Locke aus der Stirn streichen. Er wird Rosinen in sein Couscous werfen und Sand durch die Finger rieseln lassen, er wird stundenlang durch Bücher blättern jene Zeilen berühren, die er liest.
Seine Hände werden meinen Körper stimmen wie ein Instrument, sie werden fliegen und wirbeln und Grashalme ausreißen. Behutsam die Etiketten von Weinflaschen und die Laken aus dem Motel glätten.

In meinem Traum setzten wir uns auf den warmen Asphalt. Mir fehlten die Worte. In meinem Traum war ich nie über ihn hinweggekommen. Ich glaube, ich erklärte ihm, dass es nicht ginge. Ich weinte und hielt einen Vortrag über Epikur. R. weinte auch. Es war wie unser letzter Abschied am Bahnhof, nur ohne Johnny Cash.
Dann stand ich auf und ging, ohne mich noch einmal umzudrehen, Tofu kaufen.


Phoebe 2011 bei R.



Wer kann barfuß gehen?
Der Mann in der Tonne
Ich
betaste dein Knie
manipulativ
trage ich mein Sommer-Gesicht
zu roten Augen klammen Silben nacktem Sog-
Geh mir aus der Sonne.

Mittwoch, 24. April 2013

Male mir deine Innere Leere.

"Jetzt natürlich die Frage - vor was hast Du Angst, allen nicht gerecht zu werden und wer sind die 'Alle' und was machen die 'Alle' und haben die 'Alle' eine Sozialversicherung oder sind es auch nur kleine Dämonen auf den Eltern, die Skat spielen und warten, dass sie einen piesacken können ?
Was ist Deine innere Leere ? Ist Deine Innere Leere ein Raum ? Groß ? Klein ? Verwinkelt ? Male mir doch mal bitte Deine innere Leere / beschreibe sie.
Also Phoebe (ich fange selten so an), Weltschmerz, welche Art von Weltschmerz ? Das alles doof ist ? Das nichts passt, das Alle (da haben wir wieder Mr./Mrs Alle) was gegen einen haben, bitte definiere das genauer.
Ich weiß, das sind alle psychologische Fragen, aber ich bin nicht Deine Psychologin, ich will Dir helfen, das ist alles und ich frage auch um Dich besser zu verstehen / Dich begreifen zu können.
Zum Schneiden, ist es eher die Angst vor der Tat bei Dir oder das Gefühl beim Schneiden, bitte erkläre es mir.
Ich sehe das auch so, vor allem, Du darfst stolz auf Dich sein, Du bist weiter als damals, als Du Dich geschnitten hast, schaue zurück und sehe Dir den Weg an den Du gegangen bist. Du hast mehr erreicht, mehr erfahren, Du hast Dich von einem Übel befreit, (ich meine Mr. T), gehst neue Wege, die nicht einfach sind, aber Du gehst sie."


 Okay. Durchatmen. Teer husten. Los!
'Alle' sind sowohl sozialversicherungspflichtig Beschäftigte als auch kleine, fratzige Dämonen (die Mau-Mau spielen, Skat beherrschen sie nicht). Ich habe Angst vor der Konfrontation mit meiner Mutter, Angst, dass sie mich nicht (aus)halten kann, weil ich zu kompliziert und verrückt und teuer und mindestens 15 Kilo zu schwer bin, mindestens 15 cm zu groß. Ich habe Angst, dass sie vielleicht Recht hat und ich mich nicht hinreichend um einen Job bemühe. Sie hat mir vorgeworfen, dass ich alle Süßigkeiten wegfressen, die "privaten" aus ihrem Schlafzimmer. Geht's noch symbolgeladener? Freud hätte seine Freude an uns. "Kannst du nicht einfach das Nutellaglas leeren und die Marmelade und den Frischkäse und dir Pizzen backen?" - "Habe ich doch schon. War leer. Tut mir leid, dass ich so krank bin, Mama, ich habe auch keinen Spaß daran, glaub mir. Und es tut mir besser, wenn du mich nicht so unter Druck setzt im Bezug auf die Arbeit. Ich kümmere mich täglich darum!" Facepalm. Sie zetert, sie wäre ja wohl die jenige, die unter Druck steht - selbst arbeitssuchend - und alle wollen ständig Geld von ihr. Meine Versicherung, meine Fernschule, mein Fitnessstudio, meine Schwester, ich.
Ich habe Angst vor mir selbst und vor meinen Gefühlen, weil ich sie nicht mal ansatzweise begreifen kann. Ich bin exhibitionistisch ohne Mantel, ohne Selbstschutz, ohne Begrenzungen.
Meine Dämonen klatschen rhythmisch Karten auf den Tisch - die Binge-Karte, die Trauma-Karte, die Selbsthass-Karte. Mein Kopf ruckelt unter dem Gestampfe ihrer hässlichen Füße.
Meine Innere Leere ist ein Vakuum. Da ist nichts: keine Wände, keine Gefühle, kein Denken, nur NICHTS. Mein Körper sagt "Panik" und mein Kopf fühlt sich an, als hätte man ihn ausgesaugt, rien ne va plus. Ich höre, sehe, schmecke noch, aber alles ist extrem weit weg und wird nur auf der unbewussten Ebene registriert. Es ist eigentlich ganz heimelig in der Inneren Leere, wenn auch kalt und langweilig. Aber wenigstens sicher. Nicht erreicht mich, nichts berührt mich, ich könnte auch tot sein.
Weltschmerz! Haha! Mein Weltschmerz zieht folgende Gedankenschleife mit sich (in der Art von klappernden Blechdosen hinter einem Hochzeitswagen): Die Welt ist beschissen. Nichts und niemand kann sie besser machen. Die Existenz ist sinnlos, insbesondere meine eigene. Ich werde nie etwas "schaffen" können, nie etwas bedeutungsvolles leisten. Dafür ist hier auch kein Platz. Die anderen (Mr und Mrs Alle) sind auch beschissen, jawohl. Egoistisches Pack. Idioten. Mich inbegriffen. Was spielen wir hier eigentlich, wann fangen endlich die Zuschauer an mit den Buhrufen? Warum starren sie uns, mich, alle so an? Darf ich bitte hinter die Bühne gehen und meinen Kopf gegen den Garderobenspind schlagen? Den sinnlosen, der Ontologie entlehnten Garderobenspind. Hinein! Weg! Aus.
Das Schneiden, der Druck, sich zu verstümmeln... Der Reiz liegt nicht nur in dem Moment, in dem das Fleisch sich teilt und die rote Suppe herausrinnt (Mundwinkel, Mündigkeit!) oder die Haut verkohlt und stechend brennt unter einem Zigarettenstummel. Genauso befriedigend ist es, noch Tage später eine Narbe zu sehen (und immer wieder zu öffnen), die leise murmelt: Du hast dich schon bestraft, es ist okay. Immer, wenn der Druck wieder kommt, verweise ich auf eine frische Wunde und die Dämonen nicken anerkennend. Ich sitze hier ganz ruhig und spiele in Gedanken wieder und wieder durch, wie ich die Rasierklingen aus dem Papier nehme, sie feierlich ansetze und Blut. Ich tue es nicht. Ich will es nur.




