Dienstag, 27. August 2013

Brief an Lennard vom 3. Juli, nie abgeschickt.

Lennard,

Ich möchte dir näher sein und zugleich die Faszination, die Fremdheit der Ferne erhalten.
Ich möchte dich verorten können in meinem Leben, ich weiß nur nicht, wo. Angst macht mir meine eigene destruktive Kraft, weil ich glaube dass sie einerseits zu viel offenlegt und damit Raum beansprucht, zum anderen eine andere Sprache spricht und Distanz provoziert, vielleicht auch Wut oder, noch schlimmer, Mitleid.
Ich sehne mich danach, gänzlich erfasst zu werden, das ist eine masochistische Eigenschaft, denn im Grunde genommen weiß ich, wie viel Schmerz aus Nacktheit und Ehrlichkeit geboren werden kann. Eigentlich ist es auch gar nicht erstrebenswert, komplett begriffen zu sein, in jeglicher Facette offen zu liegen. Da ist eine unendliche Neu-Gierde nach allem, was du bist, gänzlich aufgewogen mit Furcht vor Momenten, die ich nicht mitfühlen könnte. Dass Intimität entzaubert, dass Wissen und immer mehr Wissen Zweifel schüren, Fremdheit statt Gemeinsamkeit im Raum stehen könnte – meine grauenhafte Harmoniesucht. Es sind die Kanten und ihre Reibung, die verstören und dann wärmen, das verstehe ich Tag für Tag ein bisschen besser (Danke für deine Gelassenheit).
Meine Ausdauer reicht immer nur bis zum nächsten Morgengrauen, dann muss ich von vorne beginnen. Wie ein Kind, das tagtäglich lernt und neu bewerten muss, zerpflücke ich unsere Welt in kleinste Teilchen und verliere dabei das Gesamtkunstwerk aus den Augen, du kennst das.
Ich will wissen, wer exakt vor mir steht, wessen Stimme ich lausche. Manchmal glaube ich, zu erahnen wer es sein könnte, das fühlt sich sehr schön an. Es macht Mut.
Nie weiß ich, wo ich zu viel bin und wo zu wenig, ich kann dich nur beobachten und Schlüsse ziehen. Dabei will ich keine andere sein, wenn es diese Person ist, die dir etwas bedeutet, nachvollziehen können muss ich es ja nicht. Mal knistert es, mal ist es ein Tinnitus-Pfeifen, mal Stille.
Als ich dir sagte, dass ich dich liebe, habe ich dich gefühlt, dich und das Gesamtkunstwerk Leben. Es war vereinnahmend und berauschend, eine Erfahrung von Nähe und Vertrauen, die ich selten machen durfte. Auch wenn ich nur Ahnungen habe, wer dieser Mann ist, mein Herz wusste es offenbar. Und wer ich bin, ganz kurz, sehr klar. Diese Momente sind unwahrscheinlich rar, ich bin sehr glücklich und dankbar dafür.
Es geht offenbar in Gefühlsdingen immer auch um die großen Fragen der Erkenntnis (ich erkenne dich, du erkennst mich und reflexiv), was ich atemberaubend und fürchterlich zugleich finde. Es ist unheimlich (schön?), Sätze des anderen beenden zu können, weil es Individualität und Einzigartigkeit infrage stellt zugunsten eines undefinierten Gemeinsamen, was ein unschätzbar kostbares Geschenk ist.
Ich habe Angst, sehr sogar. Ich will verstehen können, was dich so zuversichtlich macht, ich will deine Dämonen auf meinem Schoß liegen sehen und in ihrem Blicken lesen. Ich will, dass du mir sagst wie ernst es ist. Nein, ich will es eigentlich nicht hören.
Näher kommen will ich, nicht so nah als dass es den Kokon beschädigt, nicht so nah dass ich zu viel sehen könnte. So weit weg gerade, dass es unergründlich und spannend bleibt; so nah, dass es wetterfest ist. Du kannst mir keine Vorhersagen geben, das erwarte ich gar nicht. Du weißt so viel von mir, ich tue mir schwer mit Grenzen. Ich halte dich für den König der Abgrenzung, manchmal tut es weh, ein ganz kleines Ziehen, vollkommen im Rahmen des Ertragbaren. Du sagst nein und sicherst die Burggräben. Ich wünsche mir, dass du mir mehr vertraust und dich ein- und fallen lässt. Dass du den Raum, den ich dir offeriere, unvoreingenommen betrittst und keine Angst hast. Das braucht Zeit, beiderseitig. Arbeiten und kämpfen und fallen lassen. Genießen. Schweigen. Gedanken berühren.
Du gibst mir sehr viel und es ist ein großes Glück, dich an meiner Seite zu wissen.

