Freitag, 5. April 2013

Was ich in den Keller bringe.

Es gibt diese Analogie zwischen einem geordneten, sauberen, strukturierten Umfeld und innerer Ruhe beziehungsweise Konzentrationsfähigkeit. Jetzt, da mein riesenhafter, klobig-schwarzer Schreibtisch aus meinem Zimmer und mehr als die Hälfte an Büchern und Schnickschnack aus meinem Blickfeld verschwunden sind, eröffnen sich plötzlich neue Möglichkeiten.
Indem ich alte Bilder, Briefe und Postkarten wegwerfe und alte Tagebücher in den Tiefen des Kellers verschwinden lasse, versuche ich, eine Andere zu werden.
Die Vergangenheit töten, leere Leinwände und kubikmeterweise Luft freiräumen, die ich so dringend brauche. Ich weiß, dass das nicht so einfach ist. Erinnerungen, Erfahrungen kleben an nackten Fußsohlen wie Tabakkrümel und Staubflusen. Sie erden und stören zugleich.
Die Freiheit, die Neugier, die Sehnsucht; die diesen neuen, leeren Raum bebildern, stehen in krassem Kontrast zu der Angst, die mich Tag und Nacht begeleitet. Zur Verzweiflung, die mich überkommt, wenn ich keine Begrenzungen mehr wahrnehme, alles offen und hell erleuchtet und unendlich erscheint. Zur Traurigkeit, die mir die Luft abschnürt, wenn ich so viel Glückseligkeit und Harmonie empfinde, dass es schmerzt - weil ich ihn kaum ertragen kann, den freien Fall. Den Gänsehautschauer.
Es überfordert mich, dass es mir besser geht, und zugleich ängstigt mich, dass es mir nicht wirklich besser geht. Mein Essverhalten schwankt nach wie vor zwischen katastrophal und restriktiv-genussvoll (wobei letzteres sich nicht ausschließen muss, wie ich finde), ich grübele ständig über meine finanzielle Notlage und die meiner Familie nach. Auf meine Bewerbungsschreiben erhalte ich wenig Rückmeldung, die Abitursachen ignoriere ich geflissentlich. Mehrmals am Tag überkommt mich das große Zittern, die transzendentale Flucht nach vorne, hinten oder oben. Ich trete aus meinem Körper heraus und leide wie ein gequälter Hund.
Dann wieder bin ich vollkommen bei mir, sitze stundenlang über philosophischen Aufsätzen (Wilhelm Schmid!), abwechselnd auf eine Zigarette oder einen Bleistift beißend.
Nähe und Distanz und Erkennen und Verlieren und Plantetenkonstellationen.
T. ist seit einer Woche in einer Klinik. Er schreibt SMS, in denen er sich entschuldigt, aber ich reagiere nicht.
Ich will ihn zu altem Möbiliar in den Keller packen, alle Verletzungen und Narben und jeden Tropfen auf seinen Lippen verblassen und verstauben lassen, bis ich irgendwann groß genug bin, sie aus sicherem Abstand zu begutachten und einzuordnen wie Museumsartefakte.
Nicht jetzt, nicht morgen. Nicht in einem Jahr.
Vielleicht werde ich krank, ich fühle mich körperlich ebenso brüchig und wackelig wie in mir. Nicht, dass ich so aussehen würde - der Spiegel sagt: Dein Haar glänzt, deine Wangen leuchten, du bist fett und rosig. Kaum zu ertragen, dieser Körper, stundenweise vielleicht. Ich hasse, hasse, hasse es zu Schwanken, nicht bei mir bleiben zu können. Zu viel Bedrohliches draußen. Zu viel Dunkles drinnen. Zu viel Schönes in der Luft, als dass ich nicht umhin käme, hin und wieder loszulassen und zu genießen. Wunderschön, Zuversicht.

Und dann gehe ich wieder Fressen.

Gestern saß ich mit Penny in ihrem weißen Benz, das Dachfenster offen und die Sonne glitzernd.
Sie drehte Madsen auf:
Alles was ich will,
ist, dass du mir glaubst.
Es geht nicht mehr bergab,
nur noch bergauf.

Denn zum Glück ist das alles jetzt vorbei,
denn ab heute gibt es nur noch Sonnenschein.
Ja zum Glück hab ich endlich einen Traum,
tu mir den Gefallen, weck mich bitte nicht auf.

4 Kommentare:

  1. Wann steht das Abitur bei dir an? (In der wievielten Klasse bist du?)

    katastrophale Fresserei, die sich mit genussvollen Maßen abwechselt ist immerhin besser als ausschließliche katastrophale Fresserei. Ich hoffe es geht bergauf und wird Stück für Stück immer besser...

    liebe Grüße

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  2. Ja, sehr. Unerwartet, zwar...aber man kann auch durchaus prositiv überrascht werden :)

    Ohje, davon habe ich gar keine Ahung (Von Fernstudiengängen genausowenig) Wie läuft das, lernst du den Stoff Zuhause? (Und vorallem, wie funktionier das Klausurenschreiben?)

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  3. http://ride-or-die-bitch.blogspot.de/2013/04/blogaward.html

    Habe dir einen verliehen :))

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  4. Du schreibst wundervoll, hab ich dir das schonmal gesagt?

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