Freitag, 28. Dezember 2012

Wirres Gelaber.

Heute Nachmittag kommt er also wieder. Bin ich bereit?
Abführmittel - check. (Bauch ist trotzdem noch fett)
Haare mit Nagelschere geschnitten - check. (Gestern Abend im Wahn, ich trage jetzt wieder einen Bob à la Alexa Chung)
Geschirr gespült und Badezimmer geputzt - check.
Bereit bin ich trotzdem nicht. Nicht dafür, dass er heute Abend wieder trinken will. Ich hasse es so sehr...

Ich schwebe in einer merkwürdigen Zwischensphäre, einem Windkanal aus Depression, Körperbesessenheit, dem Gefühl das mir "1913" vermittelt (ich wiederhole: unbedingt lesen! Link!), Desinteresse an allem, was mir bevorsteht in den nächsten Monaten und der allseits beliebten Frage "Was soll ich essen".
Ich fühle mich nicht lebendig und nicht tot, nicht Fisch nicht Fleisch, nicht farbig und nicht schwarz-weiß. Schwer zu beschreiben. Es ist eine Verweigerung der Achtsamkeit und des "im Moment lebens". Ich hänge kopfmäßig in diesem und dem letzten Jahr fest weil so wahnsinnig viel passiert ist und ich es schlichtweg nicht auf die Reihe bekomme, zu akzeptieren oder anzuerkennen dass ICH es war, die diese Dinge gesehen, getan, gespürt, geschmeckt habe.
Warum musste ich mein Leben so gründlich gegen die Wand fahren?
Warum gibt es diese innere Abneigung gegen alles, was von außen kommt?
Warum habe ich die Schule aufgegeben?
Warum habe ich zugenommen?
Warum die letzte Klinik?
Warum die Affäre?
Warum ich?
Kann ich einfach tot sein?
Ich will ja gar nicht sterben, nur den Schalter umlegen bei diesem im Koma liegenden Siechtum namens Körper. Das hätte schon vor einer gefühlten Ewigkeit geschehen müssen.
Meine Vorsätze für das neue Jahr sind die selben wie letztes Mal: Abnehmen, ein besserer Mensch werden, irgendetwas gebacken bekommen. Die Chance, dass es diesmal gelingt, sind erfahrungsgemäß sehr gering...

Donnerstag, 27. Dezember 2012

Boys Don't Cry (modisches Statement des Tages).


I would break down at your feet
And beg forgiveness
Plead with you
But I know that it's too late
And now there's nothing I can do

I try to laugh about it
Cover it all up with lies
I try and laugh about it
Hiding the tears in my eyes
Because boys don't cry
Boys don't cry...


(Sale bei ZARA, nur 59€ ausgegeben!)

Dazu: Waschbär-Make-up (viel schwarzer Kajal, trage ich sonst nie), kurzer schwarzer Rock, Trenchcoat (offen), elfenbeinfarbener Loop-Schal, wilde Locken, graues XL-Shirt mit dunklen Punkten. Yeah, ich bin eine Biker-Hipster-Lady! Wollt ich schon immer mal sein. Und immer schön maskuline Details (Tasche! Uhr!).

Mittwoch, 26. Dezember 2012

Geheimwaffe Nagellack.

Ihr allerwunderbarsten Anteil-Nehmenden,
Zeit, um etwas richtig zu stellen und von einetr wundersamen Kur zu berichten, die mir heute Nachmittag aus dem tiefsten aller Löcher geholfen hat.

Erstens: T. ist natürlich nicht mein Mann im Sinne von Trauschein! Ganz großes Missverständnis. Und er ist natürlich der liebenswerteste, klügste, abgründigste und intelligenteste Mensch auf Erden; auch wenn er meiner Darstellung hier zufolge ein schäbiger, betrunkener alter Lustmolch sein müsste. Nein! Ich schreibe, wenn ich an seelischen Tiefs entlangtauche. Ich sollte mal schreiben wenn es (zwischen uns) wunderschön ist. Sollte ich, ja.
In der letzten Woche vor Heiligabend war unser Zimmer eine kleine gemeine Vorhölle, er hat durchgesoffen, vulkanartige Wutausbrüche gegen mich (Ich bin übrigens die ekelhafte, fette Schlampe, die ihn zwei mal betrogen hat, somit hat er jedes Recht mich schlecht zu behandeln!), Todessehnsucht auf beiden Seiten, von ihm jedoch veräußert ("Bleib bitte bei mir, ich sterbe heute Nacht").
Heiligabend war der Wendepunkt: ausnüchtern, kotzen, schlafen bei uhm, nach Hause zu meiner Family fahren bei mir.
Und jetzt besucht er seine uralten Eltern zusammen mit Klein-Sohnemann, die mich hassen und schon von dem Gedanken an eine ZWANZIGjährige Partnerin ihres Sohnes Herzrhytmusstörungen bekommen.
Das ist okay, wirklich. Wir sind bald zwei Jahre zusammen und ich akzeptiere das.

Ich bin immer entspannt, wenn ich weiß, dass er nüchtern ist.

Außer, und hier kommen wir zu "Zweitens": Wenn ich mein Antidepressivum vergessen habe, einzunehmen. Außer wenn ich schon kurz nachdem die Herren weg waren angefangen habe, die Süßigkeiten seines Sohnes zu verputzen.
Außer wenn ich seit drei Tagen den Fressanfall des Jahres (ernsthaft!) zelebriere und bei jedem Blick in den Spiegel, bei jeder 1000-Kalorien-Ration die ich hineinschlinge registriere, wie meine Konturen breiiger werden. Außer wenn ich nur an Weihnachten drei Kilo zugenommen habe.
Außer wenn mich die Traurigkeit verschlingt wie ich Erdnusse und Butter.
Außer wenn ich Freud'schen Tiefenekel empfinde wenn ich meine Familie im Schlafzimmer nebenann betrachte, wie sie fressen und knuddeln und faulenzen.
Unter diesen Umständen, also heute, kann ich nicht entspannen. Da liege ich im Bett und höre Schreie (meine eigenen) im Kopf, sehe wirre Bilderschleifen, Sexszenen und von Schnittwunden zerfurchte Unterarme blutend über unserem ach so schönen Waschbecken (meine) und das alles bei ohrenbetäubender Stille, Zigarrettenblasen am Handgelenk und Ich-glaube-ich-verliere-den-Verstand.
Was tut man dann?
Ich hatte nichts zu verlieren und rief meine Schwester auf dem Handy an (sie war in ihrem Zimmer, also etwa fünf Meter von mir entfernt, aber ich konnte mich nicht bewegen.
Ich sagte "Hallo, ist da Nagelstudio Blödibär? Ich hätte gerne chanelrote Nägel, machen Sie Hausbesuche?" und sie kam rüber, um mir die Nägel chanelrot zu lackieren und eine Zigarette mit mir zu rauchen (meine Schwester ist 16, müsst ihr wissen, und Gelegenheitsraucherin). Sie ertrug meine aufgepeitscht-aufgedrehten Tiraden (wie ein Teufelchen, dass dem Tod von der Schippe in den Sandkasten gesprungen ist) über Filme, die ich in den letzten Tagen gesehen hatte (Transformers, Der Goldene Kompass, Ghost - Nachrichten von Sam) und ließ sich aus meinem neuen Buch "1913" (unbedingt lesen!) vorlesen.
Adorno-hat-gesagt-weißt-du-dann-kommt-also-Patrick-Swayze-und-Stalin-im-Park-da-war-ich!-Schönbrunn-und-Schiele-und-Klimt-und-Lyra-und-die-Panzerbjörns-alle-total-krank-dieser-Würfel-weißt-du-mit-Schimpansen-und-Freund-und-C.G.-das-heißt-Carl-Gustav-Vatermord-blablabla.
Sie erträgt mich, das ist das großartige.
Sie lackiert meine kurzen, hässlichen Nägel und ist einfach nur da.
Ob sie zuhört, ist nicht so wichtig.

Habt ihr so jemanden? Einen Notnagel-Menschen, der euch aus Krisen hilft ohne auf die Krise selbst eingehen zu müssen. Kein Therapeut, kein oberschlauer Hobby-Psychologen-Freund sondern nur eine kleine Maus, die sich die Ohren abkauen lässt wenn zu viel raus muss, was nicht gesagt werden darf.
Stattdessen kommt allerlei anderer Gehirnmüll raus. Alles. Leeren. Aus.

101.

Nur Traurigkeit, Fülle, Fett und ein neues Medikament.
Mein Weihnachtsgeschenk ist, dass mein Mann aufgestanden ist, die Flasche weggestellt hat und in diesem Moment mit seinem Sohn in der Bahn sitzt, auf dem Weg zu seinen Eltern.
Habe ich Anteil daran? Unwesentlich. Es ist seine eigene Stärke, aus der Suizid-Rausch-Zwischenwelt heraustreten zu können. Ich war nur da.

Weiß nicht, was kommt und was wird, weiß nur, dass ich meinen Körperumfang verringern muss, um weitergehen zu können. Ich bin so grässlich hässlich, dass ich weinen muss, wenn ich mich ansehe.

Steh auf und folge -

Ich bin doch ganz anders, Hase, ich träume nur zu wild und mein Leben wiegt so schwer.

Ugly Kid Joe: The Cats In The Cradle
Frankie Goes To Hollywood: The Power Of Love
Kate Bush: Wuthering Heights

Freitag, 21. Dezember 2012

Alk.

Es tut mir wahnsinnig leid, dass ich gerade nicht kann.
Aber ich stehe jeden Tag um halb elf an der Kasse und die ewig gleiche Netto-Frau zieht eine oder zwei Flaschen Vodka Bojakoff und eine Flasche Cola Zero (zum Abschießen) und eine Packung O-Saft (falls er doch ausnüchtern möchte) über den Scanner.
Und dann sieht sie mich an. Sie ist alt (Asbach-Uralt, haha) und hat eklige, schwielige Hände. Jeden Tag schleppe ich diese verfickte Tüte zu ihm nach Hause und verwandele mich für den Rest des Tages in ein Sexobjekt bzw einen Box-Dummy (verbal natürlich).
Unschön.
Habe mich ziemlich tief geschnitten und weine viel.
Ich bin vollzeit Co-Abhängig und ich hasse Alkohol und das, was er aus dem Menschen macht, den ich liebe.