Phoebe

Sonntag, 25. August 2013

Singing in the rain.

Wir sind geboren um frei zu sein - Ton Steine Scherben

Digital -Joy Division




Der Beat ist so laut, dass die Ohren schmerzen. Uhrwerk Orange, hochpolitische Diskurse, alte Platten an mein Herz pressen und durch die Stadt rennen.
Am 28.9. kommt mein Tattoo unter die Titten:

"Dionysos bedeutet Identifizierung, Apollon Objektivierung. Dionysos ist Empathie, die sympathetische Emotion, die uns in andere Menschen, an andere Orte, in andere Zeiten versetzt. Apollon ist das unerbittlich Kalte, das Trennende der westlichen Person und des westlich kategorialen Denkens. Dionysos bedeutet Energie, Ekstase, Hysterie, Promiskuität, Emotionalität – Rücksichts- und Wahllosigkeit im Denken und Handeln. Apollon dagegen ist fixe Idee, Voyeurismus, Idolatrie, Faschismus ist Frigidität und Aggressivität des Blicks, die Versteinerung der Objekte."
"Apollon zieht die Grenzlinien, die gleichbedeutend sind mit Zivilisation, aber Stereotypie, Enge, Unterdrückung zur Folge haben. Dionysos ist ungebändigte Kraft, wahnsinnig, rücksichtslos, destruktiv, zerstörerisch. Apollon verkörpert Gesetz, Geschichte, Tradition, die Würde und Sicherheit des Sittlichen und der Form. Dionysos dagegen verkörpert das Neue, ist ebenso begeisternd wie gewalttätig, fegt alles weg, um ganz von vorne anzufangen. Apollon ist ein Tyrann, Dionysos ein Vandale."
Camille Paglia, Die Masken der Sexualität, 127

Mittwoch, 21. August 2013

150 Tage, 62,8kg.

"Irgendwann habe ich geliebt, mit jeder Pore und mit voll triefendem Kitsch und da habe ich aufgehört zu denken. Was für eine Befreiung. Denn es war nicht nur Reflex, es war plötzlich implodieren und weich werden. So weich, dass ich immer nur lächeln konnte, denn ich habe nichts mehr gespürt, außer mich selbst zerfließen", sagt Helene Hegemann.
  Da ist diese samtige Rose in meiner Hand und the smell of your neck. Irgendwann versiegen meine Tränen und ich bebe nur noch an deiner Brust, zähle deine Stirnfalten und weiß, dass du die drei verbotenen Worte gesagt hast. Indirekt gesagt. Ich bin ganz ruhig mit einem Schlag, nur mein Kopf stürmt voran in den nächsten Tag, es juckt unter meinen schweren Haaren, du schließt die Augen. Eigentlich ist es zum Weinen. Keiner ahnt, was es bedeutet, Tag für Tag aufzuwachen und ich sein zu müssen, pathologisch und ohnmächtig und getrieben. Ich habe J. einmal geschrieben: "Nicht Sehnen ist Mangel. Das Ende des Sehnens ist Mangel", und mich ängstigt, dass ich Recht gehabt haben könnte. Das Schlimmste ist nicht mal, den Faden zu verlieren und kopflos durch die hellen Stunden zu rennen, das Schlimmste ist nicht verorten zu können, wonach ich sehn-süchte. Nach nichts, dass ich besitzen kann, nicht mehr, und das macht mich wütend und traurig.




Tip Tapping - Dillion auf Repeat, die ganze Nacht...

Sonntag, 18. August 2013

"Dreißig ist das neue Zwanzig, der Mann ist die neue Frau, Freiheit ist das neue Gefängnis und reich ist das neue schlau..."

Es war wunderschön.

Mein erstes Therapiegespräch nach den Ferien (ihren Ferien, nicht meinen) war ermüdent. Zahnfleisch tut weh. Mit abgekauten Fingernägeln in schorfigen Wunden bohren und sie danach ablecken - Style. Mit tonnenschwerer Reisetasche durch die Stadt rennen, Kaffee mit Penny, Fernbus. Leipzig am Abend, Harry Potter zitieren, schlafen wie ein Stein, Songs im Kopf, Alkohol im Herzen, lautlos atmen über aufgeheiztem Stein. Rückfahrt. Kokosmilch-Curry und A Beautiful Mind mit ihm.
Ich schlage meinen Freund versehentlich mit dem Handtuch bei dem Versuch, einen Haarturban zu binden. "Das war die Rache für vorhin". - "Das nennt man Quickie, Liebste." - "So was gibt es in meiner Welt nicht.", wir lachen und ziehen uns an. Ich bin wahnsinnig frustriert und armselig, meine Haare duften nach Nüssen und Sommer, es regnet, ich verliere die Balance.




