Montag, 8. April 2013

Drehbuch des Möglichen.

Feiner Schwarztee von meiner Schwester, Einkäufe erledigt (ich gehe für ein paar Wochen unter die Veganer), Gespräch mit meiner Mutter über Geld geführt (ergebnisoffen, muss meinen Vater mit einbinden, sobald er sich von seiner Steuererklärung erholt hat).
Zeit, ein bisschen Gelebtes festzuhalten bevor Mo kommt und wir einen Filmnachmittag machen.

Wäre es nicht so gottverdammt schwierig, Worte zu finden für das, was in mir und mit mir passiert. Am liebsten würde ich einen Zauberstab an meine Schläfe halten und ein Denkarium mit silbrig-gasförmigen Schlieren füllen (willkommen bei den Harry-Potter-Nerds!). Damit bildhaft wird, was irgendwo zwischen Kehlkopf und Zwerchfell sitzt und vibriert und zieht und schnurrt. Ich kann nur Filmsequenzen abbilden, die Bildschärfe einstellen, die Schnitte vornehmen. Musik unterlegen, Farbfilter einsetzen und hoffen, dass das Medium wirkt.
Die ersten Szenen sind überbelichtet und setzen sich aus langen Nahaufnahmen von Gesichtern, zitternden Händen und Totalen von Phoebes neuem, großen Zimmer zusammen. Billy Holiday singt. Der Zuschauer registriert schmunzelnd ihre Nervosität und den großen Kaffeefleck auf dem weißen Teppich, Lennards tiefe Stimme und die attraktiven Zigaretten, die er baut. Man sieht die beiden im Auto sitzen und Supermärkte abklappern, The Wombats hören, pastellfarbene Wortteppiche weben, lachen, Zärtlichkeiten austauschen.
In seiner Wohnung dann werden die Bilder wärmer, sattere Farben, ein kleines Rauschen hier und da.

Ingwertee und Kaffee für die koffeinabhängige Phoebe, es folgt die Film-im-Film-Sequenz, in der die Protagonisten auf dem riesigen beige-melierten Sofa liegen und Whatever Works von Woody Allen sehen, wobei die Kamera immer wieder auf die entspannten Gesichter schwenkt. Hin und wieder ein kleines Lachen, ein Murmeln, ein Kuss auf den Kopf oder den Handrücken.
Boris Yelnikoff predigt Nihilimus aus dem Off.
Ein Schnitt auf Lennards Bett, Fotos aus Smaland, Mittagsschlaf, Schnitt zurück ins Wohnzimmer der WG, jetzt voll besetzt mit Penny, ihrem Freund, Howard und den schwarzen Hunden.
Testostreontrunkener Schlagabtausch, Sitcom-eske Dialoge, soziologsche Fallstudien, Weltenfremde, Bond und Minderheiten.
Eine Handkamera folgt Phoebe und Lennard in die Küche, fängt Gemüseschnippeln ein und die Flasche Weißwein zum Ablöschen. Die anderen bestellen Pizza. Es wird gegessen und geraucht und ausgeteilt und geschluckt, ohne zu kauen. Penny und ihr Freund streiten, boxen sich, die Tonspur läuft weiter, wenn unangenehmes Schweigen sich ausbreitet und Worte wie Handgranaten gespielt werden, die keiner fangen will.
Die nächste Einstellung zeigt Lennard und Phoebe im Bett liegend und den Abend Revue passieren lassend. Phoebes Vogelhände malen Kreise und Linien an die Zimmerdecke, das Mondlicht macht sie blau und kranklich und entrückt. Sie fragt nach Frauengeschichten und suggeriert Gelassenheit, doch wir können ihren Puls rasen sehen. Sie hört zu, hakt nach, veräußert Ängste und Bedenken, er erzählt, nüchtern und vorsichtig, flicht seine Finger um ihren Körper, die Mandelaugen halb geschlossen. Im Garten unter dem Fenster spielen sich ihre Dämonen unsichtbare Wasserbälle zu und beißen sich in den Schwanz. Ist das zu groß, fragt er irgendwann in ihren Nacken. Sie versucht, Implosionen in Worte zu kleiden, scheitert an ihrer stolpernden Zunge (die Linse ruht auf ihrem ausgestreckten Fuß in der Luft). Ich erwarte etwas, das mehr ist als "Freundschaft plus" und weniger als ein Ehering, antwortet sie schließlich. Er atmet warme Luft an ihre Schulter. Liebe? Und wenn es nur ein Sommer ist, dann ist es ein wunderschöner, der sich lohnt, zu genießen. Die Sprache wechselt kaum merklich die Ebene, Körper kommunizieren, Bewegungen und Berührungen und kleine, zuckersüße Laute, ohne Sex. Die Stimmen im Wohnzimmer verklingen langsam, Ruhe breitet sich wie eine Decke über die Protagonisten, die sich halten und wärmen und den Moment kosten - whatever works, darauf einigen sie sich wortlos. Glück bekommt eine Farbe und eine Form in dieser Szene, es ist nachtblau und fühlt sich an wie menschliche, duftende Haut. Glück ist diffuses Licht und Aufrichtigkeit und das große Ungewisse, Glück ist der Moment, in dem Dämonen sich unter einem Gebüsch in einer Mulde zusammenkringeln und schläfrig gähnen.
Der Sonntag braucht größere Formate und längere Belichtungszeiten. Wir folgen Phoebe unter die Dusche, sehen sie eine Zigarette mit Howard rauchen und über Navy CIS reden, Lennard einen Tee bringen. Die kleinen Küsse. Die beiden frühstücken wie Könige, mit Blätterteigtaschen und Erdnussbutter und dem weltbesten Kaffee. In der nächsten Szene sitzt Phoeb im Schneidersitz auf Lennards Bett, vertieft in ein Buch, dann sein Schlafgesicht auf türkisfarbenem Papier skizzierend. Sonntagsspaziergang, lange Schatten und Wind und gelöste Gesprächsfetzen, unterlegt mit Hippie-Musik.
Gemeinsames Kochen, Game of Thrones, Körperkontakt, Hinübergleiten in die Tiefenentspannung des Unterbewussten. Wir sehen das halbe Erwachen am Abend, hören Lennards Husten und Phoebes verschlafenen Nonsens. Er fährt sie Heim. Es ist zartbitter und schön und sicherer, als sie aussteigt. Totale auf das wendende Auto, Luftküsse, Abblende, Ende.