Wund und heiter. / Suffer well, my dearest past.

Was gibt es schöneres, als mit der kleinen Schwester um 6:12 in der Früh aufzustehen, Morgenmagazin (das "gute", also ARD) und Kaffee und Austausch der gestrigen Ereignisse? Ihr ein Pausenbrot zu machen, während sie sich anzieht?
Vermutlich wenig, zumindest für mich. Da macht es auch nichts, dass mein Bett komplett Kaffee-getränkt wurde - ich wollte eh mal wieder das Laken wechseln.

Gestern Abend Lulu vs. Phoebe:
Lulu war auf einer Demo gegen die Räumung des "Institut für vergleichende Irrelevanz" in Frankfurt. Polizei in Kampfmontur, "Lassen Sie mich durch, ich bin Sanitäterin". 
Sie kam um kurz nach 23 Uhr vollkommen abgeschafft nach Hause und hörte Harry Potter und der Orden des Phoenix zum Einschlafen.
Phoebe war bei T.s Wohnung, um ihr Fahrrad abzuholen (wäre natürlich cool gewesen, den Schlüssel für das Fahrradschloss am eigenen und nicht an seinem Schlüsselbund zu tragen), missglückt. Sie schmetterte seinem Haus bedeutungsschwere Zeilen von Depeche Mode entgegen: "Where were you when I fell from grace? A frozen heart, an empty space! ...Just hang on - suffer well! Sometimes it's hard, it's hard to tell", und ihr schien als wäre das Lied eigens für diesen Moment komponiert worden.
Sie spazierte einmal quer durch Offenbach und spielte dann "Raupe Nimmersatt Allein Zu Haus".
Lennard lud sie zu sich ein. Sie nahm dankend an - nichts wie raus aus dieser Fress-Folter-Zelle.  Es wurde ein wundervoller Abend.
Er küsste sie in der Küche, bis sie den Verstand zu verlieren drohte ob des dekadenten Hormon-Cocktails in ihrem Blut, ungestüm und heftig und zärtlich; rauschende Körpern und Kleider auf dem Küchenboden und der Wasserkocher hatte sein Pfeifen längst selbstvergessen eingestellt. Noch dreidimensionale Ewigkeiten später auf dem Sofa, als sie eine arte-Doku über die Öko-Revolution sahen, zitterten ihre Hände und Beine.
Ihre Zehen krallten sich an den Couchtisch wie Affenfüße. "Welcher Großindustrielle investiert zu Zeiten der Wirtschaftskrise schon gerne in die Zukunft?", fragte der Kommentator. Ist das nicht der helle Wahnsinn? Worin sonst investieren? Was nützt der Erhalt des Status Quo, wenn keine Brücken in die nachhaltige Zukunft geschlagen werden in Ermangelung der finanziellen Mittel? Utopia ect. Phoebe und Lennard echauffierten sich angemessen, tranken Spezi mit Eiswürfeln und domptierten die schwarzen, herrenlosen Hunde.
Wieder zu Hause genehmigte sie sich noch einen Caro-Kaffee und eine letzte Zigarette und schlief mit seligem Lächeln ein.

Mein weiser MP3-Player spielte übrigens "Love will tear us apart again", als ich T.s Straße verließ. Er hatte das Lied immer gehasst.

Ein kleiner Gruß aus dem Phoebeversum (ungeschminkt und mit der obligatorischen Zigarette):








Dienstag, 23. April 2013

Lose Eindrücke.





Impressionen von einem sinn- und ziellosen Frühlingsspaziergang.

Sometimes you are the wasp and sometimes you are Kinski.

"Ich gehe zu Fuß. Ich laufe bis zur Clayallee. In einer Seitenstraße muß die Villa sein. Ein junger Student der Hochschule für Bildende Künste hatte mir vor langer Zeit angeboten, bei ihm und seiner Mutter zu wohnen. Sie wohnen in einem hölzernen Gartenhäuschen auf dem Grundstück der Villa des englischen Botschafters, in der sie als Reinemachfrau arbeitet. Ich liege tagelang mit dem Gesicht in den Blumenbeeten und schlafe die ersten Nächte im Freien. Ich muß erst wieder anfangen zu leben. [...]
Ich bin fest überzeugt, ich habe die Erwachsenenhölle überwunden, denn ich bin auch körperlich wieder zu Kräften gekommen, als eine Wespe an der Fensterscheibe mich mit ihrem Gesurre zur Weißglut bringt, während ich am Tisch sitze und Briefe schreibe. Ich öffne das Fenster, aber sie fliegt nicht raus.
Eine Weile ist alles still. Dann fängt sie wieder von neuem an zu surren und mit dem Kopf gegen die Fensterscheibe zu fliegen. In meiner augenblicklichen Überempfinlichkeit erscheint mir das Gesurre so überdimensional, dass ich mir die Ohren zuhalten muss. Das dauert mehrere Stunden. Immer wenn ich die Fäuste von meinen Ohren nehme, setzt die Wespe ein, als beobachte sie mich und warte nur darauf.
Ich schlage nach ihr, aber ich treffe sie nicht. Sie versteckt sich. Und sobald ich mich wieder an den Tisch setze, weil ich denke, dass sie weggeflogen ist, beginnt die Tortour von neuem. Ich presse mir die Fäuste so lange gegen die Ohren, bis ich glaube, dass sie die Quälerei endlich satt haben muss. Als ich die Fäuste wegnehme, geht es von vorne los.
Ich bleibe noch eine Weile sitzen, ohne mir die Ohren zu verstopfen, wobei ich die Wespe aus dem Augenwinkel verfolge, während ich so tue, als ob ich schreie. Dann reiße ich die Tischdecke mitsamt der Tinte und allem, was sonst noch darauf steht, vom Tisch und schlage die Wespe mit der Tischdecke zu Boden. Sie ist nur betäubt. Ich erwürge sie mit einem Wollfaden und verbrenne sie über der Gasflamme.
Während ihr verkohlter Körper knistert und sie langsam verglüht, begreife ich, dass sie nichts dafür kann, was die in Wittenau mit mir gemacht haben, und ich schäme mich, dass sie dafür büßen musste."
Klaus Kinski: Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund

So fühle ich mich. Aber es ist ganz schön.

Edit 13:39pm : Wenn dieses Dauer-Blockflötengedudel da unten nicht bald aufhört, werde ich zur Kindsmörderin.

Samstag, 20. April 2013

Demo gegen Brei.