Donnerstag, 15. August 2013

Mixtape.

Meine Oma lebt noch. Wir sind in China. Lennard und ich schlafen in einer winzigen Koje neben einem Panda-Gehege. Er steht auf, ohne mich zu wecken. Mein Handy summt. Es ist T.. Er erzählt von dem Weihnachtsfest mit seiner Familie. Seine Stimme ist weich und tief, er ist blau. Ich weine. Ich sage - T., ich bin in China mit meinem neuen Freund und meiner Familie. Er hört mich nicht, die Verbindung ist zu schlecht. Wo bist du? - In China! Es ist schrecklich heiß hier. Ich liege unter einem Moskitonetz und presse das Telefon gegen mein Ohr, dass es wehtut. Mir geht es ganz gut, ja, aber ich schwitze wie ein Otter. Er lacht heiser. Ich will dich hier auf meinem Bett, sagt er. Ich weiß, dass er wichst. Er spricht leiser, ich will dir wehtun. Ich stöhne leise, meine Hände wandern über meinen schwitzigen Bauch nach unten. Plötzlich höre ich Stimmen, mein Onkel ruft mich. Ich lasse das Handy auf der Koje liegen und gehe nackt nach draußen. Lennrad quält sich gerade aus seinen Laufschuhen. Meine Oma sitzt in einer weißen Hollywoodschaukel und hält einen Drink in der rechten Hand. Lennard mustert mich. Ich spüre, dass er mich durchschaut. Die Pandas sind heute Nacht gestorben, sagt er leise und zieht mich an sich. 

Kustpause.

Es geht mal wieder nach Leipzig zu meiner J. (und Sophie Hunger) und dann mit ihr zusammen zurück. Ich freue mich so wahnsinnig auf sie, es gibt unendlich viel zu reden. Lennard will uns am Samstag in Frankfurt am Bahnhof abholen - in Pennys Sitcom wird diese Folge mit Sicherheit ein Quotenhit, Arbeitstitel: "Mein Freund, seine Exfreundin und ich".
Das Mixtape, das ich ihr mitbringe, ist mein Sommer:

Die Flucht - Enno Bunger
Smoke - 100 Monkeys
Love Is Not A Cliché - Garland Jeffreys
We Are The People - Empire Of The Sun

Mammoth - Interpol
A Nervous Tic Motion Of The Head To The Left - Andrew Bird
Take Me Out - Franz Ferdinand
All Along The Watchtower - The Frattellis
Lust For Life - Iggy Pop
Different Pulses - Asaf Avidan
Evil - Interpol
Glück - Prinz Pi
The Last One - Au Revoir Simone

Rest My Chemistry -Interpol
Sail - Awolnation
Twentysomething - Jamie Cullum
American Days Are Over - The Reborn Identity
Wishful Thinking - Pulp at John Peel Sessions
Burning Berlin Down - Bittersweet
The Future - Leonard Cohen
Can't Hold Us - Macklemore
If Looks Could Kill - Camera Obscura
Pink Night - Jason Collett
Home - Daughter
Unser Platz - Prinz Pi
Desperado - Johnny Cash
White Blank Page - Mumford & Sons
Wonderful Life - Nick Cave
Sail Away - The Rapture
Who Did That To You - Django Unchained Soundtrack
Restless - Kakkmaddafakka
Die Neue Seltsamkeit - Tocotronic
Golden Brown - The Stranglers
Dreaming Of You - The Coral
In Your Nature - Zola Jesus
Left Myself Behind - Toy
100x - Prinz Pi
Je Cours - Stromae
Signal To Noise - Peter Gabriel

Montag, 12. August 2013

Update: Körperumfang visuell.

Immer dieses stete koffein- und hormoninduzierte Klopfen und Ziehen im Takt von Interpol, dem Käptn und Iggy Pop -
Lass es gut gehen, liebes Leben.

Man beachte die Vogesscheiße vor meinem Gesicht.
Gewitter im Gehirn.

Samstag, 10. August 2013

Fragen, die ich mir nach einer Clubnacht stelle.

