Samstag, 1. Dezember 2012

Alltag.

Ich bin so unfassbar dick und ich komme nicht mit.
Sie hat mich fest im Griff, diese unnachgiebige chronische Depression, sie hat eine kalte Hand auf meine Schulter gelegt und dirigiert mich zum Kühlschrank. Ich öffne ihn und verschlinge sehr schnell zwei sündhaft teure Tiramisu-Desserts, kurz ist es hell, dann schließe ich die Tür.
Meine Mutter ruft mich, sie liegt im Bademantel meiner toten Oma im Bett. „Magst du mir so ein superleckeres Dessert aus dem Kühlschrank bringen?“ Tut mir leid, ich habe beide schon gegessen. Aber ich wollte eh noch einkaufen gehen, die gibt es auch beim tegut, ich bringe sie mit. „Das glaube ich nicht, dass es die da gibt. Das ist eine ganz exklusive Marke und überhaupt, warum fragst du nicht vorher? Was soll das? Warum isst du zwei Stück?“
Ich sage nichts. Draußen verschlingt mich das schimmelige Nachmittagslicht. Ich wühle meine Hände in den Männerparka meiner Schwester und gehe um des Gehens willen, ein Schritt, noch einer, noch einer, Tapp Tapp. Ich spüre es entgleiten. Die Leere pumpt mich voll, nur die Vergänglichkeit, eine Schrittlänge vor mir, leistet mir Gesellschaft.
Ich fummele mein Handy aus der Rocktasche und wähle T.s Nummer. Er geht erst beim fünften Klingeln ran, sein Sohn ist bei ihm. Wir reden genau eine Minute vierzehn Sekunden, er klingt aufgeräumt und warm.
Alles ist so tot und weit, dass ich schreien möchte. Ich kaufe ein, futtere ein Duplo und einen Kinderriegel ohne etwas zu schmecken, gehen gehen Treppe rauf Tür auf Tasche abstellen.
„Na, warst du erfolgreich?“ Wieso sollte man beim Einkaufen erfolgreich sein? „Hast du das Dessert bekommen?“ Nein, aber eine andere Sorte von der gleichen Marke und das ist mir ehrlich gesagt auch ziemlich egal. Ihr nicht. Na schön.
Fühle mich klippenhaft und kotzübel und so schrecklich fremd. Sie klopft an meine Kinderzimmertür. Ich sitze mit dem Rücken zur Heizung und qualme eine, beobachte die Nebelschlieren, die in der Mitte des Raumes hängen, genau zwischen meinen ganzen fremden dunklen mit Bullshit bedeckten IKEA-Möbeln.
Was das eben sollte? Glaubst du mir macht das Spaß? Diese ganze Scheiße? Glaubst du ich esse so etwas teures, weil ich Hunger oder Appetit habe?
Sie dreht sich eine Zigarette und nimmt auf meinem winzigen Bett Platz. Als ich aus der Psychiatrie kam, wünschte ich mir nichts mehr als ein kleines Bett, maximal 100cm breit, nur für mich und ein paar Kissen. Ein Nest, ein Kinderbett für eine erwachsene Kindfrau.
Meine Mutter schweigt, ich schweige. Ich bin kalt und verwaist, und ich spüre dass ihr das weh tut.
Sie lächelt zaghaft. „Hast du dich über den Besuch von J. gefreut?“ J. lebt in Leipzig seit Beginn des Semesters. Ich will etwas sagen, denke nach, versuche in mich hinein zu spüren, aber da ist nur Not.
„Nein. Nicht richtig.“ - „Warum das?“ - „Weil ich mich gerade über gar nichts freuen kann.“
Meine Mutter seufzt ganz komisch und stippt Asche in mein Windlicht. „Es ist schweinekalt hier. Ist die Heizung richtig an?“ Ich verneine. Meine Heizung ist kaputt, muss permanent entlüftet werden, deswegen ist es immer kalt (kalt und stinkt nach Räucherstäbchen und Zigarettenrauch), aber das stört mich gerade wirklich nicht.
Sie offensichtlich schon. Sie entlüftet meine Heizung und guckt mich traurig an. Gut, dass ich so vollgefressen bin, dass ich kaum Schuldgefühle und Ängste empfinden kann.
Die Rasierklingen sind in meinem Kosmetiktäschchen. Ein Meter von hier. Ich muss sie nur nehmen.
Ich tue es nicht, weil ich keine Lust habe, die nächsten Tage wieder frische Schnitte vor allen verbergen zu müssen.
Ich komme nicht mit. Das Leben verläuft in Zeitlupen-Endlosschleifen und verwaschenen Farben, die Dialoge sind schlecht synchronisiert. Und doch ist es mir zu anstrengend, mich darauf einzulassen. Ich sitze also im Vorführsaal und registriere, dass der vorgeführte Streifen mich nicht berührt, geschweige denn mitreißt, und statt rauszugehen starre ich weiter auf die Leinwand in der Hoffnung, dass noch etwas kommen mag. Etwas noch groteskeres als das, was ich jetzt sehe. Etwas, das mich veranlassen wird zu sagen, „Hat sich doch gelohnt den Film zu Ende zu gucken“, wenn ich die letzten Popcorn von meiner Jacke schnippe und mich zum Gehen wende. Wenigstens will ich sagen können, okay, das war eben sehr „arthouse“, sehr verwoben, sehr hintergründig. Eben das, was man über Filme sagen kann, die man nicht versteht, deren Erzählsträngen man nicht folgen kann, die aber dennoch im Kopf kleben bleiben wie Honigfinger.
Aber was sollte das sein?
Weitere Episoden über sinnloses Essen, sinnloses Geld-Ausgeben, sinnlose Bemühungen, Normalität und Freude zu simulieren?
Am 5.12. gibt es neue Medis für Phoebe, darauf setze ich meine letzten Coins.


Auf dem Konzert war ich Donnerstag mit meiner Schwester...

2 Kommentare:

  1. Seltsame Situation. Deine Erzählkunst ist von solcher Größe, dass man nicht weiß was sagen, da Worte schal klingen würden. Aber sie ist einfach zu gut um nichts zu sagen, zu gut um nur anerkennend nickend, still fortzugehen.
    Eine seltsame Situation in der man irgendwie lobpreisen will und sich zugleich nicht traut. Wegen deiner Erzählstruktur. Deinen Sinnbildern. Deiner Wortwahl. Und vor allem deinem Inhalt.

    Chapeau. (- Stets mein Wort in Momenten solcher Hilflosigkeit, scheint mir.)

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  2. Ich schließe mich hier an... wortlos.

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