Dienstag, 27. August 2013

Brief an Lennard vom 3. Juli, nie abgeschickt.

Lennard,

Ich möchte dir näher sein und zugleich die Faszination, die Fremdheit der Ferne erhalten.
Ich möchte dich verorten können in meinem Leben, ich weiß nur nicht, wo. Angst macht mir meine eigene destruktive Kraft, weil ich glaube dass sie einerseits zu viel offenlegt und damit Raum beansprucht, zum anderen eine andere Sprache spricht und Distanz provoziert, vielleicht auch Wut oder, noch schlimmer, Mitleid.
Ich sehne mich danach, gänzlich erfasst zu werden, das ist eine masochistische Eigenschaft, denn im Grunde genommen weiß ich, wie viel Schmerz aus Nacktheit und Ehrlichkeit geboren werden kann. Eigentlich ist es auch gar nicht erstrebenswert, komplett begriffen zu sein, in jeglicher Facette offen zu liegen. Da ist eine unendliche Neu-Gierde nach allem, was du bist, gänzlich aufgewogen mit Furcht vor Momenten, die ich nicht mitfühlen könnte. Dass Intimität entzaubert, dass Wissen und immer mehr Wissen Zweifel schüren, Fremdheit statt Gemeinsamkeit im Raum stehen könnte – meine grauenhafte Harmoniesucht. Es sind die Kanten und ihre Reibung, die verstören und dann wärmen, das verstehe ich Tag für Tag ein bisschen besser (Danke für deine Gelassenheit).
Meine Ausdauer reicht immer nur bis zum nächsten Morgengrauen, dann muss ich von vorne beginnen. Wie ein Kind, das tagtäglich lernt und neu bewerten muss, zerpflücke ich unsere Welt in kleinste Teilchen und verliere dabei das Gesamtkunstwerk aus den Augen, du kennst das.
Ich will wissen, wer exakt vor mir steht, wessen Stimme ich lausche. Manchmal glaube ich, zu erahnen wer es sein könnte, das fühlt sich sehr schön an. Es macht Mut.
Nie weiß ich, wo ich zu viel bin und wo zu wenig, ich kann dich nur beobachten und Schlüsse ziehen. Dabei will ich keine andere sein, wenn es diese Person ist, die dir etwas bedeutet, nachvollziehen können muss ich es ja nicht. Mal knistert es, mal ist es ein Tinnitus-Pfeifen, mal Stille.
Als ich dir sagte, dass ich dich liebe, habe ich dich gefühlt, dich und das Gesamtkunstwerk Leben. Es war vereinnahmend und berauschend, eine Erfahrung von Nähe und Vertrauen, die ich selten machen durfte. Auch wenn ich nur Ahnungen habe, wer dieser Mann ist, mein Herz wusste es offenbar. Und wer ich bin, ganz kurz, sehr klar. Diese Momente sind unwahrscheinlich rar, ich bin sehr glücklich und dankbar dafür.
Es geht offenbar in Gefühlsdingen immer auch um die großen Fragen der Erkenntnis (ich erkenne dich, du erkennst mich und reflexiv), was ich atemberaubend und fürchterlich zugleich finde. Es ist unheimlich (schön?), Sätze des anderen beenden zu können, weil es Individualität und Einzigartigkeit infrage stellt zugunsten eines undefinierten Gemeinsamen, was ein unschätzbar kostbares Geschenk ist.
Ich habe Angst, sehr sogar. Ich will verstehen können, was dich so zuversichtlich macht, ich will deine Dämonen auf meinem Schoß liegen sehen und in ihrem Blicken lesen. Ich will, dass du mir sagst wie ernst es ist. Nein, ich will es eigentlich nicht hören.
Näher kommen will ich, nicht so nah als dass es den Kokon beschädigt, nicht so nah dass ich zu viel sehen könnte. So weit weg gerade, dass es unergründlich und spannend bleibt; so nah, dass es wetterfest ist. Du kannst mir keine Vorhersagen geben, das erwarte ich gar nicht. Du weißt so viel von mir, ich tue mir schwer mit Grenzen. Ich halte dich für den König der Abgrenzung, manchmal tut es weh, ein ganz kleines Ziehen, vollkommen im Rahmen des Ertragbaren. Du sagst nein und sicherst die Burggräben. Ich wünsche mir, dass du mir mehr vertraust und dich ein- und fallen lässt. Dass du den Raum, den ich dir offeriere, unvoreingenommen betrittst und keine Angst hast. Das braucht Zeit, beiderseitig. Arbeiten und kämpfen und fallen lassen. Genießen. Schweigen. Gedanken berühren.
Du gibst mir sehr viel und es ist ein großes Glück, dich an meiner Seite zu wissen.

Phoebe

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