Vielleicht habe ich ein ernsthaftes Problem, wenn ich andere Männer sexuell anziehend finde. Ich flirte gerne. Ich genieße es, Aufmerkamkeit zu bekommen, zu spielen. Ich erkenne mich kaum wieder. Diese Persönlichkeit trage ich nur beim Tanzen nach außen. Fremde Körper, Nebel, Zigaretten, viel zu viel Alkhol. Mich in diesem langweiligen Club, den ich eigentlich immer meide, heute spontan und komplett ungeschminkt mit Pennys Freund (und in seinem T-Shirt, da ich viel zu warm angezogen gewesen war) zu "Alternative, Partytunes, Indie und Elektro" selbstvergessen bewegen und gleich zweimal angesprochen werden. Meine Haare zwirbeln, frech sein, dreist, lässig, selbstsicher. Und all das nur, weil mir das Gegenüber Komplimente macht?
Der Berliner, dreißig Jahre alt, ziemlich attraktiv in meinen Augen, obwohl er Mist redet (mein Job, meine Exfreundin, meine Fickhäschen, mein Intellekt, meine Ehrlichkeit, meine Männlichkeit) und ich mich im nüchternen Zustand möglicherweise nie auf das Gespräch eingelassen hätte.
So jedoch sitze ich an der Glaswand, die Bässe wärmen meinen Rücken, rauche die Luckies des Berliners und gebe mich schlagfertig und kokett. Erzähle ihm von Lennard, was es offenbar noch reizvoller für ihn macht. Fühle mich unendlich geschmeichelt, fixiere seinen Blick, bis er wegsieht. Beiläufiger Körperkontakt. Ich weiß, wenn ich nicht einen Mann in meinem Leben hätte (oder einen, der mir weniger bedeute), ich würde dieses Spiel bis zum Ende spielen, meine geschworenen Todfeinde Mr Gin und Mr Vodka tragen ihr übriges zur Situation bei. Ich würde diesen fremden Idioten ficken, bis sein schönes Gesicht vor Schweiß glänzt, ich wüsste ihn um den Verstand zu bringen und er mich um den meinen. Was immer er in mir sieht, es berührt meinen Narzissmus und meine Libido. Im Club denke ich den Gedanken nicht zu Ende, im Club bin ich unerträglich selbstsicher und naiv.
Ich frage mich, warum Lennard nicht einfach mitkommen konnte. Es ist so viel schöner, mit ihm zu feiern, ich liebe es, ihn tanzen zu sehen, ich liebe die tiefen Küsse am Rand der Tanzfläche, liebe es, wenn er ausgelassen ist und so viel glücklicher wirkt. Tanzen ist mehr als Sex, es ist aber auch Sex. Oder besser gesagt - die Idee von Sex.
Ich frage mich, was ich empfinden würde, wenn Lennard beim Feiern von einer Frau angesprochen würde und sich darauf einließe, sei es nur ein Gespräch zwischen Zigaretten und Longdrinks, ein Tanz oder zwei, ein durch-die-Haare-streichen, ein paar eindeutige Avancen, die er zu uneindeutig abweisen würde. Eifersüchtig wäre ich und verletzt. Habe ich dazu überhaupt das Recht?
Ich frage mich, warum ich jeden Kerl, den ich irgendwie ansprechend finde, in Gedanken sofort ausziehe und mich mit ihm auf dem Herrenklo, in den Laken, auf dem Rücksitz oder sonstwo vergnüge. Das kann ein Bekannter meiner Eltern sein, der Typ aus dem Club, Pennys Freund, der Kellner, der Kollege. Unter Einfluss von THC sowieso jeder und jede.
Irgendwas stimmt nicht mit mir. "Ich bin nun mal ein sehr sexueller Mensch", habe ich neulich erst zu Penny gesagt. Das Gegenteil von verklemmt. Mein Name steht auf der roten Liste der potentiell Fremdgeh-Gefährdeten, was ich mindestens seit R. weiß. Wo fängt Fremdgehen an? Erst beim Akt an sich? Beim Flirt? Beim Kuss? Messe ich den Geschehnissen von heute Nacht zu viel Bedeutung zu?

Ich überlasse dieses Stück trunkene Pseudo-Prosa mit Frauenzeitschriften-Kolumnen-Touch nun den wacheren Geistern. Also euch. Mir bleibt nur noch die Frage: Bin ich ein Arschloch? zu stellen und mich wieder anzuziehen um zur Arbeit zu gehen, schlafen werde ich jetzt eh nicht mehr können...

Freitag, 9. August 2013

Was Howard sagt. / Ponyhof.