Jetzt bin ich wirklich krank, motherfucker yeah!
Mein Kopf fühlt sich an, als säße er zwischen meinen Bronchien, meine Nase läuft und läuft wie der gute alte VW-Käfer, Ohrenschmerzen, Jackpot.
Hinzu kommt ein gewissenloser Drang zum Fettzellen-Ausbau. Schokolade? Schokolade! Weizen? Butter? Kiloweise.
Vorhin fuhr ich mit Lennard - auf dem Rückweg vom Gartencenter - durch die Geisterstadt Dietzenbach, Iggy Pop fauchte aus den Boxen und meine Finger umschlossen die seinen auf der Kupplung.
Wir redeten über Alpträume und Kaffeesahne und Nichtraucher-Autos, teilten eine Laugenbrezel (ich esse das Salz).
Der Sturm im Wasserglas. Er fragte, ob ich über das Brei-Sein reden wollte, meine metaphorische Zustandsbeschreibung aus der letzten Therapiesitzung. Ich negierte und trommelte "The Passenger" auf das Armatourenbrett.
Es gibt Momente, in denen man die eigene Unzulänglichkeit zum Gegenstand machen sollte, dies war keiner davon. Zu viele einfache Kohlenhydrate im Blut, zu viel Rotze in den Nasennebenhöhlen, zu viele Elefanten der Angst auf den krummen Schultern. Meine Wirbelsäule leidet unter einer bestimmten Form der Skoliose, man könnte es auch Buckel nennen. Meine Fähigkeit zum Seelenstriptease vor Männern, die mich in Träumen heimsuchen, steigt umgekehrt proportional zur empfundenen Attraktivität meines Körpers.
Ich finde rot-fleckige Gesichter und glasige Augen in Kombination mit Fressbauch und Herpesbläschen nicht besonders sexy. Kann man vielleicht drüber streiten. Er fand es offenbar auch nicht.
Im Endeffekt gebe ich mir hier und jetzt den Freibrief, weiterzufressen, bis ich wieder auf dem Damm bin. Aus Faulheit und Frustration und einfach, weil ich mir noch mehr Gründe liefern möchte, mich zu bemitleiden.
Nicht dass das falsch verstanden wird - mein Tag war wunderschön. Mein Immunsystem schwächelt nur ein bisschen, wenn es darum geht, Rückenpiekser von divine men oder die Invasion der autodestruktiven Dämonen meiner Seele abzuwehren. Letztere tragen übrigens T-Shirts mit Bansky-Motiven zu stoischen Mienen und schwenken Banner mit der Aufschrift: "Chocolate Killer" und "Drag behind!".
Hübsche kleine Manifestation der Schwäche in Zeiten der Angst.











Freitag, 19. April 2013

Was abgeht.

"Mammoth" von Interpol läuft auf Repeat, mein Herz flattert wie auf Koks und mein Bauch drückt entschlossen gegen den Bund der schwarzen Strumpfhose (schwarz und blickdicht, wie alles an mir).
Habe ich Angst? Yes, Sir.
Die letzten Tage verschwimmen im Nebel von billigen Farben, Rausch und suspense. Verlogene Ambivalenzen. Da sind Bewerbungen für Nachhilfeschulen, die ich halbherzig vorbereite. 800 kcal, die ich im Fitnesstudio lasse. Da ist Lennard, der einen verzweifelten Dr Faust rezitiert, mit rudernden Händen auf dem Sofa und Kippe im Mundwinkel. Da ist mein Spiegelbild im Autofenster: zerrupft, rote Nase, verschmierte Schminke in der Fresse, die Haare tannenbaumförmig herabhängend, fahler Geschmack auf der Zunge.
Da ist meine Therapeutin, die in alten Wunden bohrt: Was ist mein eigenes? Warum bin ich so ein hässlicher, anstrengender Mensch? Da ist die rotgelockte, füllige Verkäuferin im Veganz, die fragt, ob wir denn ein Paar seien, er und ich (Lennard antwortet: "Zu 80% ja" und drückt meine schwitzige Hand). Da ist die verspiegelte John-Lennon-Gedächtnisbrille von Lulu, die mir von der Nase rutscht. Da sind die Fressgelage (10.000 kcal, nicht ganz vegan), die ich zelebriere, um von dem großen schwarzen Loch im Inneren abzulenken, welches nur schluckt und saugt und tötet.
Da sind Kinski und Heidegger und Crystal Renn in meinem Bett und meine fiebrigen Lese-Augen, schlaflos und rasenden Herzens auf der Flucht in Buchstabenreihungen ohne Zusammenhang. Da ist die Autofahrt mit meiner Mutter, Einblicke in ihr Seelenleben und die Beziehungskisten unserer Bekanntschaft - berührend und ermattend zugleich.
Da ist das Stolpern durch den Odenwald mit meinem Opa, Stock und Stein und grauer Himmel und Laufmaschen von wilden Rosen, über die ich krieche. Da ist Sodbrennen und Hass und Ekel vor meiner Person. Da sind fadenscheinige Lügen und Verlustängste und Planlosigkeit und Hyperaktivität und emotionale Prostitution und Sehnsucht und eine tropfende Nase am Morgen, Ohrenschmerzen und immer Lügen, Lügen und Angst.
Eine Eruption von Worten auf mein fleckiges Bettlaken.


Ach! könnt ich doch auf Bergeshöhn
In deinem lieben Lichte gehn,
Um Bergeshöhle mit Geistern schweben,
Auf Wiesen in deinem Dämmer weben,
Von allem Wissensqualm entladen,
In deinem Tau gesund mich baden!



Dienstag, 16. April 2013

L e t h a r g i e.

Ich liege seit fünf Stunden auf meinem kleinen, weichen Bett, umgeben von lautem Vogelzwitschern, drapierten Tabakpäckchen, zerpflückten Büchern, blitzenden Haarnadeln und dreckigen Kaffeetassen, und existiere bloß.
Eigentlich ganz schön, nichts zu tun, auch wenn der Kopf eine Liste an Dingen bereithält, die man tun sollte.
Ich bekomme kaum einen Gedanken zu fassen, streife ihn höchstens mit den Fingerspitzen, treibe vor mich hin. Wenn Sonntag wäre, hätte ich nicht einmal ein schlechtes Gewissen dabei. Aber es ist fucking-Dienstag und ich bemerke meine Unlust, sich mit der stetig wachsenden to-do-Liste zu befassen, die irgendwo im Frontallappen meines Gehirns pulsiert.
Zum Sport gehen, Bewerbungen abschicken, Bankunterlagen sortieren, Telefonate führen, ein Paket mit den CDs meines Onkels zur Post bringen, wenigstens mal die Beine aus dem Bett heben.
Stattdessen wische ich in weitem Bogen um den dampfenden, spritzend-heißen Brei herum. Es riecht angebrannt, doch auch das tangiert mich nicht wirklich. Ich habe ein Laptop, Zigaretten, Cola zero und ein Handy. Erschreckend der Gedanke, dass ich wahrscheinlich noch tagelang so weiterlethargieren könnte.
Zum Essen würde ich mich aufraffen, ja. Um Menschen zu sehen. Vielleicht um eine DVD aus dem Wohnzimmer zu holen. Hin und wieder für Sex (vor allem, wenn er so ist wie heute Nacht).