Nicht nur meine Sonnenbrillen, auch meine Dämonen wollen hin und wieder gelüftet und entlaust werden. Wenn ich diesen ästhetisch wahnsinnig anspruchsvollen Kurzfilm sehe, spüre ich, dass es gut ist. Dass ich wachsen kann. Ganz allmählich und mit der größtmöglichen Gelassenheit und Ruhe und einem Universum voller ungenutzter Sekunden, die noch bleiben.
Was sagt Emily Dickinson dazu? Hope is the thing with feathers...

6 Kommentare:

  1. Schwarztee *__* aber das ist schon alles real passiert, oder ? Wegen "drehbuch".. oder beschreibst Du Dein Leben, wie es als Filmszene sein sollte? Oft wünsche ich mir auch, einfach alles GENAU SO zu drehen/zeigen/abbilden, wie es gendanklich in meinem Kopf abläuft. Es wäre echt geil, wenn man quasi einen Stick an den Kopf anschließen könnte und die Gefühle, Erinnerungen, Bilder die in den Gedanken auftauchen einfach so runtercopieren könnte und wenn jmd sagt "ich versteh Dich nicht!" ihm das ganze zeigen.. :)

    AntwortenLöschen
  2. Oh Mann, ich würde töten für einen Schreibstil wie deinen!!!! ;)

    AntwortenLöschen
  3. ich möchte gerne dabei zu schauen, wie du weiter wächst, dich tief verwurzelt für zukünftige stürmische, unruhige zeiten und dich nur sanft hin und her wiegen lässt, in dir ruhend mit der gewissheit, dass auf unwettter auch wieder diese wunderbaren momente folgen, in denen alles so herrlich frisch riecht und man das gefühl hat die welt sei bereit für einen neuanfang.

    du hast eine sehr bildliche fantasie und die gabe, die bilder und gedanken in worte zu fassen, die man gerne liest. mach da doch was draus, man hört dir gerne zu.

    und so ein denkarium hätte ich manchmal auch gerne, nur müsste ich wahrscheinlich sehr schnell ein lager anbauen, für die ganzen kleinen fläschchen mit bunten gedankenstrudeln.
    stell dir vor, jeder gedanke und jedes gefühl hätte eine eigene farbe und du würdest sie alle in ein regal stellen.
    vielleicht würdest du dann noch klarer sehen, dass all diese verschiedenen nuancen dich als mensch aufregend und spannend machen und ein mensch, der lediglich lichte und helle töne ins wohnzimmerfenster stellt,die dunklen, grässlichen farben in seinem herz eingeschlossen hat.

    danke für deine tollen texte <3

    AntwortenLöschen
  4. Selber Küsschen! ;) Oh man, warum betitelst du diesen geilen Text mit "Drehbuch des Möglichen"?! Nicht, mit "A day in the life" oder sowas.. bin gerade ein bisschen umgehauen, muss ich sagen.

    AntwortenLöschen
  5. Ich finde den Titel perfekt. Genauso wie den Text...dein Blog ersetzt Fernsehn. Ich kann es nicht oft genug sagen: du schreibst wirklich traumhaft.
    Wenn ich bisher eine/n Bloginhaber/in gefunden habe, der in der (print- oder nichtprint-)medialen Branche perfekt aufgehoben wäre, dann bist du es.

    AntwortenLöschen