Samstag, 15. Dezember 2012

Haselmaus.

Ich weiß gar nicht wie ich anfangen soll.
Was ich erzählen soll.
Die Psychiatrie ist noch genauso wie vor fast zwei Jahren, nur dass ich dieses Mal das Glück hatte, direkt in die „Offene“ zu kommen und nicht ein paar triste Tage in der „Geschlossenen“ zu fristen.
Man lebt halt vor sich hin.
Man lebt nicht, man existiert, vegetiert, man steht auf, schluckt Medikamente, frühstückt, raucht auf dem Balkon, auf dem man sich damals in T. verliebt hat. Dann legt man sich in sein hässliches Zimmer und schläft oder, wenn man besser drauf ist, liest ein paar alte SPIEGEL-Ausgaben von vorne bis hinten durch. Man isst zu Mittag, macht ein bisschen Smalltalk, raucht auf dem gottverdammten Balkon, auf dem man das erste Mal ein Ziehen verspürt hat beim Blick in weise grüne Augen. Dann hängt man rum. Isst zu Abend. Holt sich Drogen und versucht, so früh wie möglich einzuschlafen. Fertig.
Es ist grottenlangweilig und trostlos.
Gut dass ich wieder draußen bin.
Es ist zehn Mal zuträglicher für meine Depression, wenn ich mich ablenken kann indem ich den Tag verpenne, Patiencen lege, meine Lieblingssendung „Tracks“ auf arte gucke, ein bisschen Sex mit meinem Freund mache.
Oder mit meiner Schwester fernsehe und mit ihrem Freund über South Park diskutiere.
Oder zur Therapie fahre und mir vorstelle, wie es wäre Geld zu haben und mir die geilen Cowboystiefel aus dem Second-Hand-Laden kaufen könnte.
Oder mit T. und seinem Sohn „Risiko“ spiele.
Oder einfach nur mit ihm zusammen bin. Er berührt mich mit seinem Zeigefinger am Arm, ganz zart, und ich weiß, was das bedeutet: Es bedeutet „Ich liebe uns“.
Es lenkt von dem großen dunklem Vulkankrater im Inneren ab, kühlt und wärmt zugleich, lässt Schnitte und Narben blasser und glatter werden, und das ist wohltuend.
Ich futtere, worauf ich Lust habe, und das ist dann eben meistens Schokolade. Who cares?
Ich habe überlebt, ich habe abgenommen, ich habe gelernt.
Die Lektion heißt: ----
Wie war das?
Ich weiß es wirklich nicht. Ich würde wahnsinnig gerne eine Geschichte vom Davonkommen, vom Lebendiger werden, vom Frieden finden erzählen, aber das kann ich nicht.
Mein Kopf ist groß und schwer und ich möchte nur noch schlafen, mich wie eine Haselmaus in T.s Armbeuge kuscheln und vergessen.







Dienstag, 4. Dezember 2012

Rückblende.


Toulouse, Mai 2009

Wir tanzen schon seit ein paar Songs, der Club ist voll und die Luft subtropisch. Mein Gesicht ähnelt von Nahem betrachtet dem von Kate Winslet und zwischen meinem Jeansrock reiben meine Oberschenkel aneinander, schwitzend und unangenehm. Alles ist unangenehm, der Rotwein, der mich bis zur Schädeldecke ausfüllt, die Lichter und die Bässe. Ich weiß nicht mehr, wie er heißt, er ist so groß wie ich und 36 Jahre alt. Seine Arme sind kräftig und glänzen vor Schweiß, er riecht nach Aschenbecher und Eau de Cologne. Sein Drei-Tage-Bart krazt meine Wange, dann stößt er unvermittelt seine kleine, raue Zunge in meinen Mund. Bier, Rauch, Wildheit. Ich will ihn nicht zurückküssen, ich habe noch nie jemanden geküsst. Er ist ekelig.
Die Geräuschkulisse und die tanzenden Körper verschmelzen zu einer unheimlichen Bedrohung, fremde Hände tasten nach meinem Rücken, meiner nackten Haut, eine Hand fährt zwischen meine Beine. Ich will nicht. Ich sterbe.
Ich verschwinde.
Da ist noch ein Mann, ein Junge, vielleicht 18 Jahre alt. Er lässt mich an seiner Zigarette ziehen. Ich huste und er lacht glockenhell. Er ist ein homosexueller Engel. Groß, überirdisch schön, blond, große grüne Augen und dichte dunkle Wimpern. Mein Französisch reicht nicht aus, um ihm zu erklären, was ich fühle, wie tragisch diese Nacht für mich ist, aber er ist ohnehin zu betrunken um mich zu verstehen. Er küsst mich auf die Stirn, sieht aus wie August Diehl in „Was nützt die Liebe in Gedanken“, nur tröstlicher und weniger wahnsinnig, lässt mich auf seinem Schoß sitzen. Sein Sexfreund kommt ihn abholen und ich schwirre allein weiter durch die Nacht.
Um sieben Uhr morgens sitze ich mit meinem Gastgeber / Austauschpartner und seiner magersüchtigen, bildhübschen besten Freundin Manon auf einem Kirchenvorplatz und und recke meinen schwülen Kopf ins fahle Licht. Ich spüre noch jede einzelne, eklige Berührung meiner Haut, fühle ein Ziehen und Pochen hinter der Stirn. Bin ich jetzt eine Frau? Habe ich diesen Mann verführt? War das meine Schuld? Bin ich eklig?
Mein Gastgeber fragt mich, mal ganz im Vertrauen, ob ich denn essgestört sei? Naja, es sei allen aufgefallen, dass ich so viel esse und dann häufig auf die Toilette gehe. Tu fais vomir?
Ich blicke an ihm vorbei ins Leere und schäme mich in Grund und Boden dafür, dass ich sechzehn bin und kurvig und unreine Haut habe. Dafür, dass ich in jeder 5-min-Pause in der Schule schnell etwas esse und dann aufs Klo renne, um mein Gesicht nachzupudern. Ich bin Make-up-süchtig und paranoid. Ich will nicht, dass jemand meinen Magen knurren hört, meine Pickel oder meine gelben Zähne sieht. Ich schäme mich, dass man von mir denkt, ich würde kotzen gehen. Ich habe noch nie gekotzt. Ich schäme mich, dass ich einen Fremden an meine Wäsche gelassen habe. Ich bin eklig.
Ich sage, ich wäre nur eitel und müsste deshalb ständig in den Spiegel gucken.
Er ist erleichtert. Manon blinzelt zu uns rüber und reckt ihre Ärmchen, fährt sich mit einer stilvoll beringten Hand durch die dicken blonden Haare. Mein Herz stolpert, als die morgendliche Brise ihren Duft, One by D&G, zu mir weht.
Ich weiß nicht, was hier passiert. Ich bin bodenlos und wund und verliebt und verkatert.

Sonntag, 2. Dezember 2012

Take a look at -

http://www.lillylindner.de/
Ich liebe diese Frau und ihre Bücher. Wärmste Empfehlung.

Zirpen und ziehen.

Angst. Nackte Angst in allen Zellen.
Es ist nicht so, dass sie in irgendeiner Weise zielgerichtet wäre oder einen genauer zu ortenden Ursprung in mir hätte, nein, sie ist einfach nur da.
Ich habe Angst, in meinem Zimmer zu sein mit nichts als Tabakkrümeln, zu wenig beachteten Kuscheltieren und Büchern, die ich nicht lesen will. (ich könnte weinen, wenn ich das schreibe, so weh tut es diese Dinge in meinem Zimmer zu haben)
Habe Angst, im Wohnzimmer zu sein mit meiner rosigen, lebendigen Schwester, die Biathlon sieht und Tee mit Milch trinkt. Habe Angst, mich hier im Arbeitszimmer zu befinden und sinnlose Texte zu tippen. Angst, zu versagen. Angst vor meinem Steifvater im Schlafzimmer, Angst, dass er es mir übel nimmt dass ich ihm dieses Jahr nichts zum Geburtstag geschenkt habe (kein Geld) und nicht einmal persönlich gratuliert habe (Scheiß-Tag).
Mein Bauch ist rot gesprenkelt von Wärmflaschen-Verbrühungen und fett und voll vom vielen Essen die letzten Tage, ich habe Angst, dass T. ihn heute Abend sehen und eklig finden wird. Dass er wieder sagt, ich solle endlich wieder Sport machen. Mich nicht so gehen lassen. Angst, dass er heute trinkt.
Ich habe panische Angst vor Sex. Vor Begeheren und Begehrt-Werden, vor Kontrollverlust. Davor, dass noch einmal jemand über mich sagen wird: Die alte Fotze, die ist doch nymphoman und den ganzen Tag feucht, die macht immer die Beine breit. (Das hat S. der Typ mit dem ich im Sommer eine Verzweiflungs-Klinik-Affäre hatte, neuerdings verlautbaren lassen)

Hatte ich schon erwähnt, dass ich Angst habe, raus zu gehen, weil es kalt ist und ich nicht wüsste, wohin mich meine wackelnden Füße tragen würden? Vielleicht in den Wald. Vielleicht würde ich irgendwo auf den gefrorenen Boden sinken und könnte nicht mehr aufstehen. Und dann?
Es ist ein widerliches Gefühl, sehr körperlich, Rastlosigkeit und Scheu, einen Gedanken zu Ende zu denken.
Was könnte passieren?
Alles würde zusammenbrechen, meine Schwester und meine Mutter und mein Zimmer und der Wald da draußen, sie könnten mich wegsperren oder vergessen. Ich bekomme schon Panik, dass man mich vergessen hat, wenn man mich ein paar Minuten warten lässt. Ich will dann am liebsten Sturm klingeln bei meiner Therapeutin, aber ich traue mich nicht.
Will tot sein endlich.

Samstag, 1. Dezember 2012

Alltag.