Howard: "Er schafft sich leider ständig Parralelwelten. Immer und immer wieder. Sei es in Beziehungen oder ohne. Und wir (seine Freunde) versuchen ihn immer mal wieder auf den Boden der Tatsachen zurück zu holen. Natürlich schaffen wir uns alle irgendwo unsere Welten und Freiräume - nur kehren wir auch wieder zurück. Lennard hat leider ein Problem mit dem Wieder-Zurückkehren.
Er baut manchmal soweit an seiner kleiner Traumburg, dass er vergisst eine Tür einzubauen, dass er wieder raus kommt - nur es kommt halt dann auch keiner mehr rein... wenn du verstehst was ich meine. Um in dem Bild zu bleiben: Für ihn sind du und er IN dieser Burg. Penny und ich stehen draußen, sind aber groß genug um über die Mauer zu schauen und mit ihm zu reden. Und für die anderen hat er ein kleines Fenster gelassen - nur für M. und T.. Alle anderen schauen auf diese große Mauer und wissen nicht, was der Lennard dahinter so macht, sondern sie müssen mich und Penny fragen, weil wir ja drüber schauen können.
Und Kontakte halten ist gar nicht Lennards Ding. Er kann (leider) sehr lange ganz ohne diese Menschen auskommen, ohne dass sie ihm fehlen. Und davor hab ich Angst - dass er sich irgendwann ganz abschottet. Wenn du weißt was ich meine...
Aber generell muss ich sagen, dass gerade diese Woche für uns aus meiner Sicht sehr angenehm war. Gestern das Filmschauen hat mir unheimlich viel gegeben. Nicht groß reden, sondern einfach gemeinsam was erleben und wenns nur Filmschauen ist. Er rennt ja meistens vor sowas weg (Das berühmte "Wir machen einen Film an und nach 5min geht Lennard an seinen PC und ich sitz alleine da")
Soziale Kontakte sind anstrengend - ja! Gebe ich euch voll und ganz recht - aber das Leben besteht leider nicht aus einer Gummizelle oder einem Ponyhof. Man kann sich einen Ponyhof draus machen, aber ob man mit dem Ponyhof dann leben kann - überleben kann - das bezweifle ich. Daher muss man sich manchmal den unangenehmen Dingen stellen und sie zu angenehmen Momenten machen, ja zu unvergesslichen Momenten. Meiner Einschätzung nach ist das Elixier nicht in der eigenen Wohnung - sondern da draußen! Man genießt es vielleicht in der Wohnung auch - aber holen muss man es sich draußen."

Ich: "Jaah, die Komfortzone als Ponyhof! Ich liebe Ponyhöfe! Es ist ziemlich krass, dass ich während der zwei Jahre mit T. außer J. so gut wie KEINE sozialen Kontakte mehr hatte. Also gar keine. Familie, klar, das ist unvermeidlich, und hin und wieder die Leute von meiner Schwester. 
Und seit ich im Februar mit Penny in Leipzig war kehre ich dem Ponyhof langsam den Rücken. Es werden immer mehr Menschen, die ich an mich lasse und die mir irgendwie etwas bedeuten. Lennard hat sicherlich auch einen großen Teil dazu beigetragen, dass ich mich mit Menschen ingesamt sicherer fühle. Auch wenn es paradox klingt, weil er ja nicht gerade das beste Beispiel für einen kontaktfreudigen Kerl ist. Aber es geht um diese gewisse Gelassenheit, mit der man dem Leben begegnen kann, alles ausprobieren, Ideen haben, sich wieder begeistern können, auch mal scheitern. Das ist für mich gerade essentiell, man könnte sagen das Elexier. Die Wohnung ist mehr so eine Art Akkuladegerät. Ruhe tanken, Zeit alleine verbringen, seinen eigenen Kram regeln. Ich stelle es mir anstrengend vor, ein wild-fröhliches Sozialleben zu pflegen ohne diesen Ausgleich zu haben. Einfach mal nichts zu tun."

Donnerstag, 8. August 2013

Vom Leben gelernt (während eines Kurzurlaubes bei Opa):


Man sollte nie, nie nie sein Antidepressivum zu Hause vergessen. Kommt gar nicht gut.
Phoebe, 20, seit 2,5 Jahren auf Psychopharmaka

Wer alleine im Wald spazieren geht, bekommt Rehe zu sehen.
Frau Phoebe, 43, Naturburschin

Die Deutsche Bahn ist ein...
Phoebe, 18, zu gut erzogen um zu fluchen

Lulu und ich sind ein tolles Team wenn es um Bratkartoffeln mit Räuchertofu geht. Und auch sonst.
Phoebe, 24, stolze Schwester

Pferde! Ich liebe Pferde! Ich will wieder reiten gehen!
Phoebe, 9, Pferdemädchen

Mein Opa hat zu große Mengen Schokolade im Haus.
P., Alter unbekannt, unbeherrscht

