Toulouse, Mai 2009
Wir tanzen schon seit ein paar
Songs, der Club ist voll und die Luft subtropisch. Mein Gesicht
ähnelt von Nahem betrachtet dem von Kate Winslet und zwischen meinem
Jeansrock reiben meine Oberschenkel aneinander, schwitzend und
unangenehm. Alles ist unangenehm, der Rotwein, der mich bis zur
Schädeldecke ausfüllt, die Lichter und die Bässe. Ich weiß nicht
mehr, wie er heißt, er ist so groß wie ich und 36 Jahre alt. Seine
Arme sind kräftig und glänzen vor Schweiß, er riecht nach
Aschenbecher und Eau de Cologne. Sein Drei-Tage-Bart krazt meine
Wange, dann stößt er unvermittelt seine kleine, raue Zunge in
meinen Mund. Bier, Rauch, Wildheit. Ich will ihn nicht zurückküssen,
ich habe noch nie jemanden geküsst. Er ist ekelig.
Die Geräuschkulisse und die tanzenden Körper verschmelzen zu einer unheimlichen Bedrohung, fremde Hände tasten nach meinem Rücken, meiner nackten Haut, eine Hand fährt zwischen meine Beine. Ich will nicht. Ich sterbe.
Die Geräuschkulisse und die tanzenden Körper verschmelzen zu einer unheimlichen Bedrohung, fremde Hände tasten nach meinem Rücken, meiner nackten Haut, eine Hand fährt zwischen meine Beine. Ich will nicht. Ich sterbe.
Ich verschwinde.
Da ist noch ein Mann, ein Junge,
vielleicht 18 Jahre alt. Er lässt mich an seiner Zigarette ziehen.
Ich huste und er lacht glockenhell. Er ist ein homosexueller Engel.
Groß, überirdisch schön, blond, große grüne Augen und dichte
dunkle Wimpern. Mein Französisch reicht nicht aus, um ihm zu
erklären, was ich fühle, wie tragisch diese Nacht für mich ist,
aber er ist ohnehin zu betrunken um mich zu verstehen. Er küsst mich
auf die Stirn, sieht aus wie August Diehl in „Was nützt die Liebe
in Gedanken“, nur tröstlicher und weniger wahnsinnig, lässt mich
auf seinem Schoß sitzen. Sein Sexfreund kommt ihn abholen und ich
schwirre allein weiter durch die Nacht.
Um sieben Uhr morgens sitze ich mit meinem Gastgeber / Austauschpartner und seiner magersüchtigen, bildhübschen besten Freundin Manon auf einem Kirchenvorplatz und und recke meinen schwülen Kopf ins fahle Licht. Ich spüre noch jede einzelne, eklige Berührung meiner Haut, fühle ein Ziehen und Pochen hinter der Stirn. Bin ich jetzt eine Frau? Habe ich diesen Mann verführt? War das meine Schuld? Bin ich eklig?
Mein Gastgeber fragt mich, mal ganz im Vertrauen, ob ich denn essgestört sei? Naja, es sei allen aufgefallen, dass ich so viel esse und dann häufig auf die Toilette gehe. Tu fais vomir?
Ich blicke an ihm vorbei ins Leere und schäme mich in Grund und Boden dafür, dass ich sechzehn bin und kurvig und unreine Haut habe. Dafür, dass ich in jeder 5-min-Pause in der Schule schnell etwas esse und dann aufs Klo renne, um mein Gesicht nachzupudern. Ich bin Make-up-süchtig und paranoid. Ich will nicht, dass jemand meinen Magen knurren hört, meine Pickel oder meine gelben Zähne sieht. Ich schäme mich, dass man von mir denkt, ich würde kotzen gehen. Ich habe noch nie gekotzt. Ich schäme mich, dass ich einen Fremden an meine Wäsche gelassen habe. Ich bin eklig.
Ich sage, ich wäre nur eitel und müsste deshalb ständig in den Spiegel gucken.
Um sieben Uhr morgens sitze ich mit meinem Gastgeber / Austauschpartner und seiner magersüchtigen, bildhübschen besten Freundin Manon auf einem Kirchenvorplatz und und recke meinen schwülen Kopf ins fahle Licht. Ich spüre noch jede einzelne, eklige Berührung meiner Haut, fühle ein Ziehen und Pochen hinter der Stirn. Bin ich jetzt eine Frau? Habe ich diesen Mann verführt? War das meine Schuld? Bin ich eklig?
Mein Gastgeber fragt mich, mal ganz im Vertrauen, ob ich denn essgestört sei? Naja, es sei allen aufgefallen, dass ich so viel esse und dann häufig auf die Toilette gehe. Tu fais vomir?
Ich blicke an ihm vorbei ins Leere und schäme mich in Grund und Boden dafür, dass ich sechzehn bin und kurvig und unreine Haut habe. Dafür, dass ich in jeder 5-min-Pause in der Schule schnell etwas esse und dann aufs Klo renne, um mein Gesicht nachzupudern. Ich bin Make-up-süchtig und paranoid. Ich will nicht, dass jemand meinen Magen knurren hört, meine Pickel oder meine gelben Zähne sieht. Ich schäme mich, dass man von mir denkt, ich würde kotzen gehen. Ich habe noch nie gekotzt. Ich schäme mich, dass ich einen Fremden an meine Wäsche gelassen habe. Ich bin eklig.
Ich sage, ich wäre nur eitel und müsste deshalb ständig in den Spiegel gucken.
Er ist erleichtert. Manon blinzelt
zu uns rüber und reckt ihre Ärmchen, fährt sich mit einer stilvoll
beringten Hand durch die dicken blonden Haare. Mein Herz stolpert,
als die morgendliche Brise ihren Duft, One by D&G, zu mir weht.
Ich weiß nicht, was hier passiert. Ich bin bodenlos und wund und verliebt und verkatert.
Ich weiß nicht, was hier passiert. Ich bin bodenlos und wund und verliebt und verkatert.
Sau gut geschrieben *__*
AntwortenLöschenWahnsinn. Wahnsinn.
AntwortenLöschen"Da ist noch ein Mann, ein Junge, vielleicht 18 Jahre alt. Er lässt mich an seiner Zigarette ziehen. Ich huste und er lacht glockenhell. Er ist ein homosexueller Engel. Groß, überirdisch schön, blond, große grüne Augen und dichte dunkle Wimpern. Mein Französisch reicht nicht aus, um ihm zu erklären, was ich fühle, wie tragisch diese Nacht für mich ist, aber er ist ohnehin zu betrunken um mich zu verstehen. Er küsst mich auf die Stirn, sieht aus wie August Diehl in „Was nützt die Liebe in Gedanken“, nur tröstlicher und weniger wahnsinnig, lässt mich auf seinem Schoß sitzen."
Deine Erzählung liest sich wie sich Woody Allens "Midnight in Paris" ansieht. Nur ins Gegenteil verkehrt. In der Direktheit und Schmutzigkeit doch eigenartig verklärend. Wow. Ganz einfach: Wow.
Wundervoll geschrieben, auch wenn der Inhalt mich traurig stimmt.
AntwortenLöschenDu hast Talent.
Man kann die Situation so gut nachvollziehen, man fühlt den Schmerz und die Unsicherheit, aber auch das wahre Leben so gut.
Genial!
AntwortenLöschenIst das ausgedacht oder dir wirklich passiert, aus deinem eigenen Leben berichtet?