Samstag, 4. Mai 2013

#Staub wischen mit Yoko.

Am Mittwoch habe ich T. gesehen und meine letzten Sachen von ihm geholt: Unterhosen, ein paar Zeitschriften, ein altes Duschgel mit Kakaobutter, jede verfickte Postkarte die ich ihm je geschrieben habe, jeder Liebesbrief, sogar die Neil Young-CD die er von mir zu Weihnachten bekommen hat - er stellt eine gelbe Aldi-Tüte auf den Asphalt zwischen uns und schweigt ungläubig. Vollkommen betrunken sind seine grünen Augen merkwürdig glasig und hell, die Pupillen winzig und unruhig zuckend. Seine Stimme bricht, als er mir ein letztes Mal nachläuft und meinen Namen brüllt: Phoebe! Das kann nicht das letzte Mal gewesen sein! Ich brauche dich! Ich liebe dich und werde dich immer lieben! Stirb!
Ich gehe für immer.
Jetzt liege ich hier, ein dickes Walross voll mit indischem Essen und Schokolade, und kann mir selbst nicht erklären, wie ich ihn geliebt habe. Ich kann es fühlen, aber nicht rechtfertigen. Ich lese seine letzten SMS, die noch nicht blockiert wurden: Schrate sind Freunde der Honigbienen und der Haselmäuse. Dieser Punkt ist der Fleck auf deinem Zeh. Vergiss die Schrate, ich liebe dich.
Bedeuten diese Worte irgendetwas für irgendjemanden? Außer uns? Außer dem Muttermal am Fuß, dem Sommer in seinem alten Garten, bevor alles schlecht wurde was uns geschmeckt hatte?
Der Bruch ist so tief, dass wir nicht einmal die selbe Sprache sprechen konnten. Mittwoch. Unheimlich, wie weit entfernt er schien, wie seine Worte an mir vorbeirauschten ohne mich auch nur zu streifen - es war nur sein Anblick, der bedeutete und schmerzte. Ich sagte ihm, wir könnten keine Freunde sein. Er hörte nicht zu. Drehte ungelenkt eine Zigarette, versuchte mich zu küssen. Ich schrie ihn an. Er wich aus, die Augen so ekelhaft verschleiert und grell, versuchte wieder und wieder, mich an sich zu ziehen. Ich konnte seinen Körper riechen unter all dem Schnaps und floh.
Ich gehe für immer, T.
Wie leistet man Trauerarbeit? Vielleicht ist man Yoko Ono und bastelt ein Video aus golden-verstaubten Vintage-Erinnerungen, singt "Walking on thin ice, I'm paying the price for throwing the dice in the air".
Vielleicht verdrängt man. Vielleicht liebt man heimlich weiter, obwohl der andere schon längst den seelischen Aggregatzustand von Staub erreicht hat. Vielleicht hasst man auch, ihn, sich. Ich?
Ich verliebe mich.
Ich verliebe mich und kann förmlich dabei zusehen, wie Farben auf der inneren Leinwand und Wortfelder der Zweisamkeit durch neue, andere, schönere, leichtere, nicht weniger komplizierte ersetzt werden.
Ist das, was darunter war, dann weg?
Ist das, was darüber kommt, dann falsch?
Ist es Flucht oder Fluch oder die Wirklichkeit, die mich ereilt?
Ich bin verflucht glücklich und alles andere als abgebrüht. Ich bin hochgradig nervös und neurotisch, fresse mir zwanghaft Kilo um Kilo auf die Rippen, als müsste ich mich dafür bestrafen.
Derart lebendig zu sein, mit solcher Intensität hingerissen zu werden, überfordert die geprügelte, geschändete Hülle. Ich häute mich und kann mich doch nicht abstreifen, die Schande bleibt (geschändet), die Zerrissenheit (zerrissen) und die Angst (gekauft, getrieben, getötet) lassen sich nicht von einer Battaillon rosa-glitzernder Schmetterlinge in Schach halten.
Es ist bestimmt richtig, dass wir uns die Zeit geben: "Es macht mich einfach glücklich."
Lennard lächelt, "Mich auch. Und das reicht doch für den Moment". Das ist keine Frage und keine Aufforderung, es ist eine Tatsache, versuche ich ihm zu glauben und zuversichtlich zu sein, was ich bin. Er wendet das Auto, ich krame nach dem Schlüssel, er winkt mit der freien Hand und ruft - Cherie!
Ich muss lachen und krabbele die Treppen zu unserer Wohnung hoch, im Kopf noch immer abstrus-assoziative Beat-Gedichte spinnend, die wir bei offenen Fenstern in den Nachthimmel gebrüllt hatten. Santana hören, irre lachen, zusammenhanglose Bilder finden, du bist Ginsberg, ich bin ein Gordischer Knoten mit wehendem Haar. Du bist neugierig und ich schreie, weil die Kurve zu scharf ist. Wir nehmen Ebenen ein mit Zen-Gelassenheit und Humor.
Ich verliebe mich und gleichzeitig trauere ich, und das widerspricht sich in keinster Weise.
Ich kann implodieren und rennen und bekennen und das Glück zelebrieren.
Wenn wir alles aussprechen, kann alles. Wenn wir aufrichtig sind und respektvoll, was riskieren wir denn?