Ich bin so unfassbar dick und ich komme nicht mit.
Sie hat mich fest im Griff, diese unnachgiebige chronische Depression, sie hat eine kalte Hand auf meine Schulter gelegt und dirigiert mich zum Kühlschrank. Ich öffne ihn und verschlinge sehr schnell zwei sündhaft teure Tiramisu-Desserts, kurz ist es hell, dann schließe ich die Tür.
Meine Mutter ruft mich, sie liegt im Bademantel meiner toten Oma im Bett. „Magst du mir so ein superleckeres Dessert aus dem Kühlschrank bringen?“ Tut mir leid, ich habe beide schon gegessen. Aber ich wollte eh noch einkaufen gehen, die gibt es auch beim tegut, ich bringe sie mit. „Das glaube ich nicht, dass es die da gibt. Das ist eine ganz exklusive Marke und überhaupt, warum fragst du nicht vorher? Was soll das? Warum isst du zwei Stück?“
Ich sage nichts. Draußen verschlingt mich das schimmelige Nachmittagslicht. Ich wühle meine Hände in den Männerparka meiner Schwester und gehe um des Gehens willen, ein Schritt, noch einer, noch einer, Tapp Tapp. Ich spüre es entgleiten. Die Leere pumpt mich voll, nur die Vergänglichkeit, eine Schrittlänge vor mir, leistet mir Gesellschaft.
Ich fummele mein Handy aus der Rocktasche und wähle T.s Nummer. Er geht erst beim fünften Klingeln ran, sein Sohn ist bei ihm. Wir reden genau eine Minute vierzehn Sekunden, er klingt aufgeräumt und warm.
Alles ist so tot und weit, dass ich schreien möchte. Ich kaufe ein, futtere ein Duplo und einen Kinderriegel ohne etwas zu schmecken, gehen gehen Treppe rauf Tür auf Tasche abstellen.
„Na, warst du erfolgreich?“ Wieso sollte man beim Einkaufen erfolgreich sein? „Hast du das Dessert bekommen?“ Nein, aber eine andere Sorte von der gleichen Marke und das ist mir ehrlich gesagt auch ziemlich egal. Ihr nicht. Na schön.
Fühle mich klippenhaft und kotzübel und so schrecklich fremd. Sie klopft an meine Kinderzimmertür. Ich sitze mit dem Rücken zur Heizung und qualme eine, beobachte die Nebelschlieren, die in der Mitte des Raumes hängen, genau zwischen meinen ganzen fremden dunklen mit Bullshit bedeckten IKEA-Möbeln.
Was das eben sollte? Glaubst du mir macht das Spaß? Diese ganze Scheiße? Glaubst du ich esse so etwas teures, weil ich Hunger oder Appetit habe?
Sie dreht sich eine Zigarette und nimmt auf meinem winzigen Bett Platz. Als ich aus der Psychiatrie kam, wünschte ich mir nichts mehr als ein kleines Bett, maximal 100cm breit, nur für mich und ein paar Kissen. Ein Nest, ein Kinderbett für eine erwachsene Kindfrau.
Meine Mutter schweigt, ich schweige. Ich bin kalt und verwaist, und ich spüre dass ihr das weh tut.
Sie lächelt zaghaft. „Hast du dich über den Besuch von J. gefreut?“ J. lebt in Leipzig seit Beginn des Semesters. Ich will etwas sagen, denke nach, versuche in mich hinein zu spüren, aber da ist nur Not.
„Nein. Nicht richtig.“ - „Warum das?“ - „Weil ich mich gerade über gar nichts freuen kann.“
Meine Mutter seufzt ganz komisch und stippt Asche in mein Windlicht. „Es ist schweinekalt hier. Ist die Heizung richtig an?“ Ich verneine. Meine Heizung ist kaputt, muss permanent entlüftet werden, deswegen ist es immer kalt (kalt und stinkt nach Räucherstäbchen und Zigarettenrauch), aber das stört mich gerade wirklich nicht.
Sie offensichtlich schon. Sie entlüftet meine Heizung und guckt mich traurig an. Gut, dass ich so vollgefressen bin, dass ich kaum Schuldgefühle und Ängste empfinden kann.
Die Rasierklingen sind in meinem Kosmetiktäschchen. Ein Meter von hier. Ich muss sie nur nehmen.
Ich tue es nicht, weil ich keine Lust habe, die nächsten Tage wieder frische Schnitte vor allen verbergen zu müssen.
Ich komme nicht mit. Das Leben verläuft in Zeitlupen-Endlosschleifen und verwaschenen Farben, die Dialoge sind schlecht synchronisiert. Und doch ist es mir zu anstrengend, mich darauf einzulassen. Ich sitze also im Vorführsaal und registriere, dass der vorgeführte Streifen mich nicht berührt, geschweige denn mitreißt, und statt rauszugehen starre ich weiter auf die Leinwand in der Hoffnung, dass noch etwas kommen mag. Etwas noch groteskeres als das, was ich jetzt sehe. Etwas, das mich veranlassen wird zu sagen, „Hat sich doch gelohnt den Film zu Ende zu gucken“, wenn ich die letzten Popcorn von meiner Jacke schnippe und mich zum Gehen wende. Wenigstens will ich sagen können, okay, das war eben sehr „arthouse“, sehr verwoben, sehr hintergründig. Eben das, was man über Filme sagen kann, die man nicht versteht, deren Erzählsträngen man nicht folgen kann, die aber dennoch im Kopf kleben bleiben wie Honigfinger.
Aber was sollte das sein?
Weitere Episoden über sinnloses Essen, sinnloses Geld-Ausgeben, sinnlose Bemühungen, Normalität und Freude zu simulieren?
Am 5.12. gibt es neue Medis für Phoebe, darauf setze ich meine letzten Coins.


Auf dem Konzert war ich Donnerstag mit meiner Schwester...

Freitag, 23. November 2012

Warum ich es noch will.

Ich kann essen, ohne Kalorien zu zählen, nicht immer, aber in neunzig Prozent der Fälle. Ich kann abends einen Teller Nudeln oder eine Laugenstange essen, hantiere ungeniert mit Butter, Sahne und Olivenöl. Ja, ich liebe den Geschmack von sahnigen Saucen, fette Croissants mit Butter und Pizzen mit viel Mozzarella, und ich kann sie essen, ohne darüber nachzudenken.
Ich esse Schokolade, Taco-Chips und so gut wie alles mit einer großzügigen Schicht Parmesan darauf, weil es einfach besser schmeckt. Abends einen Sahnejoghurt? Klar. Unterwegs einen Donut? Okay. Fernsehen und dabei vier Lebkuchen verdrücken? Ja doch. Mein BMI hält sich stabil zwischen 19 und 21, je nachdem, ob ich viel Appetit habe oder weniger. Wenn ich nicht mag, ernähre ich mich ein paar Tage lang eben nur von Schokomüsli und Kaffee, oder aber ich koche mir eine leckere Gemüsesauce mir viel Öl und Pesto und genieße sie mit Spaghetti.
Ich fühle mich dick, aber ich habe mich auch mit BMI 13 dick gefühlt, was macht das also für einen Unterschied? Ich bin attraktiv für Männer und immer noch schlanker und besser proportioniert als die meisten jungen Frauen, die ich in der Fußgängerzone treffe. Ich friere nicht mehr ständig, esse in einer normalen Geschwindigkeit und keiner glotzt mir auf die knubbeligen Knie, die früher immer wie kleine Todesmale aus meinen Streichholzbeinchen ragten. Ich kann Hosen tragen und sehe nicht aus wie eine Presswurst mit 69 kg (wie vor der Magersucht), sondern wie eine normale, schlanke Frau mit einem normalen, nicht mehr ganz so großem Arsch.
Ich freue mich über Plätzchen und Lebkuchen-Latte bei Starbucks und ich weiß nicht mal, wie viel Fett da drin ist. Mein Kaffee ist nicht mehr schwarz, sondern mit Milch und schmeckt zehn mal besser.
Komplimente, das Gefühl, Brüste zu haben die man in Szene setzen kann, wenn man will. Wenn man mich blöd anguckt in der S-Bahn, dann nur wegen der Schnitte auf meinen Armen und nicht, weil letztere kaum breiter sind als ein Deo-Roller.
Klingt das nicht paradiesisch?
Ja, das klingt es.
Hätte man mir vor ein paar Jahren gesagt, dass ich einmal so unbefangen mit Essen umgehen würde können, hätte ich theatralisch gelacht. Dass ich nicht mehr abwiegen würde, wie viele Nudeln ins Wasser kommen. All das.
Es ist Wahnsinn, dass es geht, und ich weiß nicht mal warum das so ist.
Liegt es an T.? Liegt es an meinem Drang, alles wieder gut zu machen was ich meiner Familie in den „dünnen Jahren“ angetan habe?
Bin ich gereift? Oder gar gesundet?
Nein, leider nein. Ich würde all meine erkämpften Fortschritte, das bessere Körperbewusstsein und die relative Gleichgültigkeit meinem Gewicht gegenüber (solange es in einem gewissen Korridor bleibt) ohne zu zögern hergeben für die verwesende Knochenästhetik des vorpubertären Körpers der Anorexie. Die ständige Angst, das Frieren, das Angestarrt-Werden, das permanente Rattern der Kalorien- und Gewichtszahlen in meinem viel zu großen Kopf willkommen heißen. Sofort. Tout de suite.
Ist das traurig? Was bringt mir die Krankheit außer Leiden und Entbehren?
Es ist nicht schlicht das Dünn-Sein. Es ist der Sinn. Das große, allumfassende Projekt, das Wesen dahinter. Es ist das, was niemand außer mir wahrnimmt.
Andere Menschen erinnern sich an die hungerleidende Phoebe als traurige Karikatur ihrer selbst, als in hundert Schichten Kleidung verhüllten Freak mit glimmender Zigarette im schmalen Mund.
Ich erinnere mich an sie als zartes Wesen einer höheren Gattung. Klingt das krank? Ich meine das so, wie ich es sage. Ich war nicht nur dünn, ich war rein. Ich war fokussiert. Ich war allmächtig.
Ich war meine Essenz. Ich war ruhig und sachlich und ernst, und zugleich fühlte ich etwas in mir, vielleicht war es die Anwesenheit des Todes, ich weiß es nicht, aber es war großartig. Ich sah mehr. Fühlte mehr. Meine Instinkte und Sinneswahrnehmungen waren geschärft wie die eines jagenden Tieres. Es war dieses Flirren im Kopf, dieses Rattern der schnellen Gedanken, dieses archaische Gefühl von Leben. Jeden Moment bewusst zu erfahren. Immer auf der Hut zu sein.
Ich war nicht mehr angreifbar, weil ich erhaben war.
Niemand hätte mich treffen können, weil ich keine Zielscheibe mehr bot.
Der Sinn.
Der Sinn des Lebens oder des Vegetierens?
Kein Plan.
Aber er war da, und mit ihm Pläne und Träume und Sehnsüchte und Kreativität und alle Geschmäcker der Welt, die ich nicht mehr schmecken durfte.
Als ich zunahm, schrumpfte mein Universum wieder zusammen auf dieses klägliche Maß, das jedem zuteil ist, so empfand ich das damals. Als ich Normalgewicht erreichte, versickerten die letzten Zukunftsvisionen und Wünsche, mein letztes Selbstwertgefühl im schlammigen Sumpf der Depression.
Ich halte dieses Gewicht, und es ist gut. Ich bin freier. Aber auch um meine Visionen beraubt. Ich habe keine Ideen mehr, kein Abitur und keine Freunde. Ich mag die Menschen nicht mehr, verstehe sie nicht und vertraue ihnen nicht.
Mein eigenes, das war die Krankheit. Mein Monster. Meine Kraft. Meine Auszeichnung.
Heute lebe ich in den Tag hinein, der so normal und scheiße ist dass es kaum lohnt, morgens aufzustehen.
Marya Hornbacher hat sinngemäß geschrieben, gesund zu sein ist nicht mehr das große Drama, es ist die tägliche Sitcom, lächerlich alltäglich. Es ist kein Epos mit pompösem Orchester und Chören, die Großes versprechen.
Gesund sein ist normal sein, wäre man nicht immer noch krank.
Mit Persönlichkeitsstörungen und Depressionen behaftet, aller Ideale und Ziele beraubt. Angreifbar, verwundbar, wahrnehmbar.
Erwartungen, Verpflichtungen, auf dem Boden sein. Lasagne essen und Kleidergröße 36/38 tragen.
Sich nicht aushalten.
Hungern wollen und es nie durchziehen, weil die Kraft dazu fehlt.
Für das Abi lernen wollen und es nie durchziehen, weil die Motivation dazu fehlt.
Anderen etwas geben wollen und merken, man hat nichts mehr.
Man ist so banal geworden, so weit weg vom Sinn, von der Vision dessen, was man mal werden wollte.
Ich bin das.
Ich bin in so vielen Bereichen wieder so normal geworden, und anstatt mich darüber zu freuen und es zu akzeptieren, kämpfe ich Tag für Tag für die letzten Trümmer der Krankheit. Als würde ich mich weigern, einen zerstörten Zahn ziehen lassen zu wollen, weil er mich an meine „großen Momente“ erinnert.
Ist das nachvollziehbar?
Es gibt sie sehr wohl, die Gründe dafür, dass ich in dieser Zwischendimension feststecke.
Sie wiegen so viel wie ich.

