Ich weiß nicht, ob ich überhaupt lieben kann. Ich
kann begehren und kann mich in andern Menschen suchen, nach Echo
aushorchen, nach einem Spiegel verlangen, und alles das kann wie Liebe
aussehen.
- Hermann Hesse, Klingsors letzter Sommer
Ich sitze bei meiner Therapeutin, zum ersten Mal wieder seit Monaten.
Draußen gießt es in Strömen. Sie lässt das gemütliche, warme Licht auf dem Fensterbrett ausgeschaltet und betrachtet mich. Abschätzig? Wohlwollend?
Ich trage eine fliederfarbene Bluse und einen kurzen schwarzen Rock, blickdichte schwarze Strumpfhose. Ich sehe, dass ich abgenommen habe, und ich weiß dass sie es auch sieht.
"Wofür müssen Sie sich quälen?"
"Dafür, dass ich böse bin. Ich verletze andere Menschen. Ich bereite ihnen Kummer und stürze sie in Krisen."
"Sie meinen Ihren Freund und Ihre Mutter. Haben Sie schon einmal gedacht, dass diese Menschen Kummer haben weil Sie so streng mit sich sind? Weil Sie hungern und Essattacken haben und provozieren und in einer Manie alles zerschlagen?"
Ja, habe ich. Ja, weiß ich. Ich weiß auch, dass ich nicht einfach sagen kann: "Okay, dann behandeln Sie bitte mein gestörtes Essverhalten, meine Destruktivität und alles andere an mir was meinem Umfeld auf den Sack geht. Aber was ich beibehalten möchte, ist mein Selbsthass, meine Motivation, bis zur Unkenntlichkeit abzunehmen und mein Minderwertigkeits und Schuldgefühl!"
Das sage ich ihr. Sie antwortet, ich habe vollkommen Recht, entweder ich will gesund werden oder nicht. Ein bisschen psycho gibt es nicht.
Ich sitze mit T. auf dem Bett und rauche. Vorsichtig taste ich mich vor. Erzähle ihm von der Therapie. Sage, dass ich heute (also gestern) Abend etwas Kleines essen möchte.
"Das solltest du wirklich. Sonst kannst du bald wieder in eine Klinik gehen. Ich meine das ernst. Nimm meinetwegen noch ein bisschen ab, wenn du durch normale Ernährung jetzt zunächst wieder zulegst, aber probiere es doch mal nur durch Sport! Du machst doch so viel Sport. Du hast deinen Körper doch noch nie gesehen, wie er definiert ist mit sagen wir 57 Kilo und Training. Vielleicht gefällt dir das ja dann. Bitte, versuche es jetzt."
Ich bin mir sicher dass mir mein Körper dann nicht gefallen wird, aber das behalte ich für mich.
Er redet weiter: "Und deine Therapeutin hat Recht, was mich angeht ist es nur so, dass ich es irgendwann einfach leid bin, mit dir über dein Gewicht und dein Essen zu reden. Du hörst sowieso nicht zu. Das ist wahrscheinlich wie bei mir mit dem Saufen. Du glaubst mir kein Wort und bist müde, darüber zu philosophieren."
Wie wahr.
Wir gehen also in einen Supermarkt, weil T. möchte dass ich mir etwas Süßes zum Abendbrot kaufe und ich Angst habe, alleine einkaufen zu gehen.
Ich entscheide mich für einen kleinen Milka-Riegel, einen Salat und etwas Fetakäse. T. ist sehr zufireden.
Ich gehe zum Training, schaffe kaum alle Übungen, weil ich so unterzuckert bin dass ich kurz vor der Ohnmacht stehe.
Auf dem Heimweg vom Fitness regnet es wieder. Mein Gehirn blinkt auf Warnleuchte. Schokolade! Blink! Fett! Blink!
Ich erstehe bei unserer kleinen marrokkanischen Bäckerei ein winziges Vollkornbrötchen, das steinhart ist und fast nur aus Körnern und Kleien besteht. Das und der Salat...
Ende der Geschichte: Der Milka-Riegel nach dem Salat löste eine Lawine aus. Ich rannte nochmal raus, immer noch in Sportklamotten, und kaufte Berge von Süßigkeiten, Donuts ect. Und den neuen SPIEGEL mit Hermann Hesse auf dem Titel. Beides verleibte ich mir dann innerhalb der nächsten Viertelstunde ein. Plus ein widerliches Reisrisotto mit dem restlichen Fetakäse. Ich hätte fast (!) gekotzt. Schade dass es nicht geht.
Heute morgen nicht gewogen. Ekelhaftes Sodbrennen. Las den SPIEGEL zuende und befand, dass es jetzt eh egal wäre. Wie töricht. Hanutas, Duplos, Schokocroissant, Müsli.
Alles ekelhaft.
Nennen wir es "Refeed":
Wie sehr ich mich hasse.
Wie sehr ich die Kunst liebe.
Wie sehr ich mich danach sehne, gut zu sein.
Wie sehr mich ein schönes Wort berühren kann.
Wie sehr ich suche --
einen versuch ist es wert :) danke, dass du dir bei all dem noch zeit nimmst, so einen lieben kommentar zu schreiben. ich hoffe du hast einen schönen abend :) alles liebe
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