10 Kommentare:

  1. Ich liebe sie einfach, deine Art, Momente in Buchstaben und Worte zu kleiden. Weiß lennard von dem Blog? Oder der Rest der Menschen, denen du wichtig bist, bzw. die dir wichtig sind?

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  2. Genau dasselbe wie der Kommentar über mir wollte ich auch schon immer fragen. Ob die Protagonisten davon wissen.
    Außerdem: ob es noch andere Big Bang Theory - Charaktere in der Geschichte gibt, ob du schon weißt, was du studieren willst und ob das iirgendwas mit dem zu tun hat, was du hier sehr kunstvoll machst (ich hasse es eigentlich, sowas gefragt zu werden), was du dir ganz am Anfang gedacht hast, als du den Blog angefangen hast, woher all diese Bilder kommen, ob du Realität in Kunst packst oder Kunst in reale Worte, ob du manchmal auch an ihnen verzweifelst, oder Angst hast, zu persönlich zu werden... naja. eine Menge :)
    Das ist wieder so schön. Vor allem das am Ende. Das ist nicht einfach Sprache, das ist eine ganz andere Art zu denken, dafür bewundere ich dich. (Ich wünsche dir, dass die Schatten bald vom Feld ziehen, dorthin, wo ihr Platz ist)

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  3. das hast du ziemlich stark zu ende gebracht, liebe phoebe, chapeau!
    ich kenne diese ungläubigkeit mit der man die andere person anstarrt, der meilenweite abstand zwischen den vormalig liebenden, obwohl sie doch nur wenige zentimeter voneinander entfernt sitzen. die erneute härte, die einem trotz der liebesbekundungen entgegen schlägt. und der blick auf die bittere realität, der sämtliche restillusionen sofort zerschlägt. it´s part of the game.

    du hast trotzdem absolut richtig entschieden und solltest das leben feiern, ohne dich selbst zu bestrafen, für das, was da jetzt hochkommt.
    du bist ein vollkommener mensch und musst dich nicht zum gefühlskrüppel degradieren.
    genieß die zeit mit lennard und das neu aufgeflammte gefühl und nimm dir gleichzeitig auch zeit um zu trauern. verarbeite das, was es von deiner seite aus zu verabeiten gibt.
    und denk daran, dass du nicht allein bist mit diesem trümmerhaufen, der irgendwo hinter dir und doch noch gut sichtbar liegt.
    <3

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  4. Du schreibst so unbeschreiblich schön.

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  5. wow. ich hätte beinahe geweint und dabei kann ich gar nicht weinen.
    tut es weh, t. verlassen zu haben für immer?
    xx

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  6. jedes mal, wenn ich deine posts lese, weiß ich hinterher für einen kurzen moment nicht, ob ich das gerade gelesen habe oder ob es mir selbst passiert ist, ob ich das in einem film gesehen habe oder geträumt. und dann muss ich ganz oft den tag über noch über dich nachdenken... du hast wirklich ein talent situationen so darzustellen, dass sie nicht nur an der oberfläche bleiben sondern bis in die tiefe gehen.
    und trotzdem tut es mir leid, was du in deinen jungen jahren schon alles meistern musst(est).

    ich wünsche dir alles liebe (und folge dir übrigens :))
    :*

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  7. Eine gute Freundin und n bekannter. Ich trau mich nicht, dass dem Rest zu zeigen...
    Aber find ich gut, deine Einstellung! :>
    xoxo
    Momo

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  8. danke<3
    ich glaube dir gern, dass das noch dauern wird, aber so wie ich dich vom lesen her einschätze schaffst du das schon.
    normalerweise ist es mir immer zu anstrengend so lange texte zu lesen, aber wenn ich sehe, dass du ein neuen post veröffentlicht hast, les ich den immer sofort. ich liebe es wie du schreibst. da fühl ich einfach wieder, was ich irgendwie verlernt hab.
    xx

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  9. Phoebe,
    ich bin sprachlos.
    Ich liebe deine Texte.

    Herzen

    Magnolia Maya
    http://hautnah.blogspot.de/

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