Ah, ich vermisse meine Motivation. Schätze, sie ist morgen wieder da.

Montag, 15. April 2013

22° / Grenzen und Panorama.



Augenaufschlag - Sonne! Einen Kaffee kochen, Zigarette drehen, los geht's.

"Man sollte, ich sollte erst mal lernen, Raum für mich sinnvoll zu füllen und das zu genießen, dann kann ich es sicherlich auch fordern. Meine Therapeutin ist da ganz zuversichtlich."
"Ich glaube das lernst Du auch noch. Vielleicht kann ich einen kleinen Beitrag leisten."
(Phoebe und Lennard schriftlich gestern Abend via the blue monster)

Ich hatte eine kleine Meinungsverschiedenheit mit meiner Schwester, kommt hin und wieder vor. Lulu hält ihren Freund zur Zeit ziemlich auf Abstand, reagiert nicht auf Anfufe und zuckersüße SMS.
Ich, der dieses Verhalten relativ fremd ist, versuchte ihr ins Gewissen zu reden: Weißt du eigentlich, wie scheiße man sich fühlt, wenn man mit Wänden redet? Kannst du nachvollziehen, wie sehr Abweisung verletzt? Wie klein und hilflos du dein Gegenüber machst, indem du es hinhälst und am ausgestreckten Arm verhungern lässt?
Lulu wurde regelrecht wütend. "Misch dich da nicht ein, du hast keine Idee, wie scheiße er mich behandelt."
Schwestericher Beschützerinstinkt geweckt. Ich hakte nach. "Egal wie häufig ich betone, dass etwas wichtig für mich ist, es gibt immer Dinge, die ihm wichtiger und wertvoller erscheinen, als mir ein einziges Mal richtig zuzuhören. Stell dir vor, du breitest dein Innerstes aus, komplett. Und dann wartest du und wartest, auf eine Reaktion, auf Anteilnahme, darauf, dass er zumindest registriert, was du da redest. Und es kommt - nichts!", sie wird lauter, "Wie oft habe ich ihm von dem Isreal-Projekt erzählt? Ständig? Und dass ich wahrscheinlich vollkommen eingespannt wäre und diese Woche wohl keine Zeit für ihn hätte? Und er? Er schreibt mir am Abend des Abschiedsessens, ob ich mit ihm und Muffin in die Bar gehen würde? Holzkopf?! Nur ein einziges Mal ernst und wahrgenommen werden, nicht als die, die er gerne hätte, sondern als die, die ich bin!"
Ich musterte betroffen ihre IKEA-Bettwäsche.
Natürlich hat sie das Recht, Raum und Zeit für sich zu beanspruchen, ihrem Freund abzusagen. Gerade wenn sie eine Woche quasi rund um die Uhr mit den Israelis und dem Filmprojekt beschäftigt war.
Ich überlegte lange, was ich sagen könnte. Gab ihr einen Kuss und veranstaltete meinen ersten veganen Fressanfall. Legte mich ins Bett, ohne die Kriegsbemalung abzuwaschen.
Meine innere Analytikerin sieht das Vollstopfen indes als Sublimierung meines Mankos an Selbstwirksamkeit: Ich vergleiche mich und meine Bedürfnisse mit denen meiner kleinen Schwester (und ihrem bunten, aufregenden Leben) und fühle mich eindimensional. Vielleicht sehe ich zu viele Parallelen zu Lulus Geltungsbedürfnis, die mir Angst machen, vielleicht zu viel Ähnlichkeit mit ihrem Freund, der nach Aufmerksamkeit und Bestätigung giert und die Pläne und Ideen seiner Lieben blauäugig ignoriert.
Ich weiß es nicht.
Stelle jedoch erleichtert im Badezimmerspiegel fest, dass mein Sixpack trotz Müsli-Orgie und Sprite und dem göttlichen vietnamesischen Essen mit Lennard gestern Nachmittag sichtbar bleibt, wenn ich die Muskeln anspanne. Die ewige Flucht in den Spiegel: Mein Körpergefühl war am Wochenende ziemlich gut. Ich fand mich von Zeit zu Zeit extrem hässlich, aber durchtrainiert und schlank. Immerhin.

Mein Horizont erweitert sich stetig. Ich bereichere mich um Erfahrungen zwischenmenschlicher, kulinarischer, kultureller, sexueller, emotionaler, buddhistischer, haptischer Natur. Alles binnen 48 Stunden.
Und auf paradoxe Art und Weise gewinnt der Weg, den ich vor mir sehe, an Begrenzung und Struktur. Möglicherweise schließt es sich nicht aus - das weite Sichtfeld und die Offenbarung einiger Straßenschilder, die mich beruhigen. Hier geht's lang, das passt schon. Ein Auto mit Panoramablick und Navi.

Der Sommer zieht mich zum ersten Mal seit Jahren in seinen Bann.

Samstag, 13. April 2013

Spielplatz.

Lennard hat mir eine App installiert, die die unzähligen Anrufe und SMS von T. blockiert, irgendwie Hamlet-mäßig. Wir nähern uns wie Kinder mit übergroßer Ratio. Wir bauen Pahntasmen und Orgasmen auf zerrüttetem Grund, wenn ich neben ihm liege, kann ich schlafen.


Freitag, 12. April 2013

»Hier sind meine Legitimationspapiere.«

Und die Nacht hat mich wieder.
Einschlafen mit Regentropfen, die wie Finger auf mein Dachfenster klopfen?
Mit dem Kopf im Bauch, wo sich neben allerlei Gemüse, Tofu und Mandelmilch geballte Fäuste und Flugzeuge tummeln?
Diese Ausdehnung nach Innen, ein fernes Ziehen (welches ich sogar verorten kann): die Füße sind zu warm und die Beine zu dick und die Knochen zu spitz und das Kopfkino zu hartnäckig.
Ich höre Daughter und lasse mich fallen in das milchig-trübe Gefühl.
Wenn ich versuche, zu schlafen, drängen sich aufdringliche Sinneseindrücke scharf gestochen in mein Bewusstsein - zunächst Bilder, dann Worte, Gerüche, zuletzt die Ahnung von Körperlichkeit. Mein Gehirn ist der identitätslose Wächter bei Kafka.
Alles wird vorgeführt und zerpflückt, analysiert, interpretiert. Es kann nicht einfach gut sein.
Selbstzweifel: Ich will zu viel. Ich fordere. Ich dränge. Ich übe Druck aus, und sei subtil.
Ich balanciere in schwindelerregender Höhe zwischen Akzeptanz und Ungeduld.

Durchkämme deine Worte mit Augen und Händen und will nur einen Fingerhut voll Sicherheit.







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Liebe Leser, seht mir nach, dass ich augenblicklich so unstrukturiert, (gedanken-)sprunghaft und metaphernlastig bin. Das gibt sich schon wieder.

Donnerstag, 11. April 2013

Between two lungs.