Wenn mein Freund sich in meiner Abwesenheit mit "einer Bekannten" auf "einen Wein" trifft, führt das nicht dazu, dass er mich betrügt, sondern dazu, dass sie mich "unbedingt kennenlernen" möchte.
Phoebe, 16, die Unschuld in Person

In der Miltenberger Altstadt müsste man den Hippie-Kleider-Laden leerkaufen.
Miss Phoebe, 26, sog. "Mode Opfer"

Cabriofahren im Sommer. Nur das!
Phoebe, 21, Retro- und Autofreundin

Man kann auch ganz gut so tun, als sei man glücklich. Wenn man Glück hat wird der Schein zum Sein.
Fräulein P., 33, Kalendersprüche und depressive Symptomatik

Gewitter sind toll, vor allem im Wald.
Phoebe, 13, Schülerin

So ein arbeitsfreier Tag nach anderthalb Monaten pausenlosen Arbeitens ist eine feine Sache.
Phoebe, 39, Putzfrau und Genitiv-Fan

Langsam aber sicher werde ich richtig fett.
Phoebe, zeitlos, Ex-Anorektikerin, Cellulite-Phobie, schlechte Wortspiele

Feuerzeuge braucht die Frau!
Phoebe, 68, Selbstgedrehte seit 40 Jahren


Montag, 5. August 2013

Doppelter Boden in zwei Akten.

Erster Akt.

Wir fahren durch die Allee, der heiße Föhn presst den Geruch von grünen Blättern und heißem Asphalt in unsere Nasen. Mein Helm hat kein Visier und trotz der 50er-Jahre-Sonnenbrille tränen meine Augen ein wenig. Ich umklammere seinen Bauch unter der Motorradjacke und wir rufen uns gegen den Fahrtwind kleine Sätze zu - Hast du den gesehen? - Wahnsinnig schönes Auto! - Wie gut der Wald duftet! - Das fühlt sich wie Urlaub an! - Ich bin so glücklich. - Ich auch. - Ich kann nicht aufhören, zu grinsen.
In dem kleinen Vorort stellen wir unser Gefährt ab und setzen uns auf die Treppe mit Blick auf die Kirche, essen Eis, rauchen und reden über die Zukunft. Lennards Hand sind warm und trocken auf meinem Knie und er küsst meine Schulter.
Wir stellen uns vor, ganz weit weg zu sein. Offenbach bietet so viel Urlaubs-Gefühl an staubigen Sonntagen: ein südfranzösisches Touri-Dorf mit viel Beton, niedlichen Häusern und wilden Blumen. Die hitzigen Weiten von Kansas, als wir die stoppeligen Äcker durchqueren. Die schlecht befestigte Straße durch den Wald, marmoriert von dem Licht, das durch die Blätter fällt: eine kanarische Insel. An einer verkommenen Fabrik vorbeirauschen und die Abgase der Autos riechen schmeckt nach den kroatischen Großstädten.
Wir parken vor der Gaststätte meines Stiefvaters, unsere Gegend könnte mit ihren Fachwerkhäusern und dem spätsommerlichen Charme das Elsaß darstellen, stoplern lachend in den Biergarten. Unter der großen Kastanie falten wir die Hände auf dem Tisch ineinander und halten den Film an. Das bleibt, sage ich, dieser Moment, in einem Rahmen. Du bist so schön, antwortet er. Wir kommen kaum zum Essen, so viel gibt es zu erzählen. Ich bin berührt und spüre, wie meine Augen feucht werden.
- Findest du, dass ich zu verständnisvoll bin?, fragt er.
- Nein, ganz im Gegenteil. Es rührt mich, dass du... Dass wir das können. Dass wir einander wirklich verstehen. Dass wir nichts zu sein vorgeben müssen, dass wir nicht sind.
Ich bin sehr nah am Wasser gebaut im Moment, aber das stört mich nicht. Ich bin sehr ehrlich zu ihm, er findet es nachvollziehbar und nicht weiter beunruhigend, dass ich hin und wieder um T. trauern muss. Er weiß, dass es für mich kein Zurück gibt, und ich weiß es auch, tief in mir drin. Mein Herz ist ganz leicht.
Nach dem Essen spielt uns mein Stiefvater in seinem winzigen Büro Jazz vor. Ich betrachte die beiden, wie sie über Gitarristen reden und über Konzerte. Marmeladenglasmomente im Küchendunst.






Zweiter Akt.

