Dienstag, 25. September 2012

Wie wird man adipös?

Diese Frage habe ich mir schon häufig gestellt.
In der ersten Klinik gab es eine Station extra für Adipositas-Patienten und einen, mit dem ich häufiger mal auf einer Bank am Parkplatz gesessen und eine geraucht habe. Interessanterweise glichen sich unsere Biografien und Denkmuster, nur dass er schätzungsweise fünf bis sechsmal so viel Gewicht mit sich rumschleppte wie ich.
Seit ich mit Fressanfällen kämpfe erscheint es mir gar nicht mehr so undenkbar, in seine Lage zu geraten (genauso wie es für ihn undenkbar ausgesehen haben muss, so wie ich zu enden). Im Prinzip nimmt man an Gewicht zu, wenn man sich überfrisst. Wie alle kennen sie aus MTV-Trash-Dokus: arbeitslose Amerikanerin mit 500 Pfund Körpergewicht sitzt auf ihrem Sofa vor der Glotze und lässt sich von ihrem um einiges schlankeren Freund Kistenweise Donuts und Pizza-Hut-Käserand-Pizzen ankarren, welche sie mit zehn Liter Coke und Sprite runterspült (dass sie Amerikanerin ist, tut dabei natürlich nichts zur Sache. Ist nur so ein beliebtes Motiv). SO wird man Fettleibig.
Wo liegt der Unterschied zu meinem Essverhalten in der letzten Zeit?
  Es gibt keinen. Ich platze hoffentlich und sterbe an einer Magenperforation. Verdient hätte ich's.
Ich will das gar nicht groß problematisieren (was ich dennoch tue), es wird wieder aufhören. Aber es ist so sinn- und zwecklos.
Meine Therapeutin ist krank und ich ekele mich vor mir, trés choutte! Ich schneide mich fröhlich weiter und hoffe auf eine Eingebung von oben, die mich zwingt, wieder zu hungern und Sport zu machen.
Von T. scheint diese Eingebung nicht zu kommen. Er verliert sich zwischen "Ich will lieber sterben als weiter mit dir zu leben, so schrecklich bist du als Mensch" und "Bleib hier. Ich liebe dich". Er sagt, ich würde "gut" und "vernünftig" essen und übersieht, wie viele Packungen Kinderschokolade in unserem Müll liegen, registriert nicht, dass ich Fressen gehe, wenn ich die Wohnung verlasse. Von einem Kiosk zum nächsten, kann kaum den Septemberwind (lauwarm und frisch) genießen, schnell: in den Supermarkt, da kann ich mit EC-Karte zahlen. Naja, klauen geht auch. Und weiter zum Bäcker. Ich fresse über die Erschöpfung hinaus, überall. Esse heimlich Croissants auf dem Klo, Nudeln aus vollen Töpfen, Nougat aus der Jackentasche, ohne zu knistern.
Und es ist nicht mal mehr lecker.
Meine Haut zirpt und spannt, ich lagere Wasser ein und bekomme (Paranoia?) Dehnungsstreifen. Aber so genau sehe ich seit einer Woche nicht mehr hin. Kein Körperkontakt, nicht mal von mir selbst, ERST RECHT nicht von mir selbst.
  Wenn ich das, sagen wir, ein paar Monate weitermache, werde ich dann adipös?
Und darf ich dann endlich eine Fettabsaugung machen lassen?
Mama, wieso wird man dick vom Essen?
Und wieso mag ich das Essen nicht mehr?

Und wieso zur Hölle esse ich dennoch weiter?!

6 Kommentare:

  1. kenn ich,kenn, ich kenn ich alles .___.
    Aber du wirst es wieder raus schaffen. Auf alle Fälle, ich weiß es.

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  2. Diese Phasen sind die allerschlimmsten...

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  3. Nein, du wirst nicht adipös - ich hatte diese Phase eine ganze Weile. Ich fühle mich jetzt wie ein Walroß, aber wenn man die Ärzte hier fragt, bin ich noch im unteren Bereich des Normalgewichtes.

    Und fühl dich nicht allein gelassen damit, ich weiß ganz genau wie sich das anfühlt.
    An der Supermarktkasse zu stehen und sich im Kopf schon Ausreden wie einen anstehenden Kindergeburtstag auszudenken, falls man auf die Mengen an Essen auf dem Fließband angesprochen werden sollte. Und wie man danach die Schokoriegel, die man extra dafür gekauft hat, schon auf dem Heimweg in sich hineinstopft, weil man nicht mehr warten kann.

    Du kannst das schaffen, die Kraft dazu hast du. ♥

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  4. Ich habe mal einen Bericht über eine Amerikanerin gesehen, die die dickste Frau der Welt werden wollte (Zielgewicht war 280 kg, mit 250 fand sie sich noch zu schlank).
    Ich war erstmal extrem fassungslos, habe ich mir gedacht, dass es ja durchaus Parallelen zwischen einer Magersüchtigen und dieser Frau geben könnte: Die verzerrte Wahrnehmung, das gesundheitliche Risiko, das extreme Essverhalten...
    Das hat mich so erschrocken, weil es mir irgendwie die Augen geöffnet hat.

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  5. Was für eine unglaublich schöne Schreibweise, ich möchte deinen ganzen Blog von vorne bis hinten lesen! Ich hab manchmal Angst davor, adipös zu werden. Überhaupt, wenn ich in die Küche gehe und mir etwas Süßes mit ins Zimmer "schmuggle". Aber zum Glück gibt es dann wieder andere Phasen, mit Motivation zum Abnehmen und Kontrolle, wo diese Gedanken verschwinden :)

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