Mittwoch, 21. November 2012

Bonjour Tristesse.

Was ist das für ein Leben, indem ich so traurig und passiv von einer Nacht in die nächste gleite?
No future.
Wann gehst du denn mal wieder ins Fitness?
Geht grade nicht.
Hast du mal wieder ein Lernheft gemacht?
Geht grade nicht.
Ich bin es so leid, zwei Kilo ab- und zuzunehmen im vier-Tages-Rhytmus; bin es leid, zwischen T.s und unserer Wohnung zu pendeln. Ich hasse es, zur Therapie zu fahren, weil mir der Weg so wahnsinnig lang vorkommt und ich nie sicher sein kann, ob ich ihn bewältigen werde. In drei Wochen werden meine Medikamente umgestellt. Ich bin traurig, weil ich dick und hässlich bin und eklige Narben an den Armen habe. Ich werde es niemals schaffen, die Abiprüfung im nächsten Jahr abzulegen, wenn ich jetzt nicht irgendwann anfange, den Stoff der 12 und 13 zu lernen. Mir ist es auch egal, ich will nichts von meiner Zukunft. Nur BMI 13. Sonst nix. Seit zwei Wochen bin ich ungeschminkt, was seltsam ist, weil ich mich seit meinem dreizehnten Lebenjahr jeden tag geschminkt habe: Concealer, Puder, Rouge, Augenbrauenstift, manchmal Mascara. Und nun - nackt. Ist mir auch kackegal.

Dienstag, 20. November 2012

Lieben.

Das ist T.
Das ist nicht wirklich T., aber es ist der Mann, der sein Zwillingsbruder sein könnte, weil er ihm so ähnlich sieht.

Seit er mich verlassen hat, sind wir zusammen. Das mag paradox klingen, aber es entspricht meinem Gefühl.
Gestern war er nüchtern, und ich habe mich ganz heftig in sein Schlafgesicht verliebt. Er redet so anders, wenn er nicht trinkt. Seine Worte sind gesetzter und ernster, sein Humor dunkler und seine Augen graugrün und rastlos wie das Meer.
Wir sehen uns Fight Club an und berühren einander nur minimal, mein Arm an seinem Rücken, ich sauge seinen Duft, der nicht verfälscht ist von Vodka-Cola und kaltem Schweiß, tief in mich hinein.
Könnte ich ihn nur bewahren, so ehrlich und klug und subtil abweisend, ich würde mein Leben in seine Hände legen.
Sein Gutenachtkuss schmeckt nach T., sein Atem riecht so, wie die dumme Gans Bella den Geruch ihres Edward beschreibt: frisch und kühl und süßlich.
So haben wir uns kennengelernt, nüchtern, trocken und ernst, und so werde ich auch meine Liebe zu ihm ertragen.
Zusammensein.
Lieben.
Ich weiß nicht, was mit mir geschieht, wenn ich ihn im Profil betrachte. Ich sehe den feinen Schwung seiner Nase und die abstehenden Haare, sehe seine Kiefermuskeln arbeiten und seinen Blick auf das Gemetzel am Bildschirm gerichtet, und verstehe nichts von dem, was mein Gehirn mir dazu sagen möchte.
Es sagt: Er ist es. Es sagt: Er wird es immer sein.
Ich wühle die Nase in sein Kissen und liebe.
Ich wühle die Nase in sein Kissen und wünsche mir, dass er mich irgendwann wieder lieben kann.

Unser Lied ist "I wanna be adored" von den Stone Roses.

Sonntag, 18. November 2012

Chronologie des Irrsinns.

Am Donnerstagabend sagte T. "Ich kann nicht mehr. Ich will mich von dir trennen." Ich schnitt mir tief in den linken Arm, tief und schräg.

Freitagnacht heulte ich fünf Stunden lang. Ich beschloss, erst mal nichts mehr zu essen.

Freitagmorgen ging ich zu ihm und wir redeten. Er sagte, er wolle dass sich nichts ändert. Er berührte mich und ich explodierte innerlich vor Liebe, ich heulte rum, zog mich aus und wir hatten den besten Sex meines Lebens.

Freitagabend war er suizidal und volltrunken.

Samstagfrüh wog ich 61kg. Wir waren vorsichtig zueinander und machten leisen Sex.

Samstagnachmittag verließ ich seine Höhle, kaufte mir Tabletten, welche die Aufnahme von Kohlenhydraten vermindern sollen und aß eine Laugenbrezel.

Samstagabend aß ich Schokolade, sah mir "Wüstenblume" an und schlug meine Hüftknochen.

Heute morgen entschloss ich mich, wieder zu fasten.

Mittwoch, 14. November 2012

Hunger.

Kennt ihr das?
Diese Tage, an denen man schon von an Übelkeit grenzendem Magenknurren geweckt wird?
Und nein, nicht etwa weil man unterernährt ist. Auch nicht, weil man am Tag zuvor nach 17 Uhr nichts mehr gegessen hat.
Sondern, und das ist das ungerechte, weil man gegessen hat. Welch abartige Ironie. Ich esse, und bekomme Hunger. Ich esse nicht, und bekomme nach einer angemessenen Anzahl von Tagen, die ich mich von Minimalportionen eiweißhaltiger und nicht sättigender pseudo-Lebensmittel ernährt habe, Hunger.
Hunger fühlt sich für mich an wie ein riesiges Loch, ein unendlich tiefes Loch in der Magengegend.
Ich liebe ihn, weil er so fordernd ist. Es ist schier unmöglich, ihn auszublenden, weil er meine Gedanken dazu bringt, um Essen zu kreisen. Aus demselben Grund hasse ich ihn auch.
Er ist der Liebhaber, neben dem man aufwacht und schlaftrunken nicht realisiert, wie er schon wieder in mein Bett gekommen ist. Weil man ihn doch eigentlich zu kennen glaubt: Er tut mir nicht gut, er nimmt zu viel Raum ein, er schafft es immer wieder, egal ob ich mich gegen ihn wappne oder ihn herbeisehne, er nimmt keine Rücksicht.
Was macht man mit so einem Kerl? Man streichelt ihn sacht, um ihn nicht zu wecken, und schält sich geräuschlos aus dem Bett. Im Türrahmen blickt man sich noch einmal um und registriert, dass er wach ist. Er hat nie geschlafen. Man geht duschen und hofft, dass er verschwindet, aber der Körper schreit geradezu nach Nahrung - man muss sich wohl oder übel mit ihm auseinander setzen.
Genau genommen gibt es jetzt zwei Möglichkeiten:
Entweder man vertreibt ihn unsanft, indem man Essen in sich reinstopt, bevor man zur Therapie fährt, um ihn dann in der Straßenbahn - unter den gemeinen Blicken der Fremden ("Alle starren auf meinen fetten Bauch, ich bin so voll und gefräßig, ich bin ein Schwein!")  - heimlich wieder herbeizusehen, weil man sich in seiner Anwesenheit weniger schutz- und wertlos fühlt.
Oder man kapituliert vor seiner Anziehungskraft und bittet ihn, zu bleiben, man trinkt Kaffee und Wasser und Tee und plant, wann man heute noch etwas klitzekleines essen wird. Aber nur so viel, dass man ihn spätestens beim einschlafen wieder hinter sich spürt, wie er seine schwere Hand in meinen Bauch drückt. Man steht in der Bahn und ist froh, dass es so laut rumpelt dass niemand das Magenknurren vernimmt, man ist erfüllt von schwereloser, verliebter Leichtigkeit und fühlt sich sicher ("Da glotzen sie alle, diese faulen, fetten Schweine, ich bin viel stärker als ihr, ich habe Hunger und das bedeutet, ich bin nicht so vollgefressen wie ihr!").