Die letzten Minuten von Ich - Einfach unverbesserlich II. Wir stellen fest, dass es für eine gelungene Hochzeit unbedingt Minions braucht. Und plötzlich, ganz ohne Vorwarnung, schieb sich eine graue Wand in meinen Kopf. Ich bin tausend Lichtjahre von ihm entfernt. Mein Körper und ich trennen uns. Gedankenschnellzüge in Richtung Psychiatrie. Ich zittere. Lennard zieht mich zu sich. Das Beben wird stärker und droht, mich zu zerreißen - das sind die Orte, an die er mir nicht folgen kann, das sind die Abgründe, für die ich kein Verständnis von ihm erwarte. Ich weine auf seiner nackten Brust und atme viel zu schnell, zwischen den Schluchzern formuliere ich zusammenhanglose Erklärungen: Ich fühle mich so hässlich. Ich hasse meinen Körper so sehr dafür, dass er blutet. Ich will keine Frau sein, Lennard, ich will keine fette, von hormonellen Zyklen getriebene Frau sein. Ich will nicht essen müssen, warum muss ich essen? Ich will nicht verhüten müssen, wenn ich dünn wäre wäre ich nicht mehr fruchtbar, alles so viel einfacher. Ich fühle mich so aussätzig und hässlich, schau mich nicht an, bitte, ich hasse mich so sehr, ich glaube ich verliere den Verstand, Lennard, kennst du diesen Moment in dem du die Klippen siehst in deinem Kopf und du weißt dass du springen musst damit alles aufhört ich kann nicht mehr so leben ich will es nicht mehr halt meinen Kopf fest bitte.
Und er hält meinen Kopf fest. Seine Stimme ist ruhig und fest. Sein Mund formt Sätze: Du bist wunderschön, Phoebe, ich sehe dich an und sehe nichts, das in irgendeiner Form hässlich sein könnte. Auch mit achzig Kilo wärst du wunderschön, auch mit fünfzig Kilo. Scheißegal. Du bist es. Du bist hier. Du bist bei Verstand, Darling, ich halte dich, spürst du es? Du hast deine Tage, weil du irgendwann Kinder bekommen möchtest, und das ist etwas Gutes und nichts, weswegen du dich grämen musst. Du bist eine gesunde Frau, Phoebe, und du bist schön, du bist wirklich schön.
Mit jedem beschwichtigenden Wort rege ich mich mehr auf, meine Paranoia verbietet mir, auch nur eine Silbe zu glauben. Ich wende mich ab. Alleine auf dem Balkon blase ich Rauch in die türkisfarbene Nacht und schüttele mich vor Ekel und Trauer und Fremde. Ich will meine Haut abstreifen, ein neues Gesicht angenäht bekommen, eines ohne Makel. Ich will jedes Gramm Fett an meinem Körper mit bloßen Händen und einem scharfen Skalpell von den Knochen schneiden. Ich will meine Gebärmutter im Biomüll entsorgen und meinen wiedergeborenen Körper 2.0 vierundzwanzig Stunden durchficken lassen, bis er schlaff auf den Dielen zusammensinkt, wund und betstätigt und geheilt von heiligen Händen und Schwänzen. Ich schlage mir gegen die Schläfen.
Ich bin nackt unter meinem kurzen blauen Kleid und ich werde bluten und ich werde essen und ich werde immer diese dialektische Distanz zu dem Menschen haben, den ich liebe. Meine Augen sind rot im Badezimmerspiegel, meine Haare sehen furchtbar aus. Ich habe einen Pickel auf der Stirn, ich weiß dass er das sieht und den ganzen Tag schon gesehen hat und kotze mir ins Gesicht. Hässlich, hässlich, hässlich. Lennard wartet im Bett auf mich. Ich gehe da jetzt hin und höre auf, zu heulen. Klappt nicht. Als ich seine Silhouette in Mondlicht warten sehe, schießen wieder Sturzbäche aus meinen Augen.
Das Leben ist ambivalent.
- Der Tag war so schön und ich werde ihn so in Erinnerung behalten, auch wenn es dir jetzt sehr schlecht geht. Du bist immer noch die Frau, der ich mein Herz schenke, auch wenn du zweifelst und Schwäche zeigst und nicht sehen kannst, was ich sehe, wenn ich dich anschaue.
Ich streife mir den Stoff von der Haut, mit dem Rücken zu ihm, damit er mein hässliches Gesicht nicht sehen kann das seine Behauptung lügen straft. Er umfasst meine Taille und streichelt mich, bis die Tränen abebben. Irgendwann zuckt er und schläft ein. Ich liege noch vier Stunden wach und versuche, den Wahnsinn in mir geräuschlos aufzudröseln.



