Montag, 15. April 2013

22° / Grenzen und Panorama.



Augenaufschlag - Sonne! Einen Kaffee kochen, Zigarette drehen, los geht's.

"Man sollte, ich sollte erst mal lernen, Raum für mich sinnvoll zu füllen und das zu genießen, dann kann ich es sicherlich auch fordern. Meine Therapeutin ist da ganz zuversichtlich."
"Ich glaube das lernst Du auch noch. Vielleicht kann ich einen kleinen Beitrag leisten."
(Phoebe und Lennard schriftlich gestern Abend via the blue monster)

Ich hatte eine kleine Meinungsverschiedenheit mit meiner Schwester, kommt hin und wieder vor. Lulu hält ihren Freund zur Zeit ziemlich auf Abstand, reagiert nicht auf Anfufe und zuckersüße SMS.
Ich, der dieses Verhalten relativ fremd ist, versuchte ihr ins Gewissen zu reden: Weißt du eigentlich, wie scheiße man sich fühlt, wenn man mit Wänden redet? Kannst du nachvollziehen, wie sehr Abweisung verletzt? Wie klein und hilflos du dein Gegenüber machst, indem du es hinhälst und am ausgestreckten Arm verhungern lässt?
Lulu wurde regelrecht wütend. "Misch dich da nicht ein, du hast keine Idee, wie scheiße er mich behandelt."
Schwestericher Beschützerinstinkt geweckt. Ich hakte nach. "Egal wie häufig ich betone, dass etwas wichtig für mich ist, es gibt immer Dinge, die ihm wichtiger und wertvoller erscheinen, als mir ein einziges Mal richtig zuzuhören. Stell dir vor, du breitest dein Innerstes aus, komplett. Und dann wartest du und wartest, auf eine Reaktion, auf Anteilnahme, darauf, dass er zumindest registriert, was du da redest. Und es kommt - nichts!", sie wird lauter, "Wie oft habe ich ihm von dem Isreal-Projekt erzählt? Ständig? Und dass ich wahrscheinlich vollkommen eingespannt wäre und diese Woche wohl keine Zeit für ihn hätte? Und er? Er schreibt mir am Abend des Abschiedsessens, ob ich mit ihm und Muffin in die Bar gehen würde? Holzkopf?! Nur ein einziges Mal ernst und wahrgenommen werden, nicht als die, die er gerne hätte, sondern als die, die ich bin!"
Ich musterte betroffen ihre IKEA-Bettwäsche.
Natürlich hat sie das Recht, Raum und Zeit für sich zu beanspruchen, ihrem Freund abzusagen. Gerade wenn sie eine Woche quasi rund um die Uhr mit den Israelis und dem Filmprojekt beschäftigt war.
Ich überlegte lange, was ich sagen könnte. Gab ihr einen Kuss und veranstaltete meinen ersten veganen Fressanfall. Legte mich ins Bett, ohne die Kriegsbemalung abzuwaschen.
Meine innere Analytikerin sieht das Vollstopfen indes als Sublimierung meines Mankos an Selbstwirksamkeit: Ich vergleiche mich und meine Bedürfnisse mit denen meiner kleinen Schwester (und ihrem bunten, aufregenden Leben) und fühle mich eindimensional. Vielleicht sehe ich zu viele Parallelen zu Lulus Geltungsbedürfnis, die mir Angst machen, vielleicht zu viel Ähnlichkeit mit ihrem Freund, der nach Aufmerksamkeit und Bestätigung giert und die Pläne und Ideen seiner Lieben blauäugig ignoriert.
Ich weiß es nicht.
Stelle jedoch erleichtert im Badezimmerspiegel fest, dass mein Sixpack trotz Müsli-Orgie und Sprite und dem göttlichen vietnamesischen Essen mit Lennard gestern Nachmittag sichtbar bleibt, wenn ich die Muskeln anspanne. Die ewige Flucht in den Spiegel: Mein Körpergefühl war am Wochenende ziemlich gut. Ich fand mich von Zeit zu Zeit extrem hässlich, aber durchtrainiert und schlank. Immerhin.

Mein Horizont erweitert sich stetig. Ich bereichere mich um Erfahrungen zwischenmenschlicher, kulinarischer, kultureller, sexueller, emotionaler, buddhistischer, haptischer Natur. Alles binnen 48 Stunden.
Und auf paradoxe Art und Weise gewinnt der Weg, den ich vor mir sehe, an Begrenzung und Struktur. Möglicherweise schließt es sich nicht aus - das weite Sichtfeld und die Offenbarung einiger Straßenschilder, die mich beruhigen. Hier geht's lang, das passt schon. Ein Auto mit Panoramablick und Navi.

Der Sommer zieht mich zum ersten Mal seit Jahren in seinen Bann.

5 Kommentare:

  1. das klingt wunderbar. lass dich von endorphinen durchspülen und genieß all das, was dich glücklich macht.

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  2. Klingt gut. hatte kurzzeitig Probleme, mir einen veganen Fressanfall vorzustellen, aber das hast du ja dann erläutert. Und auf den Sixpack bin ich neidisch :P ich wünsche dir einen wunderschönen Montag, Phoebe :)

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  3. Hört sich nach klassischen Mann-Frau-Kommunikationsproblemen an... Für eine Frau ist es das Wichtigste, einmalig und besonders zu sein, dass der Mann zuhört und liebt - der Mann sieht das ganze irgendwie praktischer, will respektiert und im Ego geschmeichelt werden. Wahrscheinlich hat er gar nicht bemerkt, dass sie sich nicht ernst genommen fühlt und sich wünscht, er würde mehr zuhören. Aber wie soll er auch, wenn sie ihm das nicht sagt (ich nehme jetzt einfach mal Prämissen auf, ohne dass sie stimmen müssen)?
    Mit subtiler Ablehnung wird vielleicht sein Jagdinstinkt geweckt, aber an dem Problem an sich ändert sich überhaupt nichts.

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  4. Es ist so schön, das zu lesen. Auch zwei und drei und viermal. Ganz besonders ab Z.26 (Überschrüft nicht mitgerechnet)

    Wieviele Jahre seit ihr beide auseinander?

    viele liebe Grüße

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  5. Oh xD die Frage zielte eigentlich auf deine kleine Schwester ab. Sorry, hätte ich deutlich machen sollen.
    Wieviel Jahre trennen Lulu und dich?
    <3

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