Der Hunger macht mich melancholisch und euphorisch zugleich, ich kämpfe permanent dagegen an, dass er mich vereinnahnmt (trinke warme Getränke, presse Wärmflaschen gegen das Loch im Bauch) und will doch nicht, dass er geht.
Heute morgen bin ich neben ihm aufgewacht, obwohl ich ihn gar nicht eingeladen hatte. Er flüstert mir zu, er habe mich vermisst, und zwingt mich, auf die Waage zu steigen.
62,5 kg. Ich freue mich diebisch, dass es weniger ist als vor einer Woche, viel weniger, er umfasst meine Taille und raunt: "Ich war die ganze Zeit bei dir, du hast mich nur nicht bemerkt".

Okay, du darfst bleiben, Geliebter. Dir kann ich wenigstens vertrauen.

Sonntag, 11. November 2012

Körpergefühl.

Ich sehne mich nach den Zeiten, in denen alles leicht war.
Die Liebe, die Luft, die Zukunft und ich. Vor allem ich.
Im Moment bin ich schlaf- und haltlos, orientierungslos, kraftlos. Ich esse wenig, nur Dinge auf die ich wirklich Lust habe (Schokomüsli und Schokomüsli und Kaffee und Schokomüsli). Und das auch nur, wenn mir kein Sex bevorsteht, denn ich lege wert darauf dass mein Freund meinen Bauch nur ungefüllt zu sehen bekommt, selbst wenn das bedeutet dass ich erst abends essen darf.
"Da, da siehst du doch deine Knochen, spürst du sie? Wie du es immer wolltest", er streichelt die Kuhle meiner Hüftknochen.
Während er meine fetten Schenkel küsst verdrehe ich mein Becken und halte die Luft an, sodass es wirklich an frühere Zeiten erinnert. An Zeiten, in denen alles so leicht war.
Ich bin hochkonzentriert auf meinen Körper in jeder Sekunde, in der wir es tun. Das ist anstrengend. Ich will, dass er endlich kommt, damit ich tief einatmen kann.
Wir verbringen drei Stunden im Bett, hören Seal und der Regen klatscht gegen unser Fenster. Es ist wunderschön, einerseits.
Andererseits bin ich so abgrundtief traurig.

Heute morgen sitze ich also mit meiner Schwester (16) auf unserem Balkon und rauche. Sie raucht sehr süß, stippt nach jedem Zug gewissenhaft die Asche ab und hält ihre Kippe sehr verkrampft und elegant.
Ich will mit ihr reden, ich weiß nicht mit wem ich reden soll. Will sagen, "Hey, mir geht es sehr dreckig momentan, nichts hält mich hier, ich fühle mich unfähig, dieses Leben zu leben". Ich sage "Hey, wie fandest du eigentlich den Vorspann von Skyfall? Bisschen überladen, oder?"

T. gestern Abend am Telefon: "Du bist so perfekt. So unfassbar schön, dass ich es nicht in Worte fassen kann. Nimm meinetwegen zwei Kilo ab, dann kannst du bei Victoria's Secret mitlaufen". Ich erkläre ihm, dass die Frauen dort mindestens 12 kg weniger wiegen als ich. Er ist sauer, meint, ich solle endlich aufhören über meinen Körper zu lamentieren.
Er versteht gar nichts. Ich bin krank!
Ich will die Leichtigkeit zurück, mehr als alles andere. Ich taste nach Hüftknochen und spanne die Arme an, damit sie schlanker und fester aussehen. Ich muss.

So sein:


Mittwoch, 7. November 2012


Allein

Ich lebe allein
mit dem Lied

Meine Fragen
werden nicht fertig

Der Himmel antwortet
nein
ja

Ich weiß nicht
wo das Ende beginnt
der Anfang endet

Rose Ausländer

Samstag, 3. November 2012

Assoziatives Schreiben.

Ich laufe durch den feinen Nieselregen nach Hause und der nasse Asphalt spiegelt die goldenen Straßenlaternen.
Von links und rechts dröhnt Musik auf mich ein, strömt durch beide Gehörgänge und trifft sich in der Mitte meines Gehirns, so fühlt es sich an. So laut, dass meine Schritte und meine visuellen Wahrnehmungen wie ein Film wirken.
Editors in den Ohren und riesige Schatten auf den Straßen: mein  privater film noir im Kopfkino, Spätvorstellung.Ich komme von einem kleinen, aber feinen Konzert in der Kneipe meines Stiefvaters. Nachdem er ein Saxofonsolo für die Lindenberg-Cover-Band gespielt hatte, wurde es mir zu viel und ich machte mich auf den Rückweg. Zu viel "Familie". Meine Schwester und meine Mutter hinter dem Tresen, die Bier ausschenken, überall alte "Bekannte" meiner Eltern. Und Phoebe, die eigentlich gar nicht weiß, wo sie ist.

Auf dem Heimweg, unter der charmanten Regie meines Groß- oder Stammhirns (das ist mir ziemlich wayne, um ehrlich zu sein), kamen natürlich die folgenden Assoziationen hoch:

1. Heimweg, Regen, goldenes Licht: Die Zeit nach der ersten Klinik, als ich abends unter einem Vorwand ("Ich hole noch mal zur Sicherheit einen Liter Milch aus der Kneipe, Tschüssi") die Wohnung verließ um einfach nur durch die Nacht zu laufen und dabei (einfach nur) ein paar zusatzliche Kalorien zu verbrennen. Ich war nahezu zwanghaft was das Laufen angeht, nach der Klinik fast noch extremer als zuvor. Ich sammelte Kilometer wie andere Flugmeilen.

2. Editors: Das Lied "Camera" habe ich in der Inneren Medizin den ganzen Tag gehört. Ich stöpselte mir die Stecker in die Ohren und schlurfte in Ballerinas und mit einem gewaltigen Infusionsständer zum Aufzug, die ersten Takte untermalten stets das Sich-Öffnen der Türen und meinen Weg in den Raucherbereich. Der Pförtner zwinkerte mir zu, der Infusionsbeutel wackelte bei meiner scharfen Rechtskurve. Die anderen Patienten lächelten mir freundlich zu, es war Juni und die schönsten Wochen meines Lebens. Meine Shorts schlabberten um meine Giraffenbaby-Beine, meine Haare waren zu einem unordentlichen Dutt verknäult und ich fröstelte leicht in der prallen Beton-Sonne auf den weißen Plastikstühlen, während ich eine Kippe nach der anderen rauchte und die ZEIT endlich von vorne bis hinten lesen konnte. Ich freute mich wie Bolle auf die jeweils nächste Mahlzeit, die Besuche von T. und das Erscheinen des neuen SPIEGEL. "Look at us - Through the lens of a camera - Does it remove - All of our pain?" sang Tom Smith und ich versuchte es.
Ich betrachtete mich, uns. Von ganz weit weg, von oben, aus der Sicht eines Menschen der mein Bild in ein paar Jahren betrachten sollte. Und ich war mir so verdammt sicher, dass der Schmerz hier, in diesem Krankenhaus, in diesem verfickten Sommer, aufhören würde.
 

3. Ebenfalls Editors: Der Grund, weshalb der Schmerz hier nicht gelindert, sondern verschlimmert werden würde. Die Psychosomatische Station, meine Affäre mit R., Fressanfälle, 20 kg Gewichtszunahme.
R., der einzige Mensch den ich kannte, der diese Band kannte. R., der mir das Lied "Papillion" für immer verdarb, weil ich es bin, die besungen wird, und "The Boxer", weil er es für mich lebte.
R., 43 Jahre, ehemaliger SPD-Politiker, depressiv, frankophil, Romantiker, Nietsche-Freund, verhinderter "Künstler", Patient mit regressiven Anwandlungen. Ecetera. Ich könnte viel über ihn schreiben und über das, was zwischen uns entstanden ist und wie, aber ich bin mir nicht sicher ob euch Leser das wirklich interessiert. Das, beziehungsweise er, war jedenfalls die zweite Assoziation zu dieser Musik. 





Und damit will ich im Grunde nur sagen, wie wundervoll und schmerzhaft zugleich so ein kleiner Abendspaziergang doch sein kann, wenn man aus unerfindlichen Gründen eine Band aus der Wiedergabeliste seines Walkmen wählt, die man sonst guten Grundes überspringt. Und wie schön das Licht unserer Laternen sich auf dem nasskalten Asphalt spiegelt.
Das wollte ich sagen.


Und listen to that man: 




Dienstag, 30. Oktober 2012

Fische, Milben, Vogelköpfe, das Leben und Stehpartys.

Danke für eure ehrlichen Antworten. Ich finde es sehr berührend und ermutigend zu lesen, dass eure Ängste den meinen sehr ähneln und ich mich in vielen Aussagen wiederspiegele.
Das mit der Angst ist ein großes Thema.