Freitag, 2. August 2013

Einmal noch.




Lulu weint mein graues T-Shirt nass und es ist okay. Das Mixtape von T. läuft und ich heule und wüte und raffe Kassenbons und Besteck vom Boden auf, ich warne sie vor dem Fehler, den ich begangen habe. Ich sage, dass der T., den ich vermisse und den ich irgendwo immer liebe, dass dieser T. nicht mehr existiert, sage, dass ich weitergehe, dass ich stark bin, dass sie auch stark sein wird. Dass es richtig ist, wenn sie jemanden küsst, der sie so glücklich macht wie Lennard mich glücklich zu machen vermag.
Mir fällt die letzte Geburtstagskarte von T. in die Hände, eine winzige Prinzessin trohnt auf einem großen Berg Geschenke, Tränen tropfen auf die Pappe: "Alles Gute, xxx, dein T." Darunter ein ungelenk gemaltes Strichmännchen mit einem Pfeil - Phoebe. Alles erzittert, Bilder stürmen auf mich ein. Es ist gut. Es geht mir gut. Ich darf weinen um uns, darf weinen um die Verletzungen, die wir uns zugefügt haben. Um Neil Young und die Eagles, um die alte Matratze auf dem Boden, um grün-glasige Blicke, um den Geschmack von Gin und Wodka und Pepsi Light auf seiner Zunge, um seine Stimme wie sie seine Geschichte preisgibt, seinen Duft, um den BDSM-Sex, um seinen klugen Sohn, um seine Tränen auf meinem nackten Rücken, um unsere dreckige Küche, um taumelnde Nachtspaziergänge durch das FrankfurterVillenviertel, um Träume und ewige Lügen, um Luftschlösser, um unseren Balkon in der Psychiatrie, um die Brandnarben auf seinem linken Oberarm und meine Pulsader-Schnitte, um Woodstock, um Sylvester nackt und stumm mit Rotwein in den Laken, um unsere Sitcoms, unsere hitzigen Diskussionen, um seinen Blick in meinem Gesicht, um alle ersten Male, um die Scham, um den Hass, die Vergötterung, um zwei Jahre. Um meine erste Liebe.
Es tut sehr weh in diesem Moment-
Ich glaube, ich muss trauern, weil ich sonst drohe steckenzubleiben. Wenn ich mit Lulu weine, ist es nur befreiend. Nur richtig.
  Es gibt da einen Menschen, der in mir etwas weckt, von dem ich nie geglaubt hätte, dass ich es noch besitze: Hoffnung. So abgedroschen es klingt: Selbstachtung. Zärtlichkeit. Es gibt diesen Menschen, der ein unspezifisches Flattern und Ziehen in meinem Oberbauch auslöst, wenn er mich mandeläugig anlächelt. Der mir Mut macht und Kraft gibt. Der kein Monster ist.
Ich habe eine Scheißangst, glücklich zu sein, das ist es wohl.
Ich idealisiere den Schmerz, weil er herorischer ist und destruktiv und unberechenbar. Glück ist so trivial. Ist es das wirklich? Glück ist, um sechs Uhr morgens von kitzelnden Sonnenstrahlen geweckt zu werden und meine Hand auf Lennards Bauch zu schieben, Glück ist, wenn er sie im Halbschlaf an sich zieht und drückt und mit geschlossenen Augen lächelt. Glück ist die heilige Dreifaltigkeit aus Morgensex, Zigarette und Kaffee. Glück ist ein Regenguss. Glück ist auch, selig grinsend ein Telefonat mit meiner J. zu beenden. Glück ist wenn Lulu mit tränenverklebten Augen sagt: "Hey, ich fände es schön wenn du nachher rüberkommst und bei mir schläfst. Ich hab dich lieb." Glück ist narzisstisch und selbstlos zugleich, Glück ist Liebe und das Gegenteil von Böse.
Ich weiß dass das alles ich bin. Ich kann lieben. Ich kann das größste Arschloch auf Erden sein, und ich kann es bereuen und versuchen, nie mehr so tief zu fallen.
Ich kann glücklich sein! Und bin es. Hier, jetzt, mit T.s Musik im Hintergrund und all den hässlichen alten Päckchen und all den Erwartungen an die Zukunft, nicht mehr anorektisch dünn, tief verstört und doch lebe ich.

You don't see the bottom from the top, einmal noch, für dich. Let it float on down the stream / And we can cry a little / For a time that could have been / Live it all my love / Live it well my love / Live it long my love.
Tränen getrocknet, Zimmer aufgeräumt, Zweifel beseitigt, Nostalgie aus-gelebt. Weiter...