And my running feet could fly
Each breath screaming
"We are all too young to die"


Ich bin so unendlich dankbar für jede verfickte Sekunde, die ich am Leben bin.

Now all the days of begging
The days of theft
No more gasping for a breath
The air has filled me head-to-toe
And I can see the ground far below 


Ich renne und renne und Schweißtropfen spritzen auf das Laufband. Die Augen weit geschlossen, nichts als Weite und Kraft und Glück, das aus jeder Pore rinnt.
Flucht nach vorne - schneller, schneller, wachsen, atmen - und ihr großer Schatten Sehnsucht.
  Ich sage zu Frau L., dass ich große Angst habe, dass irgendwo in dieser Weite vor mir, unsichtbar im grellen Licht, das Destruktive, Einsame, Lieblose auf mich wartet. Angst vor den Löchern, in die ich fallen könnte, so schnell wie ich laufe und so blind, wie ich fühle. Sie antwortet, das Destruktive stehe nicht vor, sondern hinter mir. Ich schlucke und denke nach.
"Dann bin ich es selbst, der ich begegnen könnte." - "Sie selbst, ja. Mit all ihren Schwächen und all dem, das Sie nicht zu integrieren gewillt sind. Vielleicht begegnen Sie sich und können diesen einzigartigen, kompletten Menschen lieben lernen."
Ich muss lächeln, weil mir das Bild gefällt, die Sonne taucht den Praxisraum in weiches Licht. "Und die Angst?" - "Wir sollten uns ansehen, was sie uns sagen will. Sie sind immer noch viel zu streng mit sich, das beflügelt die Unsicherheiten." - "Ich glaube, ich verstehe etwas. Das Destruktive in mir, das ist die Summe aller Dinge, die ich mir nicht verzeihen kann. Aber vielleicht geht es gar nicht um die Schuld oder die Verantwortung für etwas, das war." Frau L. nickt und lächelt. "Laufen Sie los."
Ich laufe also, zitternden Knies, voller Sehnsucht und Angst und mit schwer pumpenden Lungen, und es fühlt sich richtig an, einfach in Bewegung zu sein.

I have this breath
And I hold it tight
And I keep it in my chest
With all my mgiht
I pray to God this breath will last
As it pushes past my lips
As I gasped

Between two lungs it was released
The breath that passed from you to me 


Ich bin so scheiß-glücklich, dass ich überlebt habe. Könnte die ganze Zeit fluchen.
Ich bin nicht gesund. Ich nehme ab, weil ich so erfüllt bin von krabbelnden Insektenlarven im Oberbauch, dass nichts mehr hineinpassen will. Ich bin neurotisch und bis ins Mark verunsichert. Ich ziehe lange, silbrige Spinnenfäden hinter mir her, die mich an meine Vergangenheit ketten, an meine Schuldkomplexe, an Selbsthass und dunkle Kaninchenlöcher.
Aber aus irgendeinem Grund habe ich es nicht geschafft, zu sterben, mich zu vernichten, zu ermorden, also sollte ich etwas anfangen mit dem, was ich habe.
Luft, zunächst einmal.
Unzählige Buchseiten und leere Notizbücher.
Unendliche Kilometer von hier bis nirgendwo.
Und die Neugierde auf das Ich, welches ich finden könnte.




Mittwoch, 10. April 2013

Teppichlesen.

"Es ist richtig, wie Sie sich intuitiv von T. abgrenzen. Sie schaffen sich einen Raum ohne ihn, Sie atmen. Es ist ganz natürlich, dass Sie noch nicht sicher sind in dem, was Sie tun, aber der Weg ist der Richtige. Auch was Sie von Ihrer Mutter erzählen, stimmt mich zuversichtlich - sie muss akzeptieren lernen, dass Sie das Kind sind. Sie und Ihre Schwester, Sie dürfen die Mutter aus bestimmten Gesprächen ausgrenzen..."
Frau L. streift eine aschblonde Locke hinter ihr Ohr und sieht mich an.
Ich nickte langsam.
"Komischerweise denke ich immer noch an das Abnehmen.", sage ich schließlich zögernd. Sie fixiert meinen Blick: "Das ist nicht ungewöhnlich. Da sind so viele Konflikte in Ihnen, unter der geglätteten Oberfläche bebt es nach wie vor. Lassen Sie sich Zeit, das wird sich geben."
Ich betrachte ihren komischen, neuen Teppich - weiß und flauschig und ein Fremdkörper. Es ist immer ein seltsames Gefühl, nach ihrem Urlaub wieder hier zu sein. Warum brauche ich das? Brauche ich das tatsächlich immer noch? Die Frage springt über in die Realität, beantragen wir sechzig weitere Sitzungen oder nicht? Ich soll darüber nachdenken. Ich denke darüber nach.
So viele Stunden, die ich in diesem Raum verbracht habe. Drei Jahre. Ich sehe mich selbst die Treppenstufen zur Praxis hochsteigen - mit kurzem Haar. Mit 68 kg. Mit 40 kg. Mit schweren Mänteln, mit luftigen Kleidchen, mit rotgeweinten Augen, nach Rauch riechend oder nach Winter, strahlend, schwer atmend, abweisend, bedürftig, laut polternd, mit tanzenden Locken, ungeschminkt, angestoßen, verzweifelt, suchend, euphorisch, zitternd.
Meine Angststörung ist passé, mein Gewicht ordentlich, meine Depression mit Medikamenten und Routinen so eingedämmt, dass sie mich nicht am Leben hindert.
Soll ich bleiben? Einen Rückhalt behalten, einen Fluchtpunkt, eine Oase der Aufrichtigkeit?
Soll ich gehen? Mich von den Spinnenweben lösen, die mich mit der Vergangenheit verbinden?
Und wenn gehen, wohin?

Montag, 8. April 2013

Drehbuch des Möglichen.

Feiner Schwarztee von meiner Schwester, Einkäufe erledigt (ich gehe für ein paar Wochen unter die Veganer), Gespräch mit meiner Mutter über Geld geführt (ergebnisoffen, muss meinen Vater mit einbinden, sobald er sich von seiner Steuererklärung erholt hat).
Zeit, ein bisschen Gelebtes festzuhalten bevor Mo kommt und wir einen Filmnachmittag machen.

Wäre es nicht so gottverdammt schwierig, Worte zu finden für das, was in mir und mit mir passiert. Am liebsten würde ich einen Zauberstab an meine Schläfe halten und ein Denkarium mit silbrig-gasförmigen Schlieren füllen (willkommen bei den Harry-Potter-Nerds!). Damit bildhaft wird, was irgendwo zwischen Kehlkopf und Zwerchfell sitzt und vibriert und zieht und schnurrt. Ich kann nur Filmsequenzen abbilden, die Bildschärfe einstellen, die Schnitte vornehmen. Musik unterlegen, Farbfilter einsetzen und hoffen, dass das Medium wirkt.
Die ersten Szenen sind überbelichtet und setzen sich aus langen Nahaufnahmen von Gesichtern, zitternden Händen und Totalen von Phoebes neuem, großen Zimmer zusammen. Billy Holiday singt. Der Zuschauer registriert schmunzelnd ihre Nervosität und den großen Kaffeefleck auf dem weißen Teppich, Lennards tiefe Stimme und die attraktiven Zigaretten, die er baut. Man sieht die beiden im Auto sitzen und Supermärkte abklappern, The Wombats hören, pastellfarbene Wortteppiche weben, lachen, Zärtlichkeiten austauschen.
In seiner Wohnung dann werden die Bilder wärmer, sattere Farben, ein kleines Rauschen hier und da.