Vor anderthalb Jahren, in einer Gruppenrunde in der Psychiatrie, haben wir intensiv darüber geredet. Ein Mitinsasse war 45 und Offizier bei der Luftwaffe mit paranoiden Psychosen. Er hörte Stimmen und glaubte, er bekäme Anweisungen von irgendwelchen Geheimdiensten. Bis die Medikamentendosierung stimmte, wandelte er umher und dachte, jeder einzelne Arzt oder Pfleger wolle ihn vergiften und an die Russen ausliefern, weswegen er sich sogar Faustkämpfe mit ihnen lieferte.
Ich empfand das damals als befremdlich und insgeheim ein wenig komisch, wie in einem mittelmäßigen Hollywood-Film eben. Aber diese Dimension der Angst habe ich selbst nie erfahren. Diesen Verfolgungswahn, Stimmen hören und so weiter.
 Alles was ich kenne, sind die verschiedenen Graustufen dessen, was ihr beschreibt, plus meine persönliche Urangst vor Verlusten (= Beziehungen, einstürztenden Häusern, um meiner Mutter).
Man könnte jetzt darüber diskutieren, was erträglicher ist, und ich würde mich sicherlich jenen Diskutanten anschließen, die plädieren: "eine ausgewachsene Psychose in Verbindung mit sozialer Phobie und Paranoia ist natürlich sehr viel tragischer als Verlust- und Versagensängste, Unsicherheit, Leere und ein paar knackige Panikattacken sonntagmorgens!". Was letzteres aber nicht verharmlost oder abwertet.
Ich will damit nur sagen, dass wir glücklich sein sollten, uns mit einigermaßen hoher Wahrscheinlichkeit meistens unseres eigenen Verstandes bedienen zu können, überwiegend "Herr im eigenen Haus" zu sein.
Dennoch: Ich kenne das, jenen Zustand in dem die eigene Essstörung/Depression/Persönlichkeitsstörung die Oberhand ergreift und mich zu steuern scheint, mein Denken, Fühlen und Handeln beeinflussen will.
Und leider, leider lasse ich sie auch viel zu häufig gewähren und mich leiten. Aber warum?
   Warum wähle ich nicht die Selbstbestimmung?
   Warum lebe ich in einer Diktatur meiner kranken Persönlichkeitsanteile?
   Warum fresse, hungere, heule, schlafe, leide, schneide ich (mich)?
Die Antwort ist so einfach, dass man sie beinahe zu übersehen glaubt:
"Sie haben Angst, Phoebe."
Ich antworte meiner Therapeutin, ich hätte keine Angst so wie früher, wäre furchtlos inzwischen.
Sie widerspricht mir und erklärt, die Angst sei der Motor, der mein gestörtes Selbstbild und Verhalten am Laufen hält, weil sie mich lähmt und meinen Verstand verzerrt.
Angst ist eine Reaktion des limbischen Systems auf Stress.
Stress wirkt sich auf die Hormonproduktion im Gehirn aus, ebenso auf die Psyche (haha, das ist ja was ganz neues).
Teufelskreis durchbrechen?
Paranoia zulassen?
Ängste verdrängen?
Sich seiner Furcht stellen?
Psychotisch werden?
Wahnhafte Angst?
Stress aushalten Stressniveau senken.
Angst nehmen lassen Angst festhalten.
Alles stürzt zusammen sich fallenlassen vertrauen.
"Ich habe nur noch Angst vor Fischen, Milben, Vogelköpfen, dem Leben und Stehpartys. Und davor, fett zu sein. Was wollen sie hören?"

Montag, 29. Oktober 2012

Krabbelkopf.

Scheint als könnte ich bei ihm nicht mehr schlafen. Oder ist die Nacht einfach zu verlockend als geheimer Spielplatz für peinliche Aktivitäten?
Naja, was heißt peinlich. Ich blogge ja nur. Er findet es lächerlich und kindisch, immerhin bin ja ja schon zwanzig.
Mein Kopf ist vollkommen übersättigt.
Und das kommt mir ganz gelegen, denn was gibt es schöneres, als eine Nacht tot zu schlagen und morgens um sechs die Erste im Fitness zu sein? Wahrscheinlich einiges, wenn man gut drauf ist.

Ich habe mir überlegt, einmal eine Umfrage (oder vielleicht noch mehr?) zu starten unter meinen tapferen 52 (!) Leserinnen. In diesem Sinne: Harret dem, was kommen möge.

--- Edit: Hat nicht geklappt. Bin zu doof dafür. Aber dafür möchte ich euch folgende Frage stellen:


Samstag, 27. Oktober 2012

What shall we do with the drunken sailor?

Wir schauten vorhin eine Folge Scrubs, in der Dr. Cox den Tod von drei Patienten verschuldet und sich infolgedessen mit aufgequollenem Gesicht betrinkt (bzw vom Trinken aufquillt).


Ich sagte zu T.: "Bah, das will ich nicht sehen."
Er zuckte mit den Schultern. "Warum?"
"Keine Ahnung, ich hatte mal einen Freund, der hat auch gesoffen. Alki, weißt du? War total anstrengend mit ihm."
T. lachte und stand auf, um sich einen Kaffee zu machen. "Komisch, die Geschichte kenne ich doch."

Wir treiben durch die Zeit. Schon wieder eine Woche vergangen, unbemerkt.
Mein größtes Problem? Antriebslosigkeit.
Das führt dazu, dass ich im Prinzip nichts tue außer schlafen, essen, Sitcoms-und-3sat-gucken, Patiencen-legen und Kreutzworträtsel-lösen. Manchmal gehe ich ins Fitti und trainiere mir 300 kcal ab, manchmal lese ich ein paar Seiten Mo Yan. Manchmal ist mein Freund scharf auf mich, dann machen wir Sex. Manchmal fahre ich zu meiner Familie und futtere mich durch den Kühlschrank hindurch. Aber das ist selten.
Die Leere in mir, welche dazu führt dass ich seit Wochen durch die Zeit treibe wie ein morsches, fauliges, schweres Stück Holz; diese Leere absorbiert jeden Gedanken. Deswegen schreibe ich momentan so selten hier. Es ist so anstrengend. Mein Alltag überfordert mich.
Ich mache rein gar nichts produktives, geschweige denn zielführendes. Ich unternehme nichts im Bezug auf Abnehmen und Schule.
Ich kann Werbejingles mitsummen! How I Met Your Mother mitsprechen! Toll.
Wie soll es weitergehen? Wenn es nach mir ginge, könnte es ewig so weitergehen. Ich verspüre nicht so viel Druck wie sonst, bin wie auf Autopilot. Alles fließt, ich treibe. T. trinkt.
Leerlauf, Leerzeichen, Leerstelle, Zeitraffer.
Um sieben Uhr geweckt werden - Morgenmagazin anschalten. Eine Rauchen, dabei Kaffee machen. Drei Riegel Kinderschokolade zum Kaffee essen (sie darin schmelzen lassen). Solitär spielen. Zu Pro7 wechseln, Kreutzworträtsel, duschen, anziehen. Die Sitcoms kann man durchgängig sehen, wenn man will, von halb neun bis fünf Uhr. Ich ernähre mich fast nur von Kinderriegeln und Müsli. Gehe einkaufen, Milch und Kaffee und Tabak. Eine Flasche Vodka, eine Flasche Cola. O-Saft zum Ausnüchtern.
Das Fernsehprogramm strukturiert den Tag. Ich könnte ihn auch anhand von Zigaretten, Gläsern Alkohol oder Toilettengängen strukturieren, aber so ist es am einfachsten. Es tut sich nichts, nichts.
Und ich bin zu feige mir das Leben zu nehmen, zu viele Schuldgefühle und -geknäule in meinem Herz.
Auch wenn ich gehen wollte, könnte ich nicht. Wegen meiner Mutter. Wegen ihm.
...

Newbie, give me a little trouble, I'm having some help here... 
 Dr Cox

Dienstag, 23. Oktober 2012

Kein Heim, allein.

Die Wohnung ist leer und kalt und dunkel.
Meine Schritte leiten mich in das Schlafzimmer meiner Mutter und meines Steifvaters, ich klaue Pralinen und Cookies, esse im Badezimmer, blättere nervös durch den neuen SPIEGEL und schmecke Blut.

Ich hasse sie alle so sehr.

Meine beste Freundin hat mir ein kleines Paket aus Leipzig geschickt, ich mag den Brief nicht öffnen. In dem knallbunten Papier finde ich ein Täschchen, genäht aus eine Haribo-Party-Spaß-Tüte.
Ich verstehe nichts, fühle nichts, dunkel.
T. ist todunglücklich und findet dennoch die Kraft, mit mir zu diskutieren, mich wieder und wieder zu Grunde zu richten mit hart geschliffenen Satzkanten: "Du bist der arroganteste Mensch, den ich je kennengelernt habe. Deine Familie tut mir leid. Du lebst zwischen den Welten, du bist bei mir Gast und bei ihnen du hast keine Rechte mehr, das weigerst du dich nur, zu akzeptieren. Du gehst mir so sehr auf den Sack, Hass."
Ich fühle mich schmutzig und bräsig und unverstanden.
Die Wohnung ist leer und kalt und dunkel und ich mache alle Lichter an, aber sie sind so einsam!

Sonntag, 21. Oktober 2012

Happy Birthday.



