Donnerstag, 31. Januar 2013

Damals...

14.9.2010
Schlechter Tag.
Problem Nummer eins: Essen. Die Erhöhung ist präsent, die Gedanken an das „mehr“ schwer abzustellen. Zeitstress. Zu langsam, zu schnell? Die immer auflodernde Panik, zu früh fertig zu sein, zu viel im Mund zu haben, zu hastig zu kauen, zu schlingen, zu fressen. Und dann diese Stolperfallen, die ich mir selbst – besser gesagt meiner Krankheit – in den Weg gelegt habe: Fett morgens, Kohlenhydrate abends. Mit Absicht.
Als würde das nicht schon als Herausforderung genügen, will Frau Naumann auch noch, dass ich wieder mehr Eigenverantwortung übernehme. Nächste Woche. Ich habe Angst davor – Angst sowohl vor der Versuchung, etwas wegzulassen oder noch essgestörter zu essen (es guckt ja keiner) als auch vor dem Buffet. Vor der Auswahl. Davor, am Ende der Krankheit zu viel Raum zu geben oder auch zu viel zu essen, je nachdem wie man es dreht und wendet. Horrorvision: unabsichtlich, mangels Achtsamkeit und Konzentration zu viel gegessen zu haben.
Als wenn es darum gehen würde! Als ob dreißig oder vierzig Kalorien mehr oder weniger einen Unterschied machen würde. Es fällt mir so unglaublich schwer, loszulassen, es zu akzeptieren. Ich muss zunehmen, ich bin nicht zu dick. Verdammt. Ich habe jetzt schon Bauchschmerzen beim Gedanken an Montag – Videoaufnahmen zur Selbstwahrnehmung. Ich will mich nicht wieder ansehen und denken „so sollte es bleiben, auf keinen Fall zunehmen, tendenziell lieber ein bisschen abnehmen, vor allem an den Beinen und am Bauch…“.
Tja. KBT (Konzentrative Bewegungstherapie) war dann auch ein totaler Schuss in den Ofen. Ständig Missverständnisse. Ungerechtfertigte (?) Kritik von allen Seiten, und was bleibt ist die Frage, wie ich damit umzugehen habe. Ich drehe mein Fähnchen NICHT nach dem Wind, aber ich bin diplomatisch und versuche, niemanden zu verletzen – white lies. Ist das falsch? Warum ist es mir so wichtig, mich zu verteidigen und „gut dazustehen?“ Kann ich nicht einfach hinnehmen, dass ich nicht perfekt bin und Fehler mache? Ich sehe immer nur meine Fehler und Fehltritte und verurteile mich dafür. Und die anderen? Warum kann ich nicht einfach ordentlich wütend werden, sondern hadere mit MIR? Versuche, MICH anzupassen statt etwas Verständnis von außen einzufordern. Ich stecke fest.
Habe nur geweint. Nach dem Mittagessen ging gar nichts mehr. Bewegungsdrang, Völlegefühl, Panik (ganze Portion!), das Gefühl zu versagen. Ich hatte mir vorgenommen, größere Bissen und schneller zu essen. Die ganze Zeit über ekelte es mich an, ich hatte den Eindruck, alle beobachten mich und denken, dass ich schlinge und fresse und stopfe. Und am Ende wäre ich wieder fast nicht fertig geworden. Scheiße.
Muss besser werden. Fange wieder mit Promethazin an.

15.9.2010
Klare Verbesserung zu gestern: mehr Ablenkung von meinen Problemen. Habe mich in der Gruppe sehr zurückgenommen. Fühlt sich ganz gut an, einfach zu schweigen, eine neue Erfahrung…
Mittagessen war beschissen. Tortellini-Berg mit sahniger Sauce und Champignons. Ich kaue Kohlenhydrate in komprimierter und extrem stopfender Form. Danach: Magenschmerzen. Bewegungsdrang nachgegeben – ich bin wieder im Garten auf und ab gelaufen. Schlechtes Gewissen, zu Recht. Außerdem habe ich beim Fernsehen Beine heben und senken gespielt… Mein Bauch wächst und wölbt und dehnt sich, und ich kann nichts dagegen machen. Machtlos. Ich hasse das Essen. Ich hasse meinen Körper. Heute habe ich mir gefühlte 6 Mal eine neue Frisur gemacht, was nicht geholfen hat – ich finde mich nicht schön. Ich mag mein Spiegelbild nicht. Mein Körpergefühl sagt mir, dass die Zunahme dieses Mal nicht so glimpflich verlaufen ist… Angst vor Freitag!
Immerhin, ich muss meinen Schnitt verbessern, damit ich in zwei Wochen mit Papa wegfahren darf. Das tröstet oder vertröstet, ja. Einerseits und andererseits.
Mit Mama zu telefonieren war schön, auch wenn es nur kurz war. Und der Abend unten mit Stella, Melisa und Franziska war auch ganz nett. Ich muss mich eben ablenken. Mich setzen. Durchatmen. Kontrolle abgeben.

16.9.2010
Körpergefühl wird immer schlechter, Stimmung ebenfalls.
In Kunsttherapie die Frage – was ist meine größte Stärke? Das was ich am besten kann?
Ich kann lieben. Ein flammend rotes Herz.

17.09.2010
Ich habe natürlich vor dem Wiegen nicht auf die Toilette gehen können. 44,9. Die Fünfundvierzig macht mir Angst, das ist eine von den imaginären Grenzen… Na gut, wenn ich das Wasser abziehe, das sich in meinen Fesseln staut, plus meinem Darminhalt, ist es real weniger.
Dreihundert Gramm. „Das passt“, sagt Frau Franke. Passt? Wie eine Konfektionsgröße?
Mir passt gar nichts. Mein Körper ist zu viel. In meiner Kleidung wirke ich massig. Nein, ich BIN massig. Ich nehme Raum ein. Ich bin ein träger Körper, ich bin faul, ich bin fett. Ich hasse mich.
Gruppe hat heute gar nichts gebracht.
Horror im Spiegel: meine Oberarme sind schwabbelig und fett. Ich kann sie nicht mehr mit den Fingern umschließen wie vor drei Wochen in KBT.
Mit Natascha längeres Gespräch über das Leben gehabt. Eben noch mit Stella und Melisa über die Krankheit gesprochen.
Fühle mich schlecht.

1 Kommentar:

  1. kommt mir alles sehr bekannt vor... du hast damals in der klinik ein tagebuch geschrieben oder? das habe ich auch gemacht um meine fort- u. rückschritte zu dokumentieren...
    du hast viel geschafft und kannst stolz auf dich sein!
    trotzdem ist mir zum heulen zumute wenn ich das so lese weil es mich auch erinnernt...
    alles liebe und viel kraft wünsch ich dir weiterhin!

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