Ingwertee und Kaffee für die koffeinabhängige Phoebe, es folgt die Film-im-Film-Sequenz, in der die Protagonisten auf dem riesigen beige-melierten Sofa liegen und Whatever Works von Woody Allen sehen, wobei die Kamera immer wieder auf die entspannten Gesichter schwenkt. Hin und wieder ein kleines Lachen, ein Murmeln, ein Kuss auf den Kopf oder den Handrücken.
Boris Yelnikoff predigt Nihilimus aus dem Off.
Ein Schnitt auf Lennards Bett, Fotos aus Smaland, Mittagsschlaf, Schnitt zurück ins Wohnzimmer der WG, jetzt voll besetzt mit Penny, ihrem Freund, Howard und den schwarzen Hunden.
Testostreontrunkener Schlagabtausch, Sitcom-eske Dialoge, soziologsche Fallstudien, Weltenfremde, Bond und Minderheiten.
Eine Handkamera folgt Phoebe und Lennard in die Küche, fängt Gemüseschnippeln ein und die Flasche Weißwein zum Ablöschen. Die anderen bestellen Pizza. Es wird gegessen und geraucht und ausgeteilt und geschluckt, ohne zu kauen. Penny und ihr Freund streiten, boxen sich, die Tonspur läuft weiter, wenn unangenehmes Schweigen sich ausbreitet und Worte wie Handgranaten gespielt werden, die keiner fangen will.
Die nächste Einstellung zeigt Lennard und Phoebe im Bett liegend und den Abend Revue passieren lassend. Phoebes Vogelhände malen Kreise und Linien an die Zimmerdecke, das Mondlicht macht sie blau und kranklich und entrückt. Sie fragt nach Frauengeschichten und suggeriert Gelassenheit, doch wir können ihren Puls rasen sehen. Sie hört zu, hakt nach, veräußert Ängste und Bedenken, er erzählt, nüchtern und vorsichtig, flicht seine Finger um ihren Körper, die Mandelaugen halb geschlossen. Im Garten unter dem Fenster spielen sich ihre Dämonen unsichtbare Wasserbälle zu und beißen sich in den Schwanz. Ist das zu groß, fragt er irgendwann in ihren Nacken. Sie versucht, Implosionen in Worte zu kleiden, scheitert an ihrer stolpernden Zunge (die Linse ruht auf ihrem ausgestreckten Fuß in der Luft). Ich erwarte etwas, das mehr ist als "Freundschaft plus" und weniger als ein Ehering, antwortet sie schließlich. Er atmet warme Luft an ihre Schulter. Liebe? Und wenn es nur ein Sommer ist, dann ist es ein wunderschöner, der sich lohnt, zu genießen. Die Sprache wechselt kaum merklich die Ebene, Körper kommunizieren, Bewegungen und Berührungen und kleine, zuckersüße Laute, ohne Sex. Die Stimmen im Wohnzimmer verklingen langsam, Ruhe breitet sich wie eine Decke über die Protagonisten, die sich halten und wärmen und den Moment kosten - whatever works, darauf einigen sie sich wortlos. Glück bekommt eine Farbe und eine Form in dieser Szene, es ist nachtblau und fühlt sich an wie menschliche, duftende Haut. Glück ist diffuses Licht und Aufrichtigkeit und das große Ungewisse, Glück ist der Moment, in dem Dämonen sich unter einem Gebüsch in einer Mulde zusammenkringeln und schläfrig gähnen.
Der Sonntag braucht größere Formate und längere Belichtungszeiten. Wir folgen Phoebe unter die Dusche, sehen sie eine Zigarette mit Howard rauchen und über Navy CIS reden, Lennard einen Tee bringen. Die kleinen Küsse. Die beiden frühstücken wie Könige, mit Blätterteigtaschen und Erdnussbutter und dem weltbesten Kaffee. In der nächsten Szene sitzt Phoeb im Schneidersitz auf Lennards Bett, vertieft in ein Buch, dann sein Schlafgesicht auf türkisfarbenem Papier skizzierend. Sonntagsspaziergang, lange Schatten und Wind und gelöste Gesprächsfetzen, unterlegt mit Hippie-Musik.
Gemeinsames Kochen, Game of Thrones, Körperkontakt, Hinübergleiten in die Tiefenentspannung des Unterbewussten. Wir sehen das halbe Erwachen am Abend, hören Lennards Husten und Phoebes verschlafenen Nonsens. Er fährt sie Heim. Es ist zartbitter und schön und sicherer, als sie aussteigt. Totale auf das wendende Auto, Luftküsse, Abblende, Ende.

Nicht nur meine Sonnenbrillen, auch meine Dämonen wollen hin und wieder gelüftet und entlaust werden. Wenn ich diesen ästhetisch wahnsinnig anspruchsvollen Kurzfilm sehe, spüre ich, dass es gut ist. Dass ich wachsen kann. Ganz allmählich und mit der größtmöglichen Gelassenheit und Ruhe und einem Universum voller ungenutzter Sekunden, die noch bleiben.
Was sagt Emily Dickinson dazu? Hope is the thing with feathers...

Ja, Einschlafen können wäre auch ganz nett.