Sorry, ich habe mich jetzt länger nicht gemeldet, auch wenn ich jeden Tag auf Blogger war und die neusten Einträge gelesen habe...
Mir fehlte einfach die Kraft, einen Text zu schreiben der zum Ausdruck bringt, wie es mir geht.
Am Donnerstag bin ich zwanzig geworden.
Mittwochabend sind sind ein suizidaler T. und ich nach Sachsenhausen gefahren, zum Konzert von Pickers in einer winzigen Kellerspelunke. Es war grandios. Man konnte rauchen und überall hingen Elvis-Plakate, hässliche Hipster-Tussis mit dicken Beinen tanzten ausgelassen und gaben mir das Gefühl, eine bildhübsche Elfe zwischen ihnen zu sein (haha). Nein, im Ernst, das Konzert war richtig geil, sogar T. hat es gefallen. Wir nahmen uns ein Taxi zurück (Vor-Geburtstags-Luxus) und ich war relativ pünktlich um 0:00 bei meiner Family zu Hause.
Angeregt durch meine Therapeutin hatte ich am Mittwochvormittag mein Zimmer aufgeräumt und umgeräumt (ich habe das Bedürfnis, alle paar Monate Bett, Schreibtisch und Kommoden rotieren zu lassen, damit mein Zimmer mich weniger ängstigt. Ich weiß, das hört sich total bescheurt an, aber wenn ich eine bestimmte Phase in einer bestimmten Bett-Tisch-Kommode-Konstellation durchgemacht habe bekomme ich „Angst“ vor diesem Raum, fühle mich wie ein zahnloser Tiger im viel zu kleinen Käfig und muss dringend etwas ändern. Die Crux ist, dass mir dazu die Kraft fehlt und ich zwar theoretisch den Drang verspüre, Wände zu streichen und Möbel rauszuschmeißen, ich praktisch aber nicht einmal in der Lage bin, mein Bettlaken zu wechseln).
Also rauchte ich meine erste Kippe als „Twen“ in meinem frisch bezogenen Bett mit der schönen Aussicht auf den stilvoll beleuchteten Bieberer Kirchenturm und stellte irritiert fest, dass der Schrecken des Geburtstages beinahe verschwunden war.
Ich hatte mich die ganze Woche innerlich zerfleischt, und plötzlich schien alles ganz leicht. Sehr seltsam. Die Sache ist, ich hasse mich viel zu sehr als dass ich es genießen könnte, im Mittelpunkt zu stehen (AHRG), beschenkt (AAHRG) und liebkost (AAAHRG) zu werden, wie es nunmal üblich ist wenn man sich jährt. Zudem gibt es in meiner Familie das Ritual, dass das Geburtstagskind (wenn es nicht gerade in einer Klinik rumgammelt weil es sich mästen lässt) morgens einen Kaffee ans Bett gebracht bekommt, in einen Morgenmantel schlüpft und unten im Wohnzimmer von einer Arkade von Kerzen begrüßt wird, Blumen und Geschenke vorfindet und dabei die ganze Zeit geherzt und fotografiert wird. Das war mein Horrorszenario.
Ich wäre wahrscheinlich in Tränen ausgebrochen, hätte den Vormittag alleine mit Fressen und Schneiden verbracht und so weiter.
Überraschung: Als hätte man meine Gebete erhört, hörte ich nichts. Kein Tapsen, keine Kaffeemaschine, kein Geschenkpapiergeraschel, keine Feuerzeuge. Ich schlich mich ins Bad und dann ins Wohnzimmer. Nur Blumen und eine Karte. Meine Mutter war im anderen Badezimmer und offensichtlich im Stress, rechtzeitig zur Arbeit zu kommen. Sie umarmte mich (gerade noch aushaltbar) und düste ab.
Yay! Ich war erleichtert hoch zehn und ging entspannt duschen (ohne wiegen vorher), latschte dann zum Bäcker (Nougatcroissant) und genoss (!) mein einsames und kleines (Croissant plus Schoko-Soja-Drink) Frühstück vor der Glotze (Two And A Half Man, Big Bang Theory). Es war nahezu perfekt.
Ich verliere mich in Details. Also: Ich befand mich im „Schon“-Modus, man könnte es auch „Selbstschutz-Modus“ nennen. Ich ignorierte meine fetten Beine, mein fettes Gesicht und die Tatsache dass ich viel zu erkältet war um mehr zu tun als mit Schmerzen und Hitzewallungen auf unserem grünen Ledersofa zu liegen. Es war okay, echt. Ich war okay. Ganz seltsam und fremd, dieses Gefühl. Nachmittags kamen mein Opa und meine Schwester, auch erträglich, gegen Abend noch mein Erzeuger und der Freund meiner Schwester. Alle betranken sich (außer mir), was mich anekelte, und wir aßen Kürbissuppe. Dann fuhr mich mein Vater netterweise noch zu T., der mich mit einer roten Rose (OMG) und Karten für Skunk Anansie (OMFG) überraschte. Wir sahen uns The Voice an und gingen früh schlafen.
Keine Gratulationen von diversen Ex-Lovern, auch gut. Eine Gelegenheit, loszulassen von Erinnerungen?
Am Freitag brachte ich erstmal meine Kröten zur Bank – stolze 240 € - und erledigte ein paar Einkäufe. Mein Geschenk an mich selbst: ein schwarzer H&M-Rock mit dem perfekten Schnitt, das heißt er betont schlanke Beine bis zu dem Punkt, wo sie fett werden und versteckt Speckröllchen an der Hüfte. Ich werde bald mal ein Foto posten!
Dann hatte ich noch megaguten Sex mit T. (mit wem sonst, sehr lustig Phoebe) und ein paar mittelschwere Panikattacken wegen Kuscheltieren auf dem Flohmarkt. Ich drehe manchmal durch, weil ich denke, dass Dinge eine Seele haben und verrecken wenn ich sie nicht rette, zum Beispiel Tassen, die mir mein Vater mal geschenkt hat und deren Aufenthaltsort ich nicht kenne, alte Bücher, die ich nicht ausreichend gewürdigt habe oder ähnliches. Dann zittere ich und heule und verliere jeglichen Bezug zur Realität, weil ich mich so schuldig fühle am Leid dieser Tassen und Bücher (oder eben Stoffdinos auf dem Flohmarkt). Meine Therapeutin weiß, dass ich in Wirklichkeit Angst habe vor Beziehungen zu Menschen, vor Abweisung, Streit, Zuneigung, und das dann auf Gegenstände projeziere. Jaja.
Sonst ist nichts außergewöhnliches passiert. Ich merke, dass der Selbstschutz-Modus sich langsam verflüchtigt, vor allem seit ich gestern bei „Kreutzer Kommt“ eine anorektische Heroinabhängige gesehen habe, die einfach nur bildschön war. Und dann mich sehe mit meinem fat-face und meiner Wampe und der Hass und die Wut wieder in mein Hirn sickern, dahin wo sie hingehören.
Mal sehen was passiert.
Ich bin passiv und warte auf ein Signal, wieder hungern zu können. Zwanzig und dünn, das ist zwar nicht so gut wie Neunzehn und dünn aber auch okay.
 

Montag, 15. Oktober 2012

Fern-Sehen.

Vorgestern bin ich die Treppe herunter gefallen.
Wollsocken, selbstgestrickt von Oma, glitten über glatte Treppenfliesen und ein unglücklicher Körper schlug zwanzig Mal auf, bevor er auf den ebenso glatten Flurfliesen zur Ruhe kam.
Ich hatte versucht, mich mit den Armen abzufedern und mir damit lilafarbene Hämatome auf dem rechten Unterarm, eine Schürfwunde am Handgelenk und Prellungen an Rücken und Arsch zugezogen. Es war ziemlich still in der Wohnung, meine Mutter telefonierte, meine Schwester lag auf dem Sofa und blätterte in der NEON. Der Aufprall meines massigen Leibes hörte sich an wie ein Sack Mehl, den irgendjemand unsanft abgeladen hatte.
Dieses Gefühl, diese zwei Sekunden des Kontrollverlustes, den Gesetzen der Schwerkraft ausgeliefert, lässt sich schwer in Worte fassen. Ich weiß, dass ich dachte „Genickbruch, Schädelfraktur, hoffentlich haue ich mir keinen Zahn aus!“. Ich bin so eitel, pfui.
Meine Mutter rutschte mit rutschfesten Hausschlappen in den Flur, um mich aufzulesen.
Dem Mehlsack kamen die Tränen erst, als sie ihn in die Arme nahm. Ich weinte nicht wegen der Prellungen oder weil ich mich so erschrocken hatte, nein, ich weinte ob dieser Berührung.
Meine Schwester stand unschlüssig auf einem Bein hinter ihr und taxierte mich.
Ich versuchte, den Schmerz, den ich verspürte, es war kein körperlicher, zu definieren, zu orten, aber es gelang mir nicht.
Dieses Fallen, das es braucht, um gehalten zu werden.
Wie unerträglich eine tröstende Umarmung sein kann, wenn es einen innerlich zerreißt vor Selbsthass, Angst, Hilflosigkeit.
Das Gefühl, Lichtjahre weit weg zu sein von meiner Mutter, sie durch Milchglas zu sehen.
Nur Leere in mir, kein Wunsch, keine Idee, kein Ziel, keine Freude an nichts.

Ein paar Stunden später.
Meine Mutter, meine Schwester und ich fuhren zur Buchmesse. Sie plauderten über den Schulausflug nach Marbach, ich plauderte mit durch ein zehntausend Kilometer langes Rohr, das mich mit ihnen verband. Ich will gar nicht auf die Buchmesse gehen, wollte ich sagen. Aber du hast es dir doch gewünscht, hast es vorgeschlagen. Ich weiß, aber ich will gar nicht.
Und das ist außerdem alles viel zu teuer scheiße ich bin ein verfickter Geldschlucker und nur traurig und ziehe alle runter mit meinem leeren Blick aber ich kann nicht ich habe Angst ich will nicht dass sie das für mich tun ich will nicht kann nicht nicht nein nicht nicht.
Ich war so unglücklich wie in meinem ganzen Leben noch nicht.
Es war diese tiefe, durch Mark und Bein gehende, vollkommen lähmende Traurigkeit.
Ich wusste, es würde nie wieder ein Lichtstrahl durch meine Netzhaut dringen.
Kein Mensch würde mir folgen können dorthin, wo ich mich aufhielt.
Irgendwer sagte etwas mit Oma und sofort stiegen mir dicke Tränen in die Augen. Ich hatte zu wenig an sie gedacht, seit sie tot ist. Ich war ein ekelhafter Scheißmensch und hässlich und fett.
Meine Hämatome leuchteten blau-grünlich und schmerzten.
Wir schafften es bis in die Eingangshalle der Buchmesse, bevor ich kapitulierte.
Stattdessen gingen wir in eine ehemalige Studentenkneipe meiner Mutter und aßen etwas.
Ich bestellte eine traurige Kürbissuppe und heulte Rotz und Wasser. Innerlich. Meine Mutter war so unfassbar lieb, so lieb, dass es nicht zum Aushalten war. Ich wollte sie nicht alleine lassen, aber ich war so todmüde.
Mein Inneres fühlte sich klobig und kalt an, als hätte jemand einen Messingfötus im achten Monat in mich eingepflanzt.
Ich stehe wieder auf dem Grenzwall zum Wahn, zum Verrücktsein, und rutsche mit Omas Wollsocken auf und ab.

Mittwoch, 10. Oktober 2012

Vulkanologie und Angst.

