Dienstag, 30. Oktober 2012

Fische, Milben, Vogelköpfe, das Leben und Stehpartys.

Danke für eure ehrlichen Antworten. Ich finde es sehr berührend und ermutigend zu lesen, dass eure Ängste den meinen sehr ähneln und ich mich in vielen Aussagen wiederspiegele.
Das mit der Angst ist ein großes Thema.



Vor anderthalb Jahren, in einer Gruppenrunde in der Psychiatrie, haben wir intensiv darüber geredet. Ein Mitinsasse war 45 und Offizier bei der Luftwaffe mit paranoiden Psychosen. Er hörte Stimmen und glaubte, er bekäme Anweisungen von irgendwelchen Geheimdiensten. Bis die Medikamentendosierung stimmte, wandelte er umher und dachte, jeder einzelne Arzt oder Pfleger wolle ihn vergiften und an die Russen ausliefern, weswegen er sich sogar Faustkämpfe mit ihnen lieferte.
Ich empfand das damals als befremdlich und insgeheim ein wenig komisch, wie in einem mittelmäßigen Hollywood-Film eben. Aber diese Dimension der Angst habe ich selbst nie erfahren. Diesen Verfolgungswahn, Stimmen hören und so weiter.
 Alles was ich kenne, sind die verschiedenen Graustufen dessen, was ihr beschreibt, plus meine persönliche Urangst vor Verlusten (= Beziehungen, einstürztenden Häusern, um meiner Mutter).
Man könnte jetzt darüber diskutieren, was erträglicher ist, und ich würde mich sicherlich jenen Diskutanten anschließen, die plädieren: "eine ausgewachsene Psychose in Verbindung mit sozialer Phobie und Paranoia ist natürlich sehr viel tragischer als Verlust- und Versagensängste, Unsicherheit, Leere und ein paar knackige Panikattacken sonntagmorgens!". Was letzteres aber nicht verharmlost oder abwertet.
Ich will damit nur sagen, dass wir glücklich sein sollten, uns mit einigermaßen hoher Wahrscheinlichkeit meistens unseres eigenen Verstandes bedienen zu können, überwiegend "Herr im eigenen Haus" zu sein.
Dennoch: Ich kenne das, jenen Zustand in dem die eigene Essstörung/Depression/Persönlichkeitsstörung die Oberhand ergreift und mich zu steuern scheint, mein Denken, Fühlen und Handeln beeinflussen will.
Und leider, leider lasse ich sie auch viel zu häufig gewähren und mich leiten. Aber warum?
   Warum wähle ich nicht die Selbstbestimmung?
   Warum lebe ich in einer Diktatur meiner kranken Persönlichkeitsanteile?
   Warum fresse, hungere, heule, schlafe, leide, schneide ich (mich)?
Die Antwort ist so einfach, dass man sie beinahe zu übersehen glaubt:
"Sie haben Angst, Phoebe."
Ich antworte meiner Therapeutin, ich hätte keine Angst so wie früher, wäre furchtlos inzwischen.
Sie widerspricht mir und erklärt, die Angst sei der Motor, der mein gestörtes Selbstbild und Verhalten am Laufen hält, weil sie mich lähmt und meinen Verstand verzerrt.
Angst ist eine Reaktion des limbischen Systems auf Stress.
Stress wirkt sich auf die Hormonproduktion im Gehirn aus, ebenso auf die Psyche (haha, das ist ja was ganz neues).
Teufelskreis durchbrechen?
Paranoia zulassen?
Ängste verdrängen?
Sich seiner Furcht stellen?
Psychotisch werden?
Wahnhafte Angst?
Stress aushalten Stressniveau senken.
Angst nehmen lassen Angst festhalten.
Alles stürzt zusammen sich fallenlassen vertrauen.
"Ich habe nur noch Angst vor Fischen, Milben, Vogelköpfen, dem Leben und Stehpartys. Und davor, fett zu sein. Was wollen sie hören?"

7 Kommentare:

  1. echt #ne wärmflasche hilfT da? muss ich mal ausprobieren. danke! :-)

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  2. Danke für deinen lieben Kommentar, eine dicke Umarmung zurück :-*

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  3. Ich habe gerade festgestellt, dass du verdammt schön schreiben kannst.
    Selbst hässliche Dinge wirken irgendwie "schön", wenn du darüber schreibst... Ich mag deinen Stil sehr gerne.

    Ja, die Angst. Ich habe mir "no fear" auf den Fuß tätowieren lassen. Eigentlich, um mich nicht von meiner Angst überwältigen zu lassen. Aber ich vergesse das Tattoo sehr oft und habe Angst. Vor Kleinigkeiten. Vor Alltäglichem. Angst kann so viel kaputt machen, wenn man sich von ihr beherrschen lässt. Angst kann einen lähmen, einen unfähig machen zu handeln. Rational gesehen ist es Schwachsinn, vor einigen Dingen Angst zu haben. Aber wie sagt man das seinem Herz?!

    Alles Liebe! ♥

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  4. Wow, ich dachte immer, ich hätte zumindest ein wenig Ahnung was das Thema "Abnehmen" betrifft, aber du hast mir gerade die Illusion komplett genommen. Neben dir komme ich mir ziemlich dumm und naiv vor, danke für deinen informativen Kommentar! Aber was ist denn jetzt besser? Lieber 1kg Fett oder 3kg Muskelmasse und Wasser? Einerseits geht es mir ja darum maximales Gewicht in minimaler Zeit abzunehmen, aber viel Sinn macht das dann ja nicht oder? Ich möchte ja eigentlich lieber das Fett loswerden als Muskeln.

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  5. Das mit der Angst ist echt eine große Sache. Aber es dauert wirklich lange herauszufinden, wovor man sich wirklich fürchtet.

    Naja, bei mir ist das mit dem wiegen ja sowieso anders, da ich auch nicht zunehmen darf. Aber die Panik vor mehr Gewicht ist natürlich immer in mir und die kann auch die Klinik nicht nehmen. Tut mir Leid, dass es dir auch so ging :*

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  6. Danke! Ich glaube du bist ein ganz wunderbarer Mensch und hoffe, dass alle deine Mitmenschen das sehr zu schätzen wissen.
    Ja ich glaube das mit der BIA-Messung sollte ich wirklich mal machen, das interessiert einen ja schon, wie hoch der Körperfettanteil ist. Leider ist unsere Waage gerade mal dazu in der Lage die dicken Kilos anzuzeigen. Und ja du konntest mir sehr helfen! ♥

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