Amüsanterweise hat es letzte Nacht trotz emotionaler Aufgewühltheit relativ gut geklappt, und heute Nachmittag erst recht - eine Hand auf Lennards Bauch, Game Of Thrones Staffel 1 Folge 3 im Hintergrund und friedlich wegdämmern.
Meine Nächte sind zur Zeit wenig erholsam. Ich grübele, Licht an, rauchen, Fenster auf, Fenster zu, Solitär, weitergrübeln. Hinzu kommt, dass ich, wenn ich dann schlafe, schwitze wie ein Atomkraftwerk. Ich kann Laken und Bettdecke morgens theoretisch auswringen. Schätze, dass letzteres sowohl an meinem unkoordinierten Stoffwechsel als auch an den Nachwirkungen von Valdoxan liegt.
Das Ranking meiner Grübel-Gedanken wird unangefochten angeführt vom leidigen Finanz-Problem.
Ich bin a) chronisch pleite und b) absolut nicht in der Lage, mit Geld umzugehen.
Fixkosten: BASE (16€) + Fitness (28€) + Nahverkehr (ca 90€) + Tabak (ca 70€) = 204€
Unmengen gebe ich für Lebensmittel aus, zum Teil Fressgelage, zum Teil Kaffee to go, zum Teil Einkäufe für die Familie. Könnten so um die 100€/Monat zusammenkommen. Plus diverse Lust-Käufe wie Bücher oder DVDs von amazon (selten), Zeitungen oder Zeitschriften (zu oft), Kosmetik (relativ selten) oder Kleidung (könnte weniger werden). Legen wir hierfür nochmal rund 40€ obendrauf.
Es gibt also auf der einen Seite einen "Bedarf" in der Höhe von ca 344€, auf der anderen Seite meinen Vater und meine Mutter, die mir in unregelmäßigen Abständen kleinere oder größere Scheine in die Hand drücken.
Planen oder kalkulieren ist nicht wirklich möglich. Ich versuche, Tabak auf Vorrat zu kaufen und bei Fressalien so zu sparen, dass ich meine Fahrtkosten überwiegend abdecken kann und nicht schwarz fahren muss, aber es reicht hinten und vorne nicht. Ich will und kann die Schuld nicht meinen Eltern zuschieben. Ich bin es, die Kette raucht. Den Überblick verliert. Impulsive Lustkäufe tätigt. Jeden verdammten Tag Lebensmittel kauft. Noch immer keinen Job hat.
Ja, ich habe ein schlechtes Gewissen und ja, meine Eltern verstärken es indem sie mir pausenlos und unzensiert von ihrer eigenen finanziellen Notlage vorjammern.
Ich hasse es, abhängig zu sein und hasse es, dass mein Gehirn rattert und klingelt wie eine Kasse zur Rush-Hour bei REWE. Und ich komme nicht raus.
Es gibt noch unzählige weitaus scheußlichere Gedankenschleifen, doch momentan ist es tatsächlich das blöde Geld, das mich wachhält.

Nächster Versuch - Jetzt.

Sonntag, 7. April 2013

Kevin Shields - City Girl

Meine Lieben,

Morgen folgt ein ausführlicherer Post über mein bedeutungsschweres und dennoch federleichtes Wochenende.
Zunächst aber freue ich mich wie Bolle über einen Blogaward! Den ich weiterreiche an Schaukelfußmädchen, Arya, Clara, Phoenix, Jana, Porcelain Doll, Butterfly, D. und Jaqueline.
Meine zehn Fragen an euch:

1. Wie geht es dir?
2. Was hast du zuletzt geträumt?
3. Gibt es einen Song, der dich beschreibt?
4. Was denkst du über Tarantino?
5. Wofür lohnt sich dein Leben?
6. Wer oder was ist deine Krücke?
7. Schwarz, weiß oder Grau?
8. Was imponiert dir?
9. Irgendwelche Visionen oder Ideale?
10. Sitcom oder großes Epos?


Zehn Fragen von Faye, welche ich zu beantworten gerade noch so in der Lage bin:

  1. Was trägst du gerade? Ein mitternachtsblaues Nachthemd.
  2. Bist du nach irgendwas süchtig? Zigaretten, Bestätigung, Kaffee, Spider Solitär.
  3. Treibst du gerne Sport? Welchen? Im Prinzip schon. Ich laufe (gerne auch auf dem Laufband) und mache ordentliches "Männer-Krafttraining", richtig schön mit Hanteln und so.
  4. Wenn du 10 IQ-Punkte abgeben könntest um ein Makel an dir zu ändern, würdest du es tun? Und wie viele IQ-Punkte würdest du abgeben? Nein. Nie. Es gab aber auch Zeiten, da hätte ich mein halbes Gehirn (insbesondere die rechte Häfte) für folgendes eingetauscht: Schönheit. Geliebt werden. Keine Angst mehr haben.
  5. Rockmusik oder Popmusik? Jegliche Musik, stimmungsabhängig, wobei ich Rock und Pop tatsächlich präferiere. Außer Hardcore-Techno vielleicht.
  6. Würdest du an einem Castingformat teilnehmen? Begründe deine Entscheidung. Nein. Nie. Begründung: Weil ich es zum Kotzen finde, wie Menschen medienwirksam vorgeführt werden / sich vorführen lassen.
  7. Johnny Depp, George Clooney und Brad Pitt. Wen würdest du heiraten, wenn umbringen und mit wem nur eine Nacht verbringen? Alle drei haben ein paar wirklich gute Filme gedreht, insofern möchte ich niemanden töten. Heiraten möchte ich aber auch keinen! Für eine Nacht könnte ich mich eventuell auf George Clooney einlassen, rein hypothetisch.
  8. Ist 2013 bisher gut zu dir gewesen? Verdammt ja. In der Summe.
  9. Das beste Erlebnis in deinem Leben? Das kann ich leider nicht benennen. Und selbst wenn mir spontan oder nach den umständlichen Basteln einer Kippe (...) etwas einfiele, würde ich es nicht aufschreiben. Superlative sind mir zu anstrengend.
  10. Wen du eine Sache an der Welt ändern könntest, was wäre das? Ich verweise auf den guten alten Kant mit dem Hinweis, jeder möge den Mut haben, sich seines Verstandes zu bedienen. Es mag vielleicht naiv sein, aber ich möchte an die Aufklärung als Schlüssel zum "Wohlergehen" aller glauben.
    Link!





Freitag, 5. April 2013

Was ich in den Keller bringe.

Es gibt diese Analogie zwischen einem geordneten, sauberen, strukturierten Umfeld und innerer Ruhe beziehungsweise Konzentrationsfähigkeit. Jetzt, da mein riesenhafter, klobig-schwarzer Schreibtisch aus meinem Zimmer und mehr als die Hälfte an Büchern und Schnickschnack aus meinem Blickfeld verschwunden sind, eröffnen sich plötzlich neue Möglichkeiten.
Indem ich alte Bilder, Briefe und Postkarten wegwerfe und alte Tagebücher in den Tiefen des Kellers verschwinden lasse, versuche ich, eine Andere zu werden.
Die Vergangenheit töten, leere Leinwände und kubikmeterweise Luft freiräumen, die ich so dringend brauche. Ich weiß, dass das nicht so einfach ist. Erinnerungen, Erfahrungen kleben an nackten Fußsohlen wie Tabakkrümel und Staubflusen. Sie erden und stören zugleich.
Die Freiheit, die Neugier, die Sehnsucht; die diesen neuen, leeren Raum bebildern, stehen in krassem Kontrast zu der Angst, die mich Tag und Nacht begeleitet. Zur Verzweiflung, die mich überkommt, wenn ich keine Begrenzungen mehr wahrnehme, alles offen und hell erleuchtet und unendlich erscheint. Zur Traurigkeit, die mir die Luft abschnürt, wenn ich so viel Glückseligkeit und Harmonie empfinde, dass es schmerzt - weil ich ihn kaum ertragen kann, den freien Fall. Den Gänsehautschauer.
Es überfordert mich, dass es mir besser geht, und zugleich ängstigt mich, dass es mir nicht wirklich besser geht. Mein Essverhalten schwankt nach wie vor zwischen katastrophal und restriktiv-genussvoll (wobei letzteres sich nicht ausschließen muss, wie ich finde), ich grübele ständig über meine finanzielle Notlage und die meiner Familie nach. Auf meine Bewerbungsschreiben erhalte ich wenig Rückmeldung, die Abitursachen ignoriere ich geflissentlich. Mehrmals am Tag überkommt mich das große Zittern, die transzendentale Flucht nach vorne, hinten oder oben. Ich trete aus meinem Körper heraus und leide wie ein gequälter Hund.
Dann wieder bin ich vollkommen bei mir, sitze stundenlang über philosophischen Aufsätzen (Wilhelm Schmid!), abwechselnd auf eine Zigarette oder einen Bleistift beißend.
Nähe und Distanz und Erkennen und Verlieren und Plantetenkonstellationen.
T. ist seit einer Woche in einer Klinik. Er schreibt SMS, in denen er sich entschuldigt, aber ich reagiere nicht.
Ich will ihn zu altem Möbiliar in den Keller packen, alle Verletzungen und Narben und jeden Tropfen auf seinen Lippen verblassen und verstauben lassen, bis ich irgendwann groß genug bin, sie aus sicherem Abstand zu begutachten und einzuordnen wie Museumsartefakte.
Nicht jetzt, nicht morgen. Nicht in einem Jahr.
Vielleicht werde ich krank, ich fühle mich körperlich ebenso brüchig und wackelig wie in mir. Nicht, dass ich so aussehen würde - der Spiegel sagt: Dein Haar glänzt, deine Wangen leuchten, du bist fett und rosig. Kaum zu ertragen, dieser Körper, stundenweise vielleicht. Ich hasse, hasse, hasse es zu Schwanken, nicht bei mir bleiben zu können. Zu viel Bedrohliches draußen. Zu viel Dunkles drinnen. Zu viel Schönes in der Luft, als dass ich nicht umhin käme, hin und wieder loszulassen und zu genießen. Wunderschön, Zuversicht.

Und dann gehe ich wieder Fressen.

Gestern saß ich mit Penny in ihrem weißen Benz, das Dachfenster offen und die Sonne glitzernd.
Sie drehte Madsen auf:
Alles was ich will,
ist, dass du mir glaubst.
Es geht nicht mehr bergab,
nur noch bergauf.

Denn zum Glück ist das alles jetzt vorbei,
denn ab heute gibt es nur noch Sonnenschein.
Ja zum Glück hab ich endlich einen Traum,
tu mir den Gefallen, weck mich bitte nicht auf.

Mittwoch, 3. April 2013

How soon is now? / Ambivalenz

Hände flechten
Licht trinken
Gedanken spielen
Lippen streifen
Kontrolle üben
und ein Liter Eiscreme danach.

Unter einer mikrodünnen Haut wölben sich Gebirgszüge der Unsicherheit, blaue Adern dickflüssiger Verletzlichkeit und reines Fett. Ich habe ein Elefantengehirn (und Elefantenbeine), mich umgibt eine Wolke aus teerigem Rauch und Bedürftigkeit.
Wir sitzen zu sechst in der Sofalandschaft, Penny, Howard, Lennard, ich und zwei schwarze Hunde, deren Namen auf Ypsilon enden. Wir sehen Slumdog Millionaire, trinken Sprite und rauchen Selbstgedrehte.
Ich fühle mich richtig und falsch zugleich. "Warum lachst du?", fragt Penny. Ich weiß es nicht, ich lache weiter. "Warum du lachst!"
Körperlose Angst.
"Weil ich daran denken muss, wie ich diesen Film das letzte Mal gesehen habe", sage ich schnell, obwohl das nicht stimmt. Ich kreise mit dem Fuß, damit er nicht einschläft, meine Hände zittern. Lennards Finger finden meine und sein Daumen massiert meinen Handrücken, er wirkt müde und erschlagen. Ich erwache, und es ist stickig; geräuschlos hieve ich mein Elefantenbein auf das Sofa. Er legt eine warme Hand auf mein Knie.
Wenn jeder nur für sich selbst sorgen würde, wären wir dann eine Ellenbogenbecken voller Egoisten? Oder gibt es eine universelle Ratio, die den Einzelnen dazu bringen würde, Entscheidungen im Sinne eines Gemeinwohls, einer übergeordneten Moral zu treffen?

Ich hasse es, zu klein zu sein für mein Gewicht und zu groß, viel zu groß für meinen Kopf. In meinem Leben bin ich deplaziert und provisorisch. Ich suche immer das Du, obwohl mein Ich gar nicht die Kraft besitzt, ihm etwas entgegenzusetzen. Sei es ein Nein oder ein aufrichtiges Ja. Mein Körper ist bloß der hinzugerufene, sonnenbebrillte Dolmetscher, die Hände in den Hosentaschen versteckt.
Was geben, wenn man nichts hat?
Wieviel nehmen dürfen? Eine Portion oder zwei? Kann man alles bestellen und die Reste einpacken lassen? Ist es dreist, den Teller abzulecken?
Ist es okay, Angst zu haben? Vor der Gier, vor dem Körper, vor dem Alleinsein? Vor dem anderen Körper, vor der Leere, vor dem Rausch und dem Ende?

Ich bin fünf Jahre alt und erkläre meinem Stoffhasen Lena, dass mein Papa böse ist, kalt. Er ist blau.
Ich sitze im Badezimmer auf dem Boden und Lena hält mich fest. Ich sage, dass Mama lieb ist, aber nicht, wenn sie trinkt. Und dass wir ein Auge auf sie haben müssen. Sie soll nicht trinken und sie soll nicht weggehen, das ist sehr wichtig, denn ihr könnte etwas passieren. Die Ziffern auf dem Funkwecker sind blutrot. Ich beginne zu zählen, Sekunden, Kacheln, Atemzüge.
Die Stille rasselt, oder sind das Schreie im Wohnzimmer? Ich muss Lena die Ohren zuhalten, was schwierig ist, weil sie sehr lang sind. Ich verknote sie und wickele ein kleines Handtuch um den Hasenkopf.





Montag, 1. April 2013

Frühlings Erwachen.

Ich läute hiermit offiziell den Frühling ein:
Sonne (!), das erste Eis, frisch aufgeräumtes Zimmer, ein kreischend orangefarbene Packung Javanse-Tabak, purpurfarbene Strupfhosen mit Pünktchen und rote Shorts von meiner Schwester plus eine herrliche Erinnerung an gestern Abend bzw Nacht.

"Überkommt dich auch manchmal der Gedanke daran, wie viel Lebenszeit du verpasst hast? In depressiven Schüben vegetiert, während die Welt sich weitergedreht hat?"
Ich wische mir eine Träne aus dem Augenwinkel und nicke kaum merklich. Er drückt meine kalte Hand in seine kalte Hand und lächelt schief. Ich berausche mich und treibe oben, altes Holz auf salzigem Wasser.
"Es ist so unendlich schön."


The Stranglers - Always The Sun (live)