Beziehungen sind zerbrechlich, instabil, unstet.
Jeden Tag muss ich darum käpfen, sie zu erhalten. Ich flicke und kitte und lüge und verrate und verschweige und gehorche, dass mir nur niemand mehr verloren gehen mag, jeden Tag. Jeden einzelnen, verschissenen Tag.
Seit ich sechs bin, lebe ich in mehr oder weniger ständiger Alarmbereitschaft.
In ständiger Angst.
Ich beobachte und lerne. Ich lerne: niemand braucht dich so sehr wie du ihn brauchst. Niemand braucht dich so sehr wie deine Mutter. Niemand verletzt dich so sehr wie dein Vater.
Es gibt kein Gleichgewicht der Kräfte, der Bedürfnisse.
Es gibt keine Sicherheit.
Jahre später, wenn ich unter paranoid anmutenden Panikattacken leide, werde ich das Gefühl haben, die ganze Welt warnen zu müssen, dass ihre Gebäude, deren Statik, die Elektrizität, alles, die Autos, die Abwasserkanäle unter ihnen, das all das dem Wind nicht stand hält. Ich werde hyperventilieren und wissen: Es gibt keine Rettung. Jemand hat sich verrechnet, verplant. Es ist zu laut hier, die Schallwellen könnten Häuser zum Einsturz bringen. Jedes Hochhaus hat so viele Gasanschlüsse, so viele Wasserleitungen, die platzen können. Jedes Sitzelement im Wohnzimmer muss doch so schwer sein, dass die Mauern unter ihm nachgeben? So viele Menschen, und ich werde sie nicht retten können.
Ich werde keine Todesangst haben, ich werde Angst haben um meine Mutter. Dass sie stirbt.
Im Alter von sechs Jahren bin ich ein stilles, kluges Kind, ein wenig stur und sehr wählerisch. Und ich habe große Angst. Ich werde niemanden halten können, das ahne ich. Wie denn auch?
Als meine Eltern sich trennen, bin ich dreizehn. Ich begreife, dass alles auseinander fällt, mein Vater bedoht uns, er will sich töten. Meine Mutter und meine Schwester weinen und schreien, ich zittere vor Angst und versuche, ihn mit Worten zu beruhigen. Blut strömt aus seiner Nase, er verliert den Verstand, denke ich, und rede munter weiter auf ihn ein.
Nach der Trennung holt er mich und meine Schwester manchmal ab, Essen gehen. Es gießt in Strömen und wir fahren nicht zum Restaurant. Wir fahren Landstraße. Ich sehe den Tachometer und schweige. Mein vater rast schweigend durch das Gewitter, als jage er den Tod. Meine Schwester weint leise. Ich bin vierzehn, Mobbing-Opfer und hochbegabt, und ich bin bereit zu sterben in diesem Scheißauto.
Nichts passiert.
Ich verliere meine Freundinnen an die cooleren Cliquen der Schule, an Jungs und an die Depression.
Ich bin schwach, ohne schwach zu wirken, müde, ohne müde auszusehen, und ich habe Angst.
Ich mache noch eine Therapie, mit siebzehn, verliere die Panikattacken und werde magersüchtig.
Ein Jahr später lerne ich mein antologisches Gegenüber kennen: T.
Er lehrt mich, ohne sich dessen bewusst zu sein: Ein Wort, und alles ist vorbei. Eine Geste, und wir sind tot.
Es fasziniert mich, das Spiel mit dem Risiko. Es ist anstrengend, aber endlich kann ich meine erworbenen Fähigkeiten anwenden: Unterordnung, Betrug, Schlichten, Trösten, Schützen, Retten, subtil Kritik üben, sich Festbeißen.
Ich liebe ihn und bin unfähig, ihn loszulassen.
Er liebt mich und stößt mich von sich, immer wieder in den Abgrund, um dann in der letzten Sekunde halbherzig seine Hand auszustrecken und mich wieder hochzuziehen.
Das endlose Spiel. Er wärmt mich, überschüttet mich mit Komplimenten und Liebe, um dann, ganz unertwartet, wegen einer Lappalie auszurasten und mich zu hassen. Er beendet die Beziehung, schimpft und wütet, schlägt nach mir.
Ich habe mein Handy den ganzen Tag bei mir, weil ich erfahren habe was passieren kann, wenn ich nicht erreichbar bin. Ich setze Worte auf blauen Samt, wenn er hochkocht.
Ich tanze auf dem Vulkan und hole mir Narben und Brandwunden, aber ich möchte mich der Illusion hingeben, ihn zähmen zu können, und dann irgendwann einen so wertvollen Vulkan zu besitzen, sicher zu wissen.

Montag, 8. Oktober 2012

Nach(-)tisch.

Heute trage ich eine Jeans (oha!).
Bilder der letzten Tage: Fetti mit geschätzten 63 kg. Im Fitness waren es gestern 61 kg mit Kleidung, aber das kann nicht sein, ist auch keine Digitalwaage.

Morgens halb 8 auf dem Weg zum Sport.

Nach FA in der City.
Und nun: der Grund warum ich nie nie nie Hosen trage: meine fetten Oberschenkel (ja, oben berühren sie sich nicht, deswegen scheint da Licht durch, dann folgt die Fettfalle).
Yay. Was meint ihr?


Sonntag, 7. Oktober 2012

Schwarze Lunge. / Anfang.

Ich bin Kettenraucherin.
Angefangen habe ich (hat alles) in der Nacht zwischen dem dritten und vierten Februar 2010.  
Meine beste Freundin A. wurde volljährig. Nachdem wir in Frankfurt Cocktails getrunken und überteuerte Enchiladas verspeist hatten, kauften wir mit jugendlichem Übermut ein Päckchen Marlboro. Wir trugen Trenchcoats von Benetton, unsere elegantesten High Heels und fühlten uns wahnsinnig erwachsen und mondän, als wir ein Taxi (Stichwort High Heels) heranwinkten und angetrunken kichernd in ihre Wohnung fuhren.
A. war Waise und lebte mit ihrer Großmutter und einem fetten Kater im vierten Stock eines Plattenbaus. Wir legten Muse auf und ließen die Beine vom Fensterbrett in die Nacht baumeln, tranken Rotwein aus Wassergläsern, philosophierten über den Tod und schmiedeten verrückte Zukunftspläne („Ich werde unfassbar kluge Bücher schreiben und in einer Altbauwohnung mit Stuck an den Decken leben, allein versteht sich, und Affären mit anderen Künstlern haben. Aber es wird mir nichts bedeuten, ich werde sie ausnutzen und in den Wahnsinn treiben. Scheiß Männer, ey!“).
  Das Päckchen Kippen leerte sich zunehmend.
Ich weinte ein bisschen wegen diesem Politik- und Geschichtslehrer, Rouven, wir duzten uns und er hatte mir in den vergangenen Monaten schöne Augen gemacht.
Komplimente, ein Beatles-Ständchen („Honeypie, you are making me crazy, I'm in love but I'm lazy...“), Tenor-Sopran-Flirts in unserem Oberstufen- und Lehrerchor.
Ich muss dazu sagen dass er nicht mein Lehrer war, wir kannten uns nur durch den Chor und die dazugehörige Probenfreizeit (Vivaldi bei der Weihnachtsfeier) im Winter, bei der es heftig geknistert hatte. Ich war 17, wog etwa 67 kg und war als Rosa Luxemburg der Schule in Business-Outfits verschrien, er war 36, Charmeur und Galant, narzisstischer Prediger kapitalismuskritischer Parolen, rhetorisches Genie und der Lehrkörper mit den blauesten Augen der Schule.
Nach den Weihnachtsferien begrüßte er mich, indem er meine Hände in seine nahm und mir tief in die Augen sah.
  Ich war ein bisschen verknallt, gebauchpinselt und naiv, er hatte mich in seinem Auto mitnehmen wollen, wir trafen uns auf dem Schulflur („Na, du siehst gestresst aus, alter Mann!“ - „Hallo schöne Frau! Ach, mein LK bringt mich noch um. Ich habe deine Facharbeit durch, das ist ganz groß, ich bin echt beeindruckt. Nein wirklich.“ - „Danke. Wow.“ - „Ich muss leider... Aber, Phoebe – du riechst wahnsinnig gut. Was ist das?“ - „Chance von Chanel.“ - „Mademoiselle porte Chanel... Au revoir, mignonne!“).
Dann, ganz plötzlich, war es vorbei mit den kleinen Aufmerksamkeiten. Kein Kuchen mehr, den er mir in meiner Freistunde schenkte, keine mehrdeutigen Blickkontakte beim Singen, kein Interesse mehr für meine „beeindruckende“ Facharbeit, mein Parfum, meine Meinung zu diesem oder jenem.
  Ich wusste, dass unser Schul- und Chorleiter ihn auf mich angesprochen hatte.
Was ich nicht wusste, war dass ich nicht die erste Schülerin war, die er mit seinem Charme „beglückt“ und um den Finger gewickelt hatte, das würde ich erst Monate später erfahren.
  A. klopfte mit den Füßen gegen die Hausmauer und berührte tröstend meine Schulter. Matthew Bellamy jaulte und schrie sich die Seele aus dem Leib, und ich machte mir ernsthafte Gedanken über das Erwachsenwerden. „Ich glaube, ich nehme ein paar Kilo ab. Was meinst du? Nur um ihm und all den anderen Wichsern in den Arsch zu treten. Er soll sehen, wie ich immer attraktiver werde und dass er nicht der einzige Mann ist, der mich ansieht.“ 
A. zuckte mit den Schultern. Sie war zehn Zentimeter kleiner als ich, hatte goldfarbene taillenlange Locken und eine perfekte, zierliche Sanduhrfigur. „Das brauchst du nicht. Echt nicht.“ Ich widersprach ihr im Geiste und angelte die letzte Marlboro aus der Schachtel. 
Mein Körper war voller unpassender Rundungen, ich hatte kaum Taille, dafür aber ausladende Hüften, stämmige Arme und einen fetten Arsch. Und schwabbelige, fette Brüste. Das musste dringend einmal generalüberholt werden, wieso kam ich erst jetzt darauf?
Klar, ich liebte Essen.
Ich liebte Schokolade, Chips und das Essen meiner Mutter, ich aß am meisten von meiner ganzen Familie und das schien niemanden zu stören.
Wenn es mir nicht gut ging oder mir langweilig war, stöckelte ich in den 5-min-Pausen mit meinen Stiefeletten zum Automaten und schob in Turbo-Geschwindigkeit eine Tafel Ritter Sport in mich hinein, oder auch ein fettes Nougat-Croissant. Ich konnte anderthalb Pizzen essen plus die Nudelreste von meiner Schwester.
Ich hatte das bisher nie problematisiert. Ich war eine Fressmaschine!
Das ziemt sich nicht für eine Tussi, die eine Lady sein möchte. Immerhin rauchte ich jetzt. Ich betrank mich auf dem Fensterbrett! Ich musste jetzt, verdammt noch mal erwachsen werden. Und erwachsen heißt auch: diszipliniert!
A. und ich sahen uns in jener Nacht noch Fatih Akins „Gegen die Wand“ an, weil wir ohnehin nicht mehr schlafen konnten, ein fetter Kater wärmte meinen Bauch und ich aß meine Henkersmahlzeit (Honigsmacks).
Das war der Anfang von allem.
Mit dunkel umschatteten Augen fragte A. mich, ob ich das ernst meine mit dem Abnehmen, ich bejahte.
„Naja, jedenfalls solltest du dir später Zigaretten kaufen, honey. Du weißt ja das Rauchen beim Abnehmen hilft. Irgendwie wirkt Nikotin auf den